Zum Dank den Heiland aus Südtirol herbestellt
Brauchtum & Geschichte
Ein in seiner Art in der Region ungewöhnliches Wegkreuz bei Oberägeri ist einst aus Dankbarkeit erstellt worden. Es war den Initianten so viel wert, dass sie das Kreuz bei einem namhaften Künstler im Ausland in Auftrag gaben.
Oberägeri – Von all den Zuger Weg- und Flurkreuzen, welche im Rahmen dieser Serie bereits vorgestellt worden sind, gleichen sich zahlreiche in ihrem Erscheinungsbild. Manche sind optisch weniger auffällig, bergen aber eine ganz bestimmte Geschichte, aus welchem Grund sie an genau diesem Ort errichtet worden sind. Andere wiederum sind insbesondere durch ihre Machart einzigartig und haben somit einen hohen Wiedererkennungswert. Manche vereinen gleich beides in sich.
Zu letzteren gehört ein eindrucksvolles Wegkreuz oberhalb des Dorfes Oberägeri. Es steht auf genau 883 Metern über Meer an einem der alten Pilgerwege nach Einsiedeln unter einer Baumgruppe in der Strassenkurve bei der Winzrüti, direkt an der Gabelung, wo die Wege nach den Höfen Ober-/Untertann und Gütschli wegführen. Mit seiner ungewöhnlichen Einhausung handelt es sich fast schon um eine Wegkapelle. Als 1920 und 1921 die gefürchtete Maul- und Klauenseuche wütete – es war einer von sechs besonders verheerenden Ausbrüchen der Viehkrankheit in der Schweiz – wurden die umliegenden Höfe am Berg ob Oberägeri verschont. Aus Dank stiftete die Nachbarschaft Mitteldorferberg 1921 das Kreuz in der Winzrüti.
Die Gönner liessen sich dabei nicht lumpen: Sie gaben Kreuz und Korpus bei der Werkstatt des international angesehenen österreichischen Bildhauers und zum päpstlichen Hoflieferanten «geadelten» Ferdinand Stufflesser (1855–1926) in St. Ulrich in Gröden in Auftrag. Das Dorf im 1920 zu italienischem Staatsgebiet gewordenen Südtirol gilt bis heute als eines der Hauptzentren sakraler Bildhauerkunst.
Stufflessers Heiland für Oberägeri ist ein so genannter Dreinageltypus, hell gefasst mit zur rechten Seite geneigtem Haupt und ausladendem Lendenschurz. Das Kreuz mit geschweifter Rückwand trägt ein Schutzdächlein mit gewellten Giebelbrettern und steht auf einem voluminösen, pyramidenstumpfartigen Sockel mit eingelassener Marmortafel. Darauf ist zu lesen: «Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit Amen – 1921 – aus Dankbarkeit».
Der Christus erhält einen schützenden «Unterstand»
Ein Jahr lang stand das stattliche Stufflesser-Kreuz an seinem Ort in der Winzrüti im Freien. 1922 konstruierte und baute der einheimische Zimmermeister Josef Nussbaumer das grosszügige hölzerne Schutzhaus mit Verstrebungen und ziegelbedecktem Satteldach, wodurch das Wegkreuz das in seiner Art in der Region einzigartige Gesamt-Erscheinungsbild erhielt.
Die frontseitige Öffnung versah Nussbaumer mit denselben Zierformen wie an Kreuzrückwand und -schutzdach. So wirkt es einheitlich und stimmig. Auf halber Höhe des Sockels installierte er eine einfache Sitzbank für die andächtige Rast. An der Innenwand des Häuschens hängen zwei Öldrucke mit den Bildnissen der Heiligen Wendelin und Antonius.
Frischer Blumenschmuck zeugt vom aktiven Unterhalt des Winzrüti-Kreuzes. Es ist seit einer Restauration 1986 in der Obhut der Kirchgemeinde. 2017 erfolgte die jüngste Auffrischung des Kreuzes mit Schutzhaus. Am 8. Oktober genannten Jahres wurde es neu eingesegnet. Rund 30 Personen nahmen an der Feier teil. (Text von Andreas Faessler)