Musik zur Mittsommernacht

Musik

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Das Stadtorchester Zug spielte vor eineinhalb Jahren zum letzten Mal im Theater Casino. Jetzt stürzte es sich freudig in ein musikalisches Programm voller Sonne und Emotionen – unter seinem neuen Dirigenten Joonas Pitkänen.

  • Nordische Weisen: das Stadtorchester Zug mit seinem neuen Dirigenten Joonas Pitkänen. (Bild Stefan Kaiser)
    Nordische Weisen: das Stadtorchester Zug mit seinem neuen Dirigenten Joonas Pitkänen. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Wir stehen in der Sommersonnenwende. Besonders im europäischen Norden wird die kürzeste Nacht, in der mancherorts die Sonne nicht ganz untergeht, seit Menschengedenken gefeiert – mit Geselligkeit, Liedern, Musik und Tanz. Und so ist das Konzert konzipiert, mit dem das Stadtorchester Zug nach langen pandemischen Monaten wieder zu den Bögen greift. Denn dem Covid-Pilotprojekt wurden nur die Streicher bewilligt, aber diese fiedeln am Sonntag vor noch reduziertem, maskenbewehrtem Publikum so hingebungs- und gefühlvoll drauflos, dass Schönheit und Zuversicht aufleuchten.

Ihr Konzert ist spätromantischer Musik gewidmet und steht unter dem Motto «Nordische Klänge». Joonas Pitkänen, der junge finnische Dirigent, der damit sein Zuger Debüt gibt, erklärt in einer herzlich-humorvollen Willkommensansprache, warum: «Das ist ideal für den Sommer. Denn nordische Musik hat sehr oft Tanzcharakter und kommt aus der Volksmusik.»

Und so halten die «Pelimannit», die «Spielleute» (op. 1) des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara mit breiten, sonoren Bogenstrichen selbstbewusst ihren Einzug in die Stadt, ohne sich über den richtigen Ton einig zu sein, was fastnachtsartige Dissonanzen und damit Komik ergibt. Dann übt ein Geiger in den «weissen Nächten» des Sommers im Wald seine Solo-Etüden, dieser antwortet mit murmelnden Naturstimmen, bis alles – mit einer abwärtsfallenden Handbewegung des Dirigenten – erlischt. Sogar der Teufel sitzt irgendwo melancholisch am Waldrand, unzugänglich für den aufgeführten Schottisch. «Hypyt – Sprünge» aber reisst die Tanzbeine trotz Alkoholnebels wieder in die Höhe.

Zu Tränen gerührt

Vom Briten Gustav Holst wird die bekannte «St.Paul’s Suite» aufgespielt. Wie im dritten Satz «Intermezzo» die Solovioline des Konzertmeisters Alin Velian über den Pizzicati des Orchesters ihre Traurigkeit verhalten in die Höhe steigen lässt, um dann plötzlich ihren Schmerz gleichsam hinauszuschreien, wie dann eine Bratsche diese Seelenmelodie übernimmt, wie sich das wiederholt und in einem Gefühlssturm aller Instrumente aufgipfelt, ist so wahrhaftig schön, dass es zu Tränen rührt. Das Finale aber, eine Fantasie über den Militärmarsch «Dargason», ist wieder ein Tanz, diesmal kanonisch gebaut: Flucht und Verfolgung, ein sommerliches Fangspiel unter Bäumen. Denn auf einmal zieht darüber – wie ein Wind durch das Blattwerk – die Melodie von «Green­sleeves» hinweg, bevor das Tänzerische wieder überhandnimmt. Dirigent Pitkänen marschiert mit rudernden Armen mit, seine energischen Bewegungen übertragen sich sichtlich auf die Bässe und ihr Staccato; dann wieder wird seine Gestik still und zärtlich – wenn es nachtet, die Menschen ermüden, die Melodie nur noch eine schwebende Ahnung ist.

«Ein weiteres Merkmal nordischer Musik ist die Sentimentalität», sagt der junge Finne. Vor jedem der fünf gespielten Stücke führt er das Publikum mit ein paar Bildern, Gefühlsbeschreibungen oder Minigeschichten in deren Universum ein. So machen seine Worte und seine gestische Sprache die Musik durchlässig und inniger erlebbar, und das Publikum dankt es ihm mit Raunen, Staunen, Lachen und Lächeln. Er hat keine Angst vor grossen Gefühlen: Mit dem amerikanischen Operettenkönig Victor Herbert lässt er, von Harfe und Triangel unterstützt, die Donau im Walzertakt wogen («Air de Ballet»); und ein «Sonnenuntergang» zwischen majestätischem Farbspiel und grillenhafter Zartheit ist reine Stimmungsschilderung – «über der Brooklyn Bridge, wer weiss?» Am Ende erzählt Jean Sibelius’ Rakastava, «Der Liebende», die älteste Geschichte der Welt: den Gefühlsüberschwang einer Sommerliebe, den schimmernden Weggang der Geliebten, und ein schluchzendes Lebewohl. Mit Edvard Griegs «Bauerntanz» (op. 63) aber hüpfen, fiedeln, zupfen die Musizierenden noch einmal einen Tanz: Füsse stampfen, Röcke fliegen, Frauen werden herumgewirbelt, Männer gockeln, alles dreht sich im Kreis.

Der Applaus ist lang und herzlich. Das Stadtorchester freut sich, so sein neuer Präsident Gregor Hotz, «riesig auf die kommenden Konzerte mit unserem neuen Dirigenten». (Dorotea Bitterli)