Die Splitter einer ganzen Karriere

Theater & Tanz, Musik

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Osy Zimmermann geht nochmal aufs Ganze. Respektive: geht auf seine ganze Karriere los. Für seinen Abschied holt er die besten Stücke hervor.

  • Osy Zimmermann in seinem Atelier. (Bild: Fotozug.ch / Christian Herbert Hildebrand)
    Osy Zimmermann in seinem Atelier. (Bild: Fotozug.ch / Christian Herbert Hildebrand)

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der März-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Also nimmt er einfach das Schwyzerörgeli, drückt probehalber ein paar Tasten und singt dann: «Ich bin de Verschacher–Seppeli, im ganze Land bekannt», singt Osy Zimmermann, «bi früener s flottischt Pürschtli gsi, jetzt bini Spekulant.»
Wir sitzen in seinem Arbeitszimmer an der Oswaldsgasse in Zug, direkt neben der Kirche, etwas tiefergelegt, dafür mit hoher Decke und breiter Glasfront in den Garten. Versteckte Lampen sorgen für Sonnenlicht.

Hier hat Zimmermann die letzten Jahrzehnte lang seine Bühnenprogramme ausgeheckt, zusammen mit seinem Spielpartner Paul Steinmann. «Wir haben immer gut gekocht, gut gegessen und dann einen Abend lang zusammen gearbeitet – er sitzt hier am Tisch und schreibt, und ich am Klavier und singe und probiere das gleich aus. So haben wir immer was zusammenbekommen, meistens sogar viel zu viel.» Und hier sucht er nun die Splitter einer Bühnenkarriere zusammen, für sein allerletztes abendfüllendes Programm. Zimmermann ist nun 72 Jahre alt. Seine Karriere geht zu Ende, respektive, er räumt auf. «Ich denke, ich werde einige Nummern aus den letzten 40 Jahren bringen, aber das entsteht dann am Abend im Burgbachkeller. Hoffentlich ergibt sich das ganz flüssig.»

Zwei volle Abende sind geplant, beide schon praktisch ausverkauft. Zimmermann lässt sich von Paul Steinmann interviewen, dazwischen verwebt er die Dinge, die er am besten kann. «Meine Talente», sagt er, «Gesang, Schauspiel, Sprechnummern». Und Menschenverständnis. Hier geht etwas zu Ende, das ganz eigen- und einzigartig war. Osy Zimmermann ist ein Kulturgewächs der widerstandsfähigen Sorte. Nie ganz im Rampenlicht verglüht, nie ganz in der Versenkung verschwunden. «Ich wollte einfach nie, dass mich die Bühne vereinnahmt», sagt er. «Deshalb habe ich wenn immer möglich meine Programme und mein Leben in meinem eigenen Rhythmus organisiert.» Das bedeutet auch: immer wieder mal vom Radar zu verschwinden. Ganze Sommer in Frankreich zu verbringen, Monatelang nicht zu spielen. Und dann trotzdem wieder aufzutauchen.

Schwung geholt beim Fernsehen
Zimmermann wurde auf der Bühne gross in den späten 70er-Jahren. Und zwar schnell. 1977 war er kaum mit dem ersten Soloprogramm aufgetreten, wurde das Fernsehen auf ihn aufmerksam. Da schwappte eine Welle an, die ihm Schwung für eine ganze Karriere bringen sollte. Zimmermann war beim ORF, bei ARD, beim Schweizer Fernsehen, gewann den Salzburger Stier und spielte die nächsten Jahre auf fast allen Bühnen, die die Schweiz, Deutschland und Österreich zu bieten hatten.

«Was ich damals gemacht hatte, war ganz neu», sagt Zimmermann, «ich sang zwei verschiedene Rollen in Koloratur und Bariton und konnte so Operngeschichten erzählen – über vier Oktaven hinweg. Damit war ich der Einzige, deshalb hat das Fernsehen so reagiert.» Cabriété nennt Zimmermann das, was er tut. Nicht ganz Cabaret, dafür findet er sich nicht politisch genug, aber auch nicht nur Varieté. Zimmermann braucht seine eigenen Kategorien.

Spass mit Schubert
Der an der Luzerner Jazzschule und gleichzeitig klassisch ausgebildete Sänger verwebt feinen Humor mit Musik, spielt auf der Klaviatur unseres kulturellen Erbes, macht Spass mit Schubert und Witz mit der Oper und wird dann trotzdem so dreist, dass ihm die Programmverantwortlichen beim damaligen Schweizer Fernsehen sagen, so geht das nicht, das kann man dem ­Publikum nicht zumuten.

Zum Beispiel den siebenminütigen Einspieler von 1989, in dem Zimmermann der Schweiz in der Rolle eines Musiklehrers den Treibhauseffekt anhand einer vollen Guetzlischachtel bildhaft, aber exakt erklärt, und das mit einer an Zynik grenzenden Abgeklärtheit, die alles andere als harmlos ist. Hätten sie auf ihn gehört, damals, die Schweizer, vielleicht wären wir heute den Klimazielen ein halbes Grad näher. Dann kam der Bruch mit dem Fernsehen, und Zimmermanns eigentliche ­Karriere begann: die Kleinkunst-Bühne.

Respektive: jede Kleinkunstbühne. Der junge Zimmermann stand damals vor einer ähnlichen Entscheidung wie Michael Elsener mit seiner Show «Late Update» heute (siehe letzte Ausgabe). «Sie wollten mich im Fernsehen haben, ich sollte zusammen mit Alfred Biolek eine Show komoderieren. Ich habe Nein gesagt. Ich konnte mir nicht vorstellen, meine Programme den Vorstellungen anzupassen, die die Verantwortlichen vom Fernsehpublikum hatten. Zudem ist das ein Rhythmus, der enorm ist. Was Elsener jetzt leisten muss, das ist unglaublich. Ich wollte das damals nicht.»

Hin zu den feinen Gedanken
Also führte der Weg weg von den plakativen und hin zu den feinen Gedanken, den kleinen Bühnenmomenten, weg von der Masse der Fernsehkonsumenten und hin zu den einzelnen Menschen, die nach dem Auftritt noch an der Bar stehen. «Dort erlebst du die Menschen ganz offen, die lassen mit sich reden.» Den Verschacher-Seppeli vom Anfang, den hat er in einer Bar in Luzern gesungen, Anlass war ein Fest eines Frauenverbandes, aber in der ersten Reihe sass ein Stammgast, Typ Villiger Krumme.

«Als ich das Lied gesungen habe, hat er mich mit grossen Augen angesehen», sagt Zimmermann. Das Lied hat fünf Strophen und endet damit, dass der Spekulant Seppeli völlig kaputt in einer Reha-Klinik landet, was er ganz okay findet, weil er da Pornos im Bezahlfernsehen schauen kann. «Nach dem Auftritt bin ich zu dem Mann hin und habe gesagt, ich habe das Gefühl, dass es ihm gefallen habe. Und er sagt: Ja, also wie du singst, das ist ja wunderbar, wie du in diese Höhen hinaufkommst und jodelst. Aber der Seich, den du erzählst, furchtbar!»

Zimmermann lacht. Die Episode ist bezeichnend für seine Kunst. Sie ist insofern zugänglich, als man auch nur einen Teil davon gut finden kann. Seine Programme mit dem Oswald Streich-Trio etwa, eine Persiflage auf den klassischen Musikbetrieb, sind so fein gestrickt, dass die Hälfte der Leute im Publikum gar nicht gemerkt hat, was daran lustig ist – und weshalb diese klassische Musik nun eine Parodie sein soll. «Die finden dann die Musik einfach schön», sagt Zimmermann.

Der Segen der schwierigen Leute
«Das ist es, was ich in diesen 40 Jahren erlebt habe: Begegnung mit Menschen.» Oft mit schwierigen Personen. «Von denen gibt es im Kulturbetrieb besonders viele – und das sind die Leute, die dir etwas schenken», sagt Zimmermann. «Ich habe gelernt, dass es diese Leute sind, die dich dazu bringen, über dich nachzudenken.» Wenn man es denn aushalte, ihrer Schwierigkeit nicht mit Ablehnung zu begegnen.
Ob er selber ebenfalls schwierig geworden ist, ist schwer festzustellen. Vielleicht war er es früher mehr. Wie damals, als er als Kind mit seinen beiden Schwestern vor vollem Saal singen sollte – und die Schwestern von der Bühne geschickt hat, weil sie falsch gesungen haben.

Den Eltern zuliebe hat er dann doch noch etwas Richtiges gelernt, zuerst Typografie und dann Marketing. Erst mit 32 ist er auf die Bühne. Und jetzt geht das zu Ende. Wieso eigentlich? «Es ist mir zu anstrengend geworden», sagt Zimmermann, «die Organisation der Touren und die abendfüllenden Programme.» Vorbei die kurzen Zeiten, als Zimmermann mit dem Flugzeug von Bühne zu Bühne flog. Vorbei die langen Zeiten, als Zimmermann im Speisewagen nach dem Auftritt noch drei Stunden nach Hause fuhr. Vorbei die Zeiten, als das Publikum sich nach dem Auftritt auch noch auf eine Begegnung einliess. Zimmermann blüht noch einmal auf, und dann macht er Winterruhe. Zumindest fürs Erste.

(Autor: Falco Meyer)

Zum reinhören: Verschacher-Seppeli von Osy Zimmermann.