Sie hat ihr Handwerk im Griff

Coutumes & histoire

,

Dass sie dereinst ganze Trachten schneidern würde, hätte sich Alice Häseli als junge Frau nie vorstellen können. Heute ist sie Expertin für die tradi­tionellen Kleider.

  • Seit 1981 fertigt Alice Häseli Trachten an. Für das Bild hat sie ihre Werktagstracht angezogen. (Bild Stefan Kaiser)
    Seit 1981 fertigt Alice Häseli Trachten an. Für das Bild hat sie ihre Werktagstracht angezogen. (Bild Stefan Kaiser)

Baar – Voller Stolz zeigt Alice Häseli den fein verarbeiteten Filigranschmuck, den sie bei sich zu Hause, in schwarzes Seidenpapier verpackt, aufbewahrt. Der «Deli» genannte Anhänger, das fragile Armband und die sogenannte Zuger Kette kosten bereits ein kleines Vermögen, sind aber lediglich Einzelteile. Einzelteile eines Gesamtwerks, für das Liebhaberinnen bis zu 10 000 Franken berappen müssen. Die Rede ist von einer Zuger Festtagstracht. Das edle Kleidungsstück wird nur an besonderen Anlässen getragen, wie Alice Häseli erzählt. «Zum Beispiel an einem grossen Trachtenfest.» Für «gewöhnlichere» Veranstaltungen hat die Baarerin zusätzlich eine Ausgangs- sowie eine Werktagstracht im Schrank – notabene alle selbst hergestellt.

Einnähen und Auslassen

Alice Häseli ist eine der beiden Trachtenschneiderinnen des Zuger kantonalen Trachtenverbandes, der heuer sein 75-Jahr-Jubiläum feiert. Seit über 35 Jahren stellt sie die prachtvollen Kleider her – und ist nach wie vor mit Leidenschaft dabei. Die Trachten entstehen im Nähzimmer von Häselis Wohnung in Arbach. Hier finden sich feine, handgewobene Stoffe aus Poschiavo GR, gestärkte, weisse Blusen, Bänder aus Samt, mit Glasperlen bestickte Fichus, edle Stroh- oder Schwefelhüte sowie Kragen aus Tüll. Auch einige Occasionstrachten besitzt die 65-Jährige. «Nur wenige Frauen lassen sich heute eine komplett neue Tracht anfertigen.» Es sei günstiger, eine Tracht zu übernehmen und dann anpassen zu lassen. Einnähen oder Auslassen sind denn auch die Hauptaufgaben, die Alice Häseli wahrnimmt. «Wobei ich öfters auslassen muss», wie sie mit einem Lachen erwähnt. 

Für eine komplett neue Tracht benötigt Alice Häseli zwischen 30 und 60 Stunden. Reich werde man mit der Arbeit nicht, erklärt sie. Dieser Umstand stört die Expertin aber keineswegs. «Ich konnte immer daheim arbeiten. Das war für mich als Familienfrau ideal», sagt die Mutter von drei erwachsenen Kindern. Ausserdem mache man eine solche Aufgabe «aus Leidenschaft und nicht wegen des Geldes».

Das Sonntagsgewand

Auf einem Bauernhof in Arbach aufgewachsen, kam Alice Häseli schon als kleines Mädchen mit den traditionellen Kleidern in Berührung. «Wir haben die Tracht jeweils zum Ausgehen angezogen, es war das Sonntagsgewand», erzählt sie. Eine Tracht von A bis Z selber zu fabrizieren, hätte sie sich als junge Frau nie vorstellen können, schildert die Baarerin – auch weil sie nie eine Schneiderlehre absolviert habe. Alice Häselis Begeisterung für das Handwerk weckte schliesslich ihre Tante Ida Dossenbach, selber erfahrene Trachtenschneiderin und Mitgründerin der Trachtengruppe Baar. «Sie hat mit mir jede Tracht angeschaut und mir alles im Detail erklärt.» Es dauerte nicht lange, bis Häseli ihr erstes eigenes Stück anfertigen durfte. Endgültig geschehen war es um die ausgebildete Handarbeitslehrerin im Jahr 1981. Mit einer Fahnenweihe feierte der Zuger kantonale Trachtenverband sein 40-Jahr-Jubiläum. «Ich hatte damals noch keine eigene Tracht und durfte jene meiner Schwester für den Umzug anziehen. Ich habe mich auf Anhieb wohl gefühlt. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen», schwärmt Häseli, die dem Verband später während neun Jahren als Präsidentin vorstand.

Lebendige Trachtenszene

Vor einigen Jahren trat Alice Häselis langjährige Kollegin, Trachtenschneiderin Isabelle Peyer, kürzer. Seit 2008 ist Andrea Balmer-Grüter mit dabei. In ihrem Atelier in Hünenberg befindet sich auch das Lager des Verbands. «Ich bin froh, dass ich es abgeben durfte. So konnten mein Mann und ich in eine kleinere Wohnung ziehen», erzählt Häseli. Sie selber denkt noch nicht ans Aufhören. «Ich mache es nach wie vor sehr gern. Die feinen Stoffe und das präzise Handwerk, das begeistert mich.»

Auch wenn die «Modejahre» der Trachten heute vorbei sind, glaubt die langjährige Trachtenschneiderin, dass die traditionellen Kleider auch in Zukunft getragen werden. «Die Trachtenszene ist lebendig, auch jüngere Frauen begeistern sich dafür», sagt Häseli. Gerade im Frühling erhalte sie zahlreiche Aufträge, sei es auch nur für Einzelstücke wie eine Bluse oder eine Schürze. Und welche Tracht trägt die Macherin selbst am liebsten? «Die Festtagstracht», sagt sie mit Überzeugung. Und sie schmunzelt: «Wenn ich sie trage, erhalte ich die meisten Komplimente.» (Rahel Hug)