«Eine Stadt ist nie fertig gebaut»

Kunst & Baukultur

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Auch das vermeintlich Unscheinbare ist für eine Stadt identitätsstiftend, findet die Zuger Fotografin Regine Giesecke. Mit ihrem Langzeitprojekt «Zuger Ansichten» will sie die Entwicklung der Stadt dokumentieren.

  • Regine Giesecke beobachtet die bauliche Entwicklung der Stadt Zug genau. Dies auch mit dem Blick auf das vermeintlich «Banale». (Bild Maria Schmid)
    Regine Giesecke beobachtet die bauliche Entwicklung der Stadt Zug genau. Dies auch mit dem Blick auf das vermeintlich «Banale». (Bild Maria Schmid)

Zug – Es sind Ansichten und Perspektiven, denen in Zug kaum jemand bewusst Beachtung schenkt. Grauer Beton, nüchterne Zweckarchitektur oder einfach ein Ort in der Stadt, an dem man mit völlig neutralem Empfinden vorbeigeht, weil er vordergründig so unspektakulär erscheint. Genau solchen Orten, solchen Blickwinkeln will die in Zug lebende Fotografin Regine Giesecke (neue) Beachtung zukommen lassen. Mit ihrem Langzeitprojekt «Zuger Ansichten» sucht sie das offensichtlich Unscheinbare und gleichsam das unscheinbar Offensichtliche.

Als Architekturfotografin gilt ihr Interesse bei diesem Projekt ganz besonders dem Übergang und der Veränderung als übergeordnete Thematik. Generell faszinieren sie der Wandel einer Stadt und die Feinheiten dieses permanenten Prozesses. Ein aussagekräftiges Zeugnis dieses Schaffensschwerpunktes war Regine Gieseckes Ausstellung «Bauprofile» im Jahr 2013, mit welcher sie die Wahrnehmung von Ort, Architektur und Baukultur in den Fokus stellte.

«Für ‹Zuger Ansichten› habe ich mir bewusst Orte ausgesucht, die kaum Aufmerksamkeit erregen, die aber gleichzeitig die Identität der Stadt Zug wesentlich mitprägen», sagt die Fotografin. «Was uns heute als ‹banale Strassensituation› erscheinen mag, sieht in wenigen Jahren womöglich schon wieder ganz anders aus.» So werden Regine Gieseckes Fotografien von heute dereinst zu Erinnerungsbildern. In fünf Jahren, so erklärt Giesecke, wolle sie ihre 2020 abgelichteten Zuger Ansichten neu ablichten und so den steten Prozess des Wandels dokumentieren. Die Fotografin wird zur Stadtchronistin mit der Kamera. «Eine Stadt ist nie fertig gebaut», sagt sie.

Realitätsnahe Wiedergabe

Als Fotokünstlerin mit einem geschulten Auge für das Räumliche in der Architektur lichtet sie ihre Motive nicht einfach ab und akzeptiert das Resultat als Wiedergabe der Realität. «Oft fotografiert man etwas und hat dann den Eindruck, dass man dies mit dem Auge ganz anders wahrgenommen hat», holt sie aus. «Ich versuche, meine Bilder dahin gehend zu bearbeiten, dass sie die Situation möglichst genau so wiedergeben, wie ich sie gesehen und empfunden habe.» Dafür regle sie wenn nötig auch bewusst die Farbgebung, um das Bild «aufzuräumen», damit nichts vom Wesentlichen ablenke. «Es ist eine Art Übersetzungsarbeit zu einem stimmigen, harmonischen Foto, welches dem von mir Wahrgenommenen genau entspricht.»

Obschon Regine Giesecke seit vielen Jahren in Zug lebt, bezeichnet sie sich als Nichteinheimische, die sich dadurch einen Blick von aussen auf ihre Stadt bewahrt hat. Was die gebürtige Deutsche an ihrer Wahlheimatstadt so schätzt, ist der kleinstädtische Charakter und das Beschauliche. «Mit diesem Projekt möchte ich der Stadt, in der mir seit jeher so viel Wohlwollen und freundliche Unterstützung entgegenschlägt, etwas zurückgeben.»

«Wir sind auf einen Spiegel angewiesen»

Diese erste Etappe von Regine Gieseckes Projekt liegt nun in Buchform vor. Im Rahmen einer Ausstellung von rund 36 ausgesuchten Fotografien ist «Zuger Ansichten 2020» als Band 1 des Langzeit-Fotoprojektes am Donnerstagabend in der Shedhalle vorgestellt worden. Aldo n, Leiter Amt für Kultur, fand in seiner Laudatio anerkennende Worte für die Fotokünstlerin. «Veränderung ist eine Konstante», sagte er. «Darum sind wir angewiesen auf einen Spiegel, der uns zeigt, dass wir für diese Veränderung verantwortlich sind.» Und ein solcher Spiegel soll «Zuger Ansichten» sein.

Rund 50 Fotografien umfasst der Bildband. So mancher wird danach bewusst oder unbewusst ausgeblendete Ecken und Winkel der Stadt neu betrachten, Stimmung und Ästhetik entdecken, wo man solche in Zug zuletzt vermuten würde. Dies dank Regine Gieseckes aufmerksamem Blick für das (vermeintlich) Unscheinbare in einem (vermeintlich) unspektakulären urbanen Kontext. (Andreas Faessler)

Hinweis
«Zuger Ansichten 2020» Fotografien von Regine Giesecke. Ab sofort für Fr. 35.– im Buchhandel erhältlich. Ausstellung in der Shedhalle, Hofstrasse 15, Zug, bis 12. November. Offen Di.–So., 15–18 Uhr.