100 Jahre Dada – 80 Jahre Andreas Iten

Literatur & Gesellschaft

,

Mensch und Pädagoge, Psychologe und Politiker, Schriftsteller und Dichter. Auf Andreas Iten trifft vieles zu. Gerade 80 Jahre alt geworden, feierte der Unterägerer ganz jung und modern im Burgbachkeller.

  • Andreas Iten: Politiker, Pädagoge, Schriftsteller und Dichter. Im Burgbachkeller feierte der Ägerer seinen 80. Geburtstag. (Bild Maria Schmid)
    Andreas Iten: Politiker, Pädagoge, Schriftsteller und Dichter. Im Burgbachkeller feierte der Ägerer seinen 80. Geburtstag. (Bild Maria Schmid)

Zug – Seit dem vergangenen Samstag ist die Katze aus dem Sack: Die Geburtstagsgäste von Andreas Iten wissen jetzt, dass dieser an einem Freitag geboren worden ist, am Morgen um sieben im Zuger Liebfrauenhof. Und sie wissen, dass der spätere Politiker und freie Denker Andreas Iten an diesem 27. Feb­ruar des Jahres 1936 schon stattliche 3850 Gramm auf die Waage gebracht hat und stolze 51 Zentimeter gross war. Diese Koordinaten gab Andreas Itens Weggefährte Albert Müller den Gästen im Burgbachkeller preis. Ein weiterer seiner Weggefährten, Hugo Christen, gab zu: «Eigentlich wollte ich 80 Eindrücke von Andreas Iten schildern...» Doch Christen beschränkte sich auf das Wesentliche und zählte Weltoffenheit, Freiheitsliebe und Gerechtigkeitssinn auf: «Er kann den Unterägerer Stallgeruch mit dem Berliner Weltstadtgeruch unter einen Hut bringen.» Und: «Er regierte, ohne Regent zu sein.»

Alles aufzuzählen, was Andreas Iten in bisher 80 Jahren geleistet hat, würde den Rahmen sprengen. So viel sei erwähnt: Er war Lehrer in Baar, Psychologie- und Philosophiestudent in Basel und Berlin, Lehrer am Lehrerinnensemi­nar in Menzingen. Er war Gemeindepräsident von Unterägeri, Regierungs- und Ständerat des Kantons Zug, er war zweimal Landammann und sechs Jahre Präsident der Kantonalen FDP. Er war sowohl Präsident der Eidgenössischen Filmkommission als auch des ISSV (Innerschweizer Schriftsteller und Schriftstellerinnen Verein). Er ist Vater zweier Töchter und war verheiratet mit Elisabeth Lüthold (gest. 2004). Und er betätigt sich seit vielen Jahren als Autor, neu auch als Lyriker.

Gedichte als Geschenk

Was Andreas Iten ist, das wurde im Burgbachkeller erneut bewusst: frei im Denken, frei im Handeln. Der Nostalgiechor des Zuger Kantonalen Frauenbunds unter Leitung von Schwester Priska wies noch auf einen weiteren Vorzug hin: «Was kann Andreas denn dafür, dass er so schön ist...» Der Schauspieler Walter Sigi Arnold las aus den Gedichten des Geburtstagskinds vor, die dieser seinen Gästen als Geschenk mit nach Hause gab. Und schliesslich überraschte das Luzerner Duo Canaille du Jour mit einer erfrischend frechen Performance. Pianist Christov Rolla und Sänger Max Christian Graeff prägten denn auch den prägnant-lustigsten Satz des Abends: «100 Jahre Dada, 80 Jahre Iten». (Susanne Holz)

 

Lyrik ist eine Gratwanderung

Andreas Iten im Gespräch über sein Leben, sein Schaffen, über sein neues Buch und über Politik.

Rückblickend auf 80 prall gefüllte Jahre: Was ist wichtig im Leben?

Andreas Iten: Dass man sich immer wieder freischaufeln kann. Natürlich war ich in meinen verschiedenen Rollen als Vater, Lehrer, Politiker verpflichtet, Erwartungen zu erfüllen. Aber ich habe mir stets jene Freiheit erkämpft, die ich für das Schreiben brauchte, und dies bewahrte mich vor Routine, aber auch vor satter Zufriedenheit mit dem Erreichten. Ein Schriftsteller ist nie am Ziel. Er ist immer kleiner, weil die Sprache grösser und mächtiger ist. Eine spielerische Beschäftigung neben dem Beruf scheint mir zwingend, sonst wird man gewöhnlich.

Wie haben Sie nur alles zeitlich unter einen Hut gebracht? Arbeit, Familie, Politik, Präsidentschaften?

Iten: Meine Frau war als Sängerin eigenständig. Sie liess mir den Raum, weil sie ihn selber auch brauchte. Im Sommer erholten wir uns längere Zeit auf dem Zeltplatz. War ich noch im Arbeitsrhythmus, schrieb ich täglich an einem Text oder einem Buch, bis jede Motivation wegfiel. Ganz erholt kamen wir zurück, und diese langen Sommerferien mussten für ein ganzes Jahr reichen.

Wann haben Sie Ihre poetische Ader entdeckt? Und was macht Ihnen mehr Freude, Epik oder Lyrik?

Iten: Ich habe nur selten lyrische Gedichte geschrieben. Lyrik ist für jeden Schriftsteller eine Gratwanderung. Lyrik verdichtet ein Erlebnis, eine Erfahrung, eine emotionale Situation auf wenige Zeilen. Wenn das Gedicht gelingt, steht die Lyrik über der Epik. Alle meine Werke, von Fachbüchern bis zu den Romanen, sind in Prosa geschrieben. Mit lyrischen Gedichten begann ich in den Neunzigerjahren, aber auch schon als Seminarist.

Woraus speist sich Ihr schriftstellerisches Talent? Aus Vorfahren, dem Ägerital oder einfach aus Ihnen selbst?

Iten: Mein Urgrossvater grossmütterlicherseits war ein musikalisches und dichterisches Talent. Er war Oberstufenlehrer in Unterägeri. In den «Heimatklängen» der Zuger Nachrichten veröffentlichte er viele Gedichte. Vielleicht ist die Schreiblust ein kleiner Rest seiner Gene. Das Dichterische fehlt sonst in unserer Sippe, die Bäcker, Wirte, Bauern und sonstige Unternehmer hervorgebracht hat.

«Wolkenkuckucksheim» – so heisst Ihr jüngstes Buch, das Stammtischgespräche mit griechischer Mythologie verknüpft. Was mögen Sie an der griechischen Mythologie? Hatten Sie bei diesem Buch übrigens viele reale Politiker im Blick?

Iten: Ja, das sehen Sie schon, wenn Sie die wunderbaren Karikaturen im Buch anschauen. Die griechischen Sagen dienten mir, um anhand der politischen und gesellschaftlichen Vorfälle, von denen die Medien im Sommer 2014 berichteten, zu zeigen, dass sich der Mensch im Grunde nicht verändert hat. Die heutigen Halbgötter handeln wie die Götter in den griechischen Sagen. Das ist verblüffend, ja man könnte resignieren, wenn man dies genau bedenkt. Es gab aber auch Dionysos, der den Menschen den Wein gebracht hat. Beim Schreiben hatte ich immer den Stammtisch in den Ohren, an dem ich lange Jahre politisiert habe.

Was würden Sie heutigen Politikern gerne mit auf den Weg geben?

Iten: Ich habe keine Belehrungen zu geben. Allerdings habe ich in meinem Werk «Lust an der Politik. Von Stil, Anstand und Vernunft in der politischen Debatte» alles ausgeführt, was ich dazu zu sagen hatte und habe. Die Würde des Amtes ist durch die Herabsetzung der Classe politique schwer beschädigt worden. Das Vertrauen in die Politik ist weitgehend verloren gegangen. Es muss alles getan werden, dass dieses wiederhergestellt wird.

Wären Sie in der SP eigentlich nicht besser aufgehoben als in der FDP?

Iten: Nein, wie kommen Sie darauf? Ich bin ein liberaler Freisinniger mit sozialer Empathie. Jeder weiss, dass der Staat die Aufgabe hat, dafür zu sorgen, dass das stets labile Gleichgewicht in der Gesellschaft nicht verloren geht. Da stütze ich mich noch immer auf die FDP, jedenfalls auf jene, die sich nicht zu sehr rechts aussen anbiedert. Die FDP war und ist eine Volkspartei, und sie muss es bleiben.

Was sagen Sie zur vergangenen Sonntag vom Volk klar abgelehnten Durchsetzungsinitiative?

Iten: Ich habe meine Ansicht dazu in einem Leserbrief in Ihrer Zeitung dargelegt. Und wie die Abstimmung gezeigt hat, stand ich mit meinen Argumenten auf der richtigen Seite. Darüber hinaus würde ich es begrüssen, wenn das Parlament endlich ein Verfassungsgericht postulieren würde, damit unsinnige Initiativen gar nicht vors Volk kommen würden. Nehmen Sie die nächste, die ansteht: «Landesrecht vor Völkerrecht». Sie ist für mich purer Unsinn, geeignet, die Gerichte anzugreifen und den Rechtsstaat mit seinen drei Gewalten von einer anderen Seite wieder zu desavouieren. (Interview Susanne Holz)