Zur Live-Film-Vertonung nach New York
Musik
Ende dieser Woche tritt Jörg Schneider im Lincoln Center auf. Der Zuger Trompeter wird mit dem Collegium Novum Zürich zum Kultur-Botschafter der Schweiz.
Zug – Der schmucke Fachwerkbau ist eines der ältesten Häuser im Dorf Lengnau bei Biel. Exponiert an erhöhter Lage mit der Jurakette im Rücken, reicht der Blick von hier bis zur majestätischen Alpenkulisse am Horizont. An diesem beschaulichen Ort lebt Jörg Schneider (siehe Kasten) mit seiner Familie. Seit der gebürtige Zuger vor 20 Jahren seine Stelle als Trompeter beim Orchester Biel Solothurn angetreten hat, ist die Region an der Aare zwischen Biel und Solothurn zu seiner Wahlheimat geworden.
Doch Ende Woche steht für den 47-Jährigen ein Ausnahmeauftritt an. Mit dem Collegium Novum Zürich er ist Gründungsmitglied des Ensembles – spielt der Zuger im Lincoln Center in New York. Der Gebäudekomplex in Upper Manhattan, zu dem auch die Metropolitan Opera gehört, ist das grösste und bekannteste Kulturzentrum New Yorks und eines der bedeutendsten weltweit. New York begeht aktuell ein Festival des Dadaismus. Und weil vor 100 Jahren die Dada-Bewegung in Zürich ihren Ursprung hatte und in der Folge auch die amerikanische Kultur nachhaltig beeinflusste, spannt New York an diesem Festival mit der Limmatstadt zusammen.
Als «Botschafter» war ursprünglich das Tonhalle-Orchester auserkoren. Doch weil die Carnegie Hall als vorgesehener Aufführungsort zum geplanten Zeitpunkt nicht verfügbar ist, fiel die Wahl auf das Collegium Novum. «Das ist ein grosses Glück für uns», sagt der 47-Jährige. Obschon das Ensemble rege im In- und Ausland tätig ist, tritt es zum ersten Mal in den USA auf. «Und dann noch an einem so bedeutsamen Ort», sagt der Zuger begeistert.
Musik zu Edgar Allan Poe
Jörg Schneider wird dabei als Solist gar eine Hauptrolle spielen: bei einer Live-Vertonung des Stummfilms «The Fall of the House of Usher» von James Sibley Watson Jr. und Melville Webber aus dem Jahre 1928 nach einer Geschichte von Edgar Allan Poe. Das Projekt war aus der Idee von Jörg Schneider hervorgegangen, einen Film zu vertonen. «Doch es zeigte sich, dass ein neuer Schweizer Film zu diesem Projekt den finanziellen Rahmen sprengen würde», sagt der Zuger. Deshalb machte er sich mit Jens Schubbe, künstlerischer Leiter des Collegium Novum, auf die Suche nach schon vorhandenem Material. «Nachdem die Wahl auf die Poe-Story gefallen war, fragten wir uns, wer für diesen Stummfilm eine passende Musik schreiben könnte.» Die Wahl fiel auf die in Berlin lebende Komponistin Iris ter Schiphorst. «Sie verfügt über Erfahrung im Vertonen von Filmmaterial», so der Zuger. Ihr Stil sage ihm zu, denn «sie kennt keine Berührungsangst, wenn es um die Wahl von Musikstilen geht für das Medium Film.» Das Resultat hat Jörg Schneider dann auch überzeugt. «Sie hat sich mit dem Film intensiv auseinandergesetzt und es geschafft, mit ihrer Musik die Stimmung der Bilder treffend hervorzuheben.»
Eine einzigartige Gelegenheit
Die Uraufführung des Projekts ist im März im Museum für Gestaltung in Zürich erfolgt. Es verlief reibungslos, doch birgt die Live-Vertonung eines Films einige Schwierigkeiten, insbesondere was den technischen Aspekt betrifft. Denn die Töne sollen schliesslich sekundengenau mit dem dazu gehörigen Bild übereinstimmen. Und bei einer Geschichte à la Edgar Allan Poe, wo eine steigende Spannungskurve oft in einem plötzlichen Überraschungsmoment mündet, ist diese Herausforderung besonders gross. «Aus rein musikalischer Sicht ist die Komposition mittelmässig anspruchsvoll», erklärt Schneider, «denn es handelt sich ja um eine Art Gebrauchsmusik. Sie passt hervorragend zur Filmhandlung und verstärkt die Wirkung der Bilder.» Dabei spielt das 18-köpfige Ensemble genau nach der Notenpartitur. «Einzig mir als Trompetensolist bleibt ein gewisser Raum zur Improvisation», erklärt der Zuger, für den der Auftritt im Lincoln Center eine einzigartige Gelegenheit bedeutet.
Zum Pausieren gezwungen
Dabei war es unlängst noch nicht klar, ob Jörg Schneider so etwas überhaupt je wahrnehmen könnte, denn eine berufsbedingte Verletzung an der Oberlippe hatte ihn gezwungen, über rund eineinhalb Jahre hinweg die Trompete ruhen zu lassen. «Es stand in den Sternen, ob ich mein Instrument überhaupt jemals wieder spielen kann», erinnert er sich. Doch die Verletzung ist glücklicherweise abgeheilt, und Jörg Schneider kann uneingeschränkt musizieren.
Neben der Live-Musik-Vertonung von «The Fall of the House of Usher» spielt das Collegium Novum im Lincoln Center vier weitere Vertonungen zu Leinwandwerken aus der Stummfilmzeit. Es handelt sich um Partituren von Hanns Eisler, Erik Satie und Carola Bauckholt. Im Gegensatz zu Schneiders Auftragswerk an Iris ter Schiphorst handelt es sich bei den übrigen Werken um bereits mehrfach aufgeführte Kompositionen.
Der nächste Einsatz ruft
Morgen macht sich Jörg Schneider gespannt und erwartungsvoll auf seinen Kurztrip nach Manhattan, wo ihn und seine Mitmusiker laut Angaben des Veranstalters ein volles Haus erwartet. Am Tag nach der Aufführung führt die Reise bereits wieder zurück nach Biel, wo ihn der nächste Auftritt mit dem Sinfonieorchester erwartet. Doch mit dem Collegium Novum zieht es den Zuger bereits im Juni wieder über die Landesgrenze. Ein Konzert im Centre Pompidou in Paris mit dem Streichquartett Sine Nomine und dem Gesangsperformer David Moss steht auf dem Programm. (Andreas Faessler)
Jörg Schneider, Berufsmusiker
KURZBIOGRAFIE FAE. Jörg Schneider (47) ist in Zug geboren und aufgewachsen. Er studierte an den Konservatorien in Zürich und Rotterdam Trompete, an der Schola in Basel Barocktrompete und in Genf Komposition, Arrangement und Zink (historisches Holzblasinstrument des 17. Jahrhunderts). Er ist Gründungsmitglied von Collegium Novum Zürich. Mit diesem Ensemble trat er als Interpret auf den grossen Bühnen und Festivals in Europa auf. Für das Schweizer Fernsehen vertonte Jörg Schneider mehrere Dokumentarfilme. Seit 20 Jahren ist er Mitglied beim 1969 gegründeten Sinfonieorchester Biel Solothurn. Dort ist er Solotrompeter. Der Zuger lebt seit neun Jahren mit seiner Frau und seiner neunjährigen Tochter in Lengnau BE.
www.jorgschneider.ch