Grandiose Collage im Kunsthaus
Kunst & Baukultur
Was haben ein Bürgerschreck, eine Zuger Videokünstlerin und Picasso gemeinsam? Sie alle werden in der neuen Ausstellung «Paris sans Fin» meisterhaft zusammengeführt.
Zug – Betritt man im Kunsthaus Zug den ersten Raum, stockt einem der Atem. Erdrückend und doch leicht sind da die Installationen von Illya Kabakov gehängt. Unter anderem ein Triptychon aus drei weissen Leinwänden. Der russische Konzeptkünstler hat diese Bilder 1974 erschaffen, also noch lange vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die drei Bilder brauchen Zeit, bis sie auf den Betrachter wirken; denn erst auf den zweiten Blick nimmt man die kleinen Menschen wahr, die dicht am Rand gedrängt stehen. Sie gehen zwischen Fläche und Bildrand beinahe unter oder werden je nach eigener Perspektive zerquetscht. Kabakov macht damit klar, was der Staatsapparat der Sowjetunion ausmachte – die Ausdehnung desselben, so sehr, dass er den Menschen kaum Platz zum Atmen liess. Der Künstler – den Zugern vielleicht auch durch das «Ship Of Tolerance»-Projekt bekannt – malte die Bilder damals in seinem Atelier, ohne zu wissen, ob diese jemals der Öffentlichkeit gezeigt werden können. Oder dürfen.
Innovative Ausstellung
Kunsthausdirektor und Kurator Matthias Haldemann beweist mit der neuen Ausstellung Mut, zeigt aber auch eine gehörige Portion Innovation: Denn wie bringt man einen Alberto Giacometti und besagten russischen Konzeptkünstler thematisch unter ein Dach? Vielleicht indem man dies subversiv tut, oder gar nicht … oder man stellt als Besucher den Zusammenhang erst im Verlauf der Ausstellung fest.
In den anderen Räumen wird das Thema dann schneller klar: die Kunstmetropole Paris und der Pariser Kubismus. Diese künstlerische Eruption der Jahrhundertwende im Kubismus strahlte weit und hell. Im Kunsthaus wird klar, wie überwältigend diese Strahlkraft war und immer noch ist; angesichts der Fülle an Formen, Fantasie und Talent, die hier versammelt sind. Beginnt man nämlich mit den anderen Räumlichkeiten, also nicht mit demjenigen von Ilya Kabakov, wird man mit der Videoinstallation der Zugerin Annelies Štrba direkt entschleunigt. Die 68-jährige Künstlerin fasziniert mit ihrem Video «Paris 1999» und führt die französische Hauptstadt als Kunstmetropole in «Slow-Motion» bestens ein. Danach geht es direkt weiter mit dem Basler Rudolf Maegelin. Seine Sinfonien in Rot und Orange sowie die bewusste Distanzierung vom fotografischen Realismus faszinieren; heute vielleicht sogar mehr als damals. Maegelins Werke wurden schon zu seinen Lebzeiten mit denjenigen von Fernand Léger verglichen; die beiden waren seinerzeit auch in regem persönlichem Austausch. Dieses Faktum würdigt Matthias Haldemann, indem er passend Bilder von Léger hängt.
Léger wiederum war begeistert von Picasso, sinnigerweise begegnet man diesem dann auch wenig später, in einem weiteren Raum. Picasso, der je nach Sichtweise als einer der Gründer und/oder Hauptexponenten – vor allem während seiner rosa und blauen Periode – gilt, ist im Kunsthaus mit zwei Werken vertreten.
Der Bürgerschreck aus Zürich
Weniger bekannt dürfte der Zürcher Maler Friedrich Kuhn sein; Wikipedia widmet diesem noch nicht mal einen Eintrag. Dabei sind es gerade seine eigenwilligen Werke, die auch heute noch durchaus aktuell sind und frisch wirken. Kuhn ging nicht ins Ausland, wie das andere zu seiner Zeit taten, er etablierte sich lieber als heimischer Künstler und Bürgerschreck (O-Ton Kunsthaus Zürich).
Seine Kompositionen stehen in Kontrast zur abstrakt-konkreten Kunst, welche damals die angesagte Stilrichtung war. Seine Palmen beispielsweise sind legendär; eine Art Kuhn-Markenzeichen, welches sich 1968 durch die Ausstellung «Die Palmen des Friedrich Kuhn» endgültig etablierte. Ergo findet man besagte Palmen in verschiedenen Formen im Kunsthaus Zug im «Kuhn-Raum». Dieser ist überwältigend und zeigt die unglaubliche Vielfalt des Schaffens von Kuhn. Überhaupt vergisst man sich schnell bei der aktuellen Ausstellung «Paris sans Fin» – denn alleine die Auseinandersetzung mit Kuhn könnte Stunden dauern.
Dies gilt natürlich genau so für Giacometti, dem ebenfalls beinahe ein ganzer Raum gewidmet ist: Die Suite «Paris sans Fin» ist schlicht grandios. Die Meisterwerke des Bündners sind bisher eher wenig rezipiert, was eigentlich schon beinahe empörend ist. Erschienen sind die Werke drei Jahre nach Giacomettis Tod, zehn Jahre soll der Künstler daran gearbeitet haben. Und selbst bei einer flüchtigen Betrachtung wird schnell klar, mit welcher Intensität Alberto Giacometti seine Wahlheimat Paris wahrgenommen haben musste.
Sache der Einstellung
Mit «Paris sans Fin» schliesst sich der Rundgang im Kunsthaus Zug. Oder er beginnt erst – auch das ist eine Sache der persönlichen Einstellung und Neugierde. So oder so; in jeder Hinsicht ist es Matthias Haldemann und seinem Team gelungen, ein neues Kapitel in der Geschichte des Kunsthauses aufzuschlagen, und man darf gespannt sein auf das, was da noch kommen wird. (Haymo Empl)
Hinweis
«Paris sans Fin», Ausstellung im Kunsthaus Zug ab heute bis und mit 20. November.