Steinerne Frau begrüsst Impfwillige

Dies & Das

,

Die Spinnerei an der Lorze in Baar ist seit 28 Jahren Geschichte. Eine etwas verwitterte Stein-Statue ist das letzte Zeugnis einer Industrieepoche, welche Baar weitherum bekannt gemacht hatte.

  • Die Steinfigur bei der alten Spinnerei trägt eine Spindel im Arm. (Bild Matthias Jurt)
    Die Steinfigur bei der alten Spinnerei trägt eine Spindel im Arm. (Bild Matthias Jurt)

Baar – Impfwillige, welche mit dem öffentlichen Verkehr zum Impfzentrum des Kantons Zug in Baar fahren, steigen mit Vorteil an der Haltestelle «Paradies» aus. Eine Ortsbezeichnung, welche im Fall von Baar gemäss dem Zuger Namensforscher Beat Dittli wohl darauf zurückgehe, dass ganz in der Nähe die Höllhäuser entstanden. Im Gebiet Paradis baute die Spinnerei an der Lorze einst Mehrfamilienhäuser. Diese Bauten sind jedoch verschwunden, die ab 1861 gebauten Höllhäuser hingegen stehen noch heute entlang der Lorze.

An das Kerngeschäft der Spinnerei an der Lorze, die in ihrer Blütezeit 500 Frauen und Männer beschäftigte, erinnert nur noch die steinerne Frau, die eine Spindel im linken Arm trägt. Wer in Richtung des Eingangsbereichs des Impfzentrums läuft, muss an dieser 1954 enthüllten Frauen-Figur zweimal vorbeilaufen. Die Spinnerin, wie sie auch bezeichnet wird, gehörte einst zu einem kleinen Springbrunnen. Als Spender dieser symbolhaften Frau trat im Jahre 1954 die Belegschaft der Spinnerei an der Lorze auf. Im vorgenannten Jahr feierte der Baarer Traditionsbetrieb sein 100-Jahr-Jubiläum. Geschaffen hat die Statue der Unterägerer Bildhauer Leo Iten.

Das «Zuger Volksblatt» schrieb am 3. September 1954 über den steinernen Zeitzeugen: «Die Brunnenfigur, die vor einem kleinen Teich mit Springbrunnen steht, stellt eine froh dahinschreitende Arbeiterin mit einer Spindel dar.» Die von Iten geschaffene Statue symbolisiere «in trefflicher Weise die Freude an der Arbeit». Der Sprecher der Arbeiterschaft betonte beim gleichen Anlass zudem, dass zwischen ihnen und dem Arbeitgeber stets eine gute Zusammenarbeit herrschte.

Das Aus der Spinnerei kam im Jahr 1993

Die Spinnerei-Mitarbeiter, welche 40 Jahre später ihren Lohn von der Spinnerei an der Lorze bekamen, dürften lobende Worte an die Adresse ihres Arbeitgebers kaum noch geäussert haben. Nachdem die Spinnerei an der Lorze in den Jahren 1983 und 1987 auf ihrem Gelände noch einmal kräftig ausbaute, kam 1993 das Aus. Was folgte, war ein jahrelanger Kampf der Angestellten mit der Personalfürsorge-Stiftung. Gemäss einem Artikel der «Neuen Zuger Zeitung» vom 13. Januar 2013 endete der Rechtsstreit mit einem Urteil des Bundesgerichts im Jahre 2011.

Der letzte Betreiber der Spinnerei an der Lorze, Adrian Gasser, hatte noch ein anderes Problem am Hals. Der Bauherr hielt die Ausnützungsziffer nicht ein. Der Baarer Gemeinderat verfügte 1987 einen Abbruch der alten Spinnerei an der Lorze in zwei Etappen. Der Eigentümer zierte sich lange. Nach dem Ende der eigentlichen Spinnerei unterblieb dieser Rückbau. Heute ist die Spinnerei ein Teil des geschützten Ortsbilds. Das sechsstöckige Hauptgebäude ist das grösste seiner Art in der Schweiz. Die Impfwilligen bekommen ihre zwei Dosen aber in einem dem imposanten Fabrikgebäude vorgelagerten Gewerbebau. Dort konnte der Kanton Zug relativ kurzfristig eine grössere Fläche zumieten.

Eine Baarer Kombination, die es in sich hat

In diesem Teil der Spinnerei sollte in den 1990er-Jahren eine Eishalle entstehen. Die Pläne dafür hatte eine Genossenschaft, welche dem damaligen Zuger Zweitligisten SC Herti nahe stand. Das geplante Eiszentrum liess sich in Baar jedoch nicht realisieren. Das hat womöglich auch der Frau mit der Spindel ein Weiterbestehen vor Ort beschert. Die Arbeiterin ist der letzte Zeuge einer ruhmvollen Geschichte. Sie steht jetzt weit weg von der Höll im Paradis. Übrigens: Die Bezeichnung Paradis kommt laut dem Namensforscher Beat Dittli im Kanton Zug 14 mal vor. Die Kombination in Baar dürfte aber einzigartig sein: Paradis, Höll und Himmelrich in unmittelbarer Nähe zueinander. (Marco Morosoli)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir ­wöchentlich Details mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.