Wie man in Zug die Hexen erfand

Brauchtum & Geschichte, Vermittlung

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Die Geschichtenerzählerin Maria Greco nimmt sich in ihrer neuen Tour eines düsteren Kapitels Zuger Geschichte an. Von Henkern, Hexen und einer Gewalt, die fassungslos macht.

  • Die Geschichtenerzählerin Maria Greco führt ihr Publikum dieses Mal in eine düstere Zeit. (Bild: zvg)
    Die Geschichtenerzählerin Maria Greco führt ihr Publikum dieses Mal in eine düstere Zeit. (Bild: zvg)
Zug – Dieser Text ist in der September-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Ob sie gewusst hat, was sie da tut? Am 7. August 1737, einem Mittwoch, trat die sechzehnjährige Katharina Kalbacher vor den Zuger Ammann und verkündete, sie sei eine Hexe. Was folgt, ist eine Tragödie. Sie endet mit acht Hinrichtungen. Das ist wohl der gnädigere Teil daran.
Dazwischen: Folter, Schreie, Schmerzen, Anschuldigungen, Gewalt, Selbstgerechtigkeit, Macht. 400 Seiten lang ist das Transkript der Verhöre dieses letzten grossen Hexenprozesses, der in der Stadt Zug ausgetragen wurde. «Irgendwann kannst du das nicht mehr lesen», sagt Maria Greco. Sie hat es doch getan: Knapp 300 Jahre nach der behördlichen Folter hat die Baarer Erzählerin sich durch die Transkripte gearbeitet und sich angeschaut, was damals im Verhörraum des Cheibenturms in der Zuger Altstadt getan worden ist.
Greco möchte dieses düstere Kapitel der Zuger Geschichte aufarbeiten und es in Form einer Theaterführung durch die Stadt sichtbar machen. «Es ist tatsächlich ein düsteres Kapitel», sagt Greco, «und wir würden es wohl am liebsten vergessen: Das Denkmal für die Hingerichteten hinter der Schutzengelkapelle ist klein, überwuchert und mit Vogelkacke übersäht.» Kein Ort des Gedenkens, eher einer, den man gerne übersieht. «Trotzdem muss man das annehmen: Es ist hier passiert, das gehört zu unserer Geschichte. Und wir können das auch anschauen und es als das betrachten, was es ist: Da haben reiche Menschen der Macht willen sich an Menschen ausgelassen, die ihnen nicht wichtig waren – das Pack muss raus, dachte sich wohl der Ammann, jetzt statuieren wir ein Exempel.»

Jemand muss schuld sein
Es war eine Zeit der Unsicherheit, ununterbrochener Regen, krankes Vieh, der Hagel hat im Mai alles vernichtet, was hätte zu Früchten werden können. «Da kam schnell der Gedanke auf, es müsse wohl jemand schuld daran sein: Das ist Hexenwerk, da hat der Teufel seine Finger im Spiel», sagt Greco. Womöglich wären auch soziale Unruhen eine Option gewesen. «Die kleinen Menschen litten Hunger, während die Zurlaubens und Co. sich die feinsten Stoffe aus Paris schicken liessen», sagt Greco. Die Unruhe wussten die Zuger Ammänner zu unterbinden: Mehr als die Hälfte aller Hinrichtungen fallen in die vier Amtsperioden der beiden Ammänner Beat II. Zurlauben (1597–1663) und Georg Sidler (um 1593–1672). «Die beiden hatten eine Konkurrenzsituation miteinander und wollten wohl beide zeigen, wo der Hammer hängt und wer das Sagen hat.»

Gewalt für den Machterhalt
Ihre Nachfolger taten es nicht anders, so auch 1737 unter dem Zuger Ammann Johann Christian Blattmann. Das war Machtpolitik – mit Religiosität hatte das nichts zu tun. Auch die Kirche sei nicht involviert gewesen, höchstens durch ihr Schweigen. «Da ging es um weltliche Macht.»
Zuvor waren über diverse Amtszeiten nur wenige Todesurteile pro Jahr vollstreckt worden: Unter Zurlauben waren es plötzlich deren 32. Hauptsächlich aus den unteren sozialen Schichten: Frauen, Jugendliche, Kinder. «Das ist furchtbar, sich vorzustellen, wie der Henker ein achtjähriges ausgemergeltes Geschöpf auf seiner Streckbank foltert, damit es irgendwann zugibt, sich mit dem Teufel eingelassen zu haben   einfach damit es aufhört.»
Greco hat sich an die vom Baarer Historiker Philipp Bart angefertigten Transkripte während mehrerer Jahre immer wieder herangearbeitet. Dabei ist nun eine vielschichtige Theaterführung entstanden, die das Geschehene auf 
lebendige Art und Weise fassbar machen will. Eine Führung, die zeigen möchte, wie es so weit gekommen sein könnte. Und auch die Menschen dahinter sichtbar machen will: Den Ammann, der als Richter politische Ziele verfolgt, den Henker, der sich Gedanken um die richtige Technik macht, und eben auch die Jugendliche Katharina Kalbacher, die sich selbst und so viele andere ins Verderben geführt hat.

Wie konnte es so weit kommen?
«Katharina Kalbacher würde man aus heutiger Sicht vielleicht als aufmüpfige pubertierende Jugendliche sehen, die auf sich aufmerksam machen will», sagt Greco. «Aber wir wissen es nicht, so bleibt es eine Vermutung.»
Sie denunziert andere, schickt mit ihren Anschuldigungen sieben Menschen in einen schrecklichen Tod und viele weitere in die Folter, bis sie selber hingerichtet wird. Es ist der letzte grosse Prozess in der katholischen Innerschweiz, bei dem ein Mensch aufgrund von Hexerei hingerichtet wird.
Greco führt ihre Gäste durch die Stadt, zeigt ihnen die Orte des Geschehens und die Protagonisten, alles Menschen mit Namen, wie man sie auch heute noch kennt: Bossards, Stadlins, Kopps. «Es fährt schon ein, sich das vor Ort anzusehen: Das war hier, hier ist das geschehen. Man sitzt dann manchmal mit einem anderen Gefühl auf dem Bänkli am Seeufer und schaut zum Cheibenturm rüber. Die Schreie müssen ja bis weithin hörbar gewesen sein, das muss fürchterlich gewesen sein.»
Wie kann man sich so schrecklichen Themen auf eine gute Art und Weise nähern? Greco denkt nach und sagt: «Indem man akzeptiert, dass das so war. Ändern können wir es nicht mehr, aber aufklären und aufzeigen, was war. Wir müssen auch zu den dunklen, weniger schönen Seiten, unserer Geschichte stehen können.»
Parallelen könne man mit Vorbehalten auch bis in die heutige Zeit ziehen, fügt Greco an. «Die Medien und Transportmittel für solche Denunziationen sind heute andere, und die Konsequenzen auch: Heute wird man nicht mehr zum Tode verurteilt, sondern erlebt womöglich einen zerstörerischen medialen Shit-Storm. Aber die Mechanismen sind dieselben.»

(Text: Falco Meyer)

Hier gehts zur Tour: https://www.zugkultur.ch/M52hUE