Karo, Buben und Bässe

Musik

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Die Zuger Stubete Gäng übersetzt Ländler für Pop-Ohren. Und zwar so, dass nur wenige ihre schlechte Laune bewahren können.

  • Die Stubete Gäng samt Bagger. (Bild: zvg)
    Die Stubete Gäng samt Bagger. (Bild: zvg)
Hagendorn – Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Am Zug Fest, bis zuhinterst stehen die Menschen im Zirkuszelt und schauen auf die Bühne. «WER IST VOM TURNVEREIN DA?» Jubel und Geschrei. «UND WER KOMMT AUS DER STADT?» Einige Jauchzer. Und dann kommt der nächste Song und 4000 Menschen tanzen, mit dem Finger in der Luft wie Pizzaiolos. Die Band auf der Bühne am Zug Fest hat in den letzten Jahren einen Senkrechtstart hingelegt, wie es selten vorkommt. Wie passiert das?

Naturjutz im Urwald
Manchmal bröckelt das Leben: Beziehungen enden, Jobs sind reif für die Kündigung, die lieben Gewohnheiten nerven, es gibt viele Symptome. Der Zuger Musiker Aurel Hassler hatte einige davon, als er eine Frau kennenlernte, die ihm erzählte, sie lebe in Indien.
Ein guter Plan gegen Brüche im Leben. Drei Monate später war auch Aurel in Indien. Der Bruch wurde zu einem Anfang, an dessen Ende lustige Klarinettenklänge mit deftigstem Bass unterlegt werden.
Jahre zuvor, in Hagendorn, einem Ort bei Cham im Graubereich zwischen Dorf und Stadt, hat die Mama von Moritz und Aurel Hassler ab und zu mal was gesagt wie: «Ihr Buebe, ihr müsst doch zusammen mal Musik machen», gemeint waren ihr Mann und die beiden Söhne. Sie hatte Recht, aber es dauerte noch etwas.
In Indien machte Aurel Hassler Musik mit einem Sänger, der klassische, indische Volksmusik neu interpretierte. Der Gesang erinnerte Aurel teilweise an einen Naturjutz aus dem Muotathal oder an andere Jodler aus der Schweiz. Die Idee war gesät. Dann wurden Aurel und Julia, die Frau mit dem guten Plan, schwanger und es ging zurück in die Schweiz. Das war 2019.

Volksmusik, aber neu? Gerne!
Aurel sass zu dieser Zeit das erste Mal in Zürich mit Roman Camenzind zusammen und redete von seiner Idee: Kann man nicht Popmusik machen mit klassischen Volksmusikinstrumenten?
Roman Camenzind: Früher hat er mit der Band Subzonic selbst an Hits getüftelt, heute hat sein Label vermutlich verlässlicher Hits produziert als die meisten andern Schweizer Studios. Bei seinem Label Hitmill sind Bligg, Baschi, Pegasus, Stress, Anna Rossinelli und viele weitere. Wenn man will, dass es knallt, dann ist er eine der ersten Adressen. Volksmusik, aber neu? Gerne! «Wenn ich Texte schreibe für Songs, dann passiert es leider oft, dass sie etwas schwer und traurig werden», sagt Aurel Hassler. Bei einer der nächsten Sitzungen in der Hitmill nimmt er deshalb seinen Bruder Moritz mit. «Ich wollte, dass es leicht und lustig und etwas unbeschwert wird», sagte Aurel. Das war Moritz’ Part.

Starbesetzung aus der Familie
Die beiden Brüder haben schon früher miteinander Musik gemacht, manchmal zusammen in den Galvanik-Proberäumen, oft in verschiedenen Projekten. Aurel hat viel gesungen, oft in Rockbands. Moritz hatte ein Soundsystem-Projekt, Hip-Hop und Musik mit soliden Bässen. Als Moritz Hassler mit zu Hitmill ging, wusste er nicht wirklich, wohin er da mitkam. «Es war eher so, ich geh mal mit dem grossen Bruder mit, der zeigt mir da was Cooles.» Zu dritt, zusammen mit Hitmill-Songwriter Georg Schlunegger, schrieben sie das erste Album der Stubete Gäng.
Dann wurde klar: Hier gibt es viel Akkordeonpassagen, wer könnte das nur spielen? Die Lösung war mehr als naheliegend.
Hans Hassler: Er ist mittlerweile über siebzig Jahre alt und spielt fast genau so lange Akkordeon, er ist mit seinen Brüdern als «Hassler Buaba» durch die Schweiz getourt, seit er sechzehn Jahre alt ist spielt er Klarinette, er hat verschiedene musikalische Fächer studiert, ist später dann mit avantgardistischen Jazzkünstlern getourt, er war Solist in den wichtigen Schweizer Orchestern und hat zwei Soloalben aufgenommen, die unter anderem in der «New York Times» besprochen wurden.

Und dann kamen die Bookings rein
Und diesem Hans Hassler mussten Aurel und Moritz nun, wie kleine Jungs, die was Dummes angestellt hatten, beim Abendessen davon erzählen, dass sie gerade Volksmusik mit Hip-Hop und Reggaeton mixen wollen, eben «örbn Ländlr». Und ob er vielleicht bitte, bitte ein paar Passagen einspielen könnte? Er wollte.
«Für ihn ist es viel eher etwas um Zeit mit den Söhnen zu verbringen», sagt Aurel. «Aber wie gut ist es denn bitte, mit dem Papa nachts um zwei Backstage in Unterhosen an einem Open Air zu sein?»
Als Erstes trat die Stubete Gäng im TV auf. Das war im Mai 2019. Schon 1968 hat die Fernsehlegende Kurt Felix den «Samschtig-Jass» erfunden und damit eine Kultsendung geschaffen. Das Format hiess damals noch «Stöck-Wys-Stich», und vor jeder Sendung hatte damals die Schweizer Cabaret-Truppe Cabaret Rotstift noch Platz für einen Sketch. Felix mixte urschweizerisches Kulturgut mit Popkultur und die Leute lieben es bis heute. Eine allgemein gute Idee: Bligg, Traufer und Kunz können es bezeugen.
«Am Ende kann man ja nicht selbst als Musiker bestimmen, was ein Hit wird, das ist grösser als man selbst», sagt Aurel. «Am Ende bestimmt das Publikum.» Das Schweizer Fernsehen weist für die Sendung «Samschtig-Jass» durchschnittlich etwas über 260 00 Zuschauer:innen aus. Alle, die nicht just beim ihrem Auftritt auf dem Klo waren, kannten nun die Stubete Gäng.
Der zweite Auftritt, als allererste Band am Nachmittag am Heitere Open Air, war etwas stressiger. «Wir hatten noch gar nie geprobt!», sagt ­Aurel. «Wir hatten noch gar keine Liveband, der Auftritt beim ‹Samschtig-Jass› war ja Playback.» Als Verstärkung sprang Onkel Claudio ein, einer der früheren Hassler Buaba, er hatte schon zu den Studioaufnahmen teilweise bei­getragen.

Mal Bauernhof, mal Open Air
Der dritte Auftritt entstand aus Kontakten über den Fussballverein von früher. Es war der Sommer, in dem das Eidgenössische Schwingfest in Zug stattfand. Die Stubete Gäng war plötzlich Teil des grössten Festes, das in Zug in den letzten Jahrzehnten, um nicht zu sagen überhaupt, stattgefunden hat. Zwischen den Songs verfiel das Publikum in EVZ-Fangesänge, ein Kompliment in Zug.
«Dann kamen die Bookings rein. Wir wurden von Anfragen regelrecht überschwemmt.» Das liegt auch daran, dass die Band fast nichts absagt, bis heute. Einmal vor 15 00 Menschen an einem Open Air, am nächsten Tag vor 50 auf einem Bauernhof. Oder vor rund 4000 Leuten in einem vollgestopften Zirkuszelt am Zug Fest.

Da sind wir gerade. Gleich ist das Konzert 
zu Ende. «Petra Sturzenegger», der bekannteste Song, kommt als letzter. Ein Junge in blauen Samt-Lederhosen rutschte vor Freude fast von den Schultern, auf denen er das Konzert verbrachte. Eine Frau um die fünfzig, sagt, sie habe gar nichts mit Ländler am Hut, aber das hier, das reisst halt mit. Und eine 18-jährige Frau aus Ägeri sagt, sie kenne die Songs aus dem Lager, von ihrer Schwester und von ihren Eltern, die sonst eigentlich eher AC/DC hören.

(Text: Lionel Hausheer)

Hier gehts zum Konzert: zugkultur.ch/rMmyRr