Musik über Zeit- und Raumgrenzen

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Statt des angekündigten polnischen Organisten Bogusław Grabowski spielte die estnisch-dänische Kirchenmusikerin Viola Chiekezi im Rahmen der «Internationalen Zuger Orgeltage» in der Pfarrkirche Baar.

  • Die estnisch-dänische Organistin Viola Chiekezi sprang für den kurzfristig verhinderten Bogusław Grabowski ein. (Bild Maria Schmid)
    Die estnisch-dänische Organistin Viola Chiekezi sprang für den kurzfristig verhinderten Bogusław Grabowski ein. (Bild Maria Schmid)

Zug – Das Organisatoren-Paar Olivier Eisenmann und Verena Steffen hatte für das fünfte Konzert ihres 41. Orgelzyklus eine besondere Herausforderung zu meistern: Der eingeplante Organist Bogusław Grabowski musste wegen Passproblemen kurzfristig absagen. Auf seinem Programm hätten vor allem wenig bekannte musikalische Kostbarkeiten aus alten polnischen Tabulaturen des 16. und 17. Jahrhunderts gestanden, natürlich ein Bach-Stück und kurze Werke des Franzosen Jehan Alain (20. Jahrhundert).

«Wir sind froh, dass statt seiner Viola Chiekezi einspringen konnte, die wir bereits 2021 in unserem Zyklus hatten», informierte Eisenmann die kleine Zuhörerschaft, die in dem grossen barocken Raum der Pfarrkirche St.Martin fast etwas verloren wirkte. Die mächtige Orgel aber war während 75 Minuten die Hauptperson, zum Klingen gebracht unter den Händen einer kleinen jungen Frau in wunderschöner afrikanischer Tunika. Und so wie ihr selbst als Organistin, Cembalistin und Pianistin in Estland, ihrer Heimat, und Dänemark, ihrem Ausbildungsort, ein internationaler beruflicher Spagat gelingt, war auch das Konzert ein Beweis für die Zeit- und Raumlosigkeit des Instruments.

Überall, zu aller Zeit

Es begann mit einem berühmten Barockmeister aus Frankreich: Der Hymnus «Veni Creator Spiritus» von Nicolas de Grigny (1672–1703) bestand aus fünf Teilen, in denen Chiekezi bereits alle Register ziehen konnte. Einer getragenen Aneinanderreihung von machtvollen Akkorden folgte eine kanonartig verflochtene Fuge, in der sich fünf Stimmen jagten. Und während das dritte, zweistimmige Stück «Duo» an einen Tanz erinnerte, fiel das vierte, «Récit de Cromorne», durch fast moderne Dissonanzen auf, was Chiekezi durch eine schräge Registrierung noch verstärkte. Der letzte Teil «Dialogue sur les grands Jeux» aber war zunächst triumphale Fanfarenmusik, um dann – in immer neuen Ansätzen und wechselnden Registraturen – tänzerisch vorwärtsgetrieben zu werden und in einem strahlenden Akkord zu enden.

Von Johann Sebastian Bach spielte Chiekezi zwei Stücke: Zunächst ein sehr bekanntes, Präludium und Fuge BWV 532, dem sie aber durch eigenwillige Registerwahl ganz neue Farben entlockte. Die Sonate D-Dur BWV 963 war indes selbst Eisenmann als Orgelstück nicht bekannt, «denn eigentlich wurde es für irgendein Tasteninstrument komponiert, was im Barock sehr üblich war. Die Bach-Söhne beispielsweise übten vor allem im Winter ihre Stücke nicht auf der kalten Orgelempore, sondern in der warmen Stube auf Cembalos, die damals Pedale hatten.» Spannend und witzig zu hören war vor allem der fünfte Teil der Sonate, «all imitatio gallina Cuccu», in dem eine spitze Orgelstimme immer wieder das charakteristische Kuckucksintervall zum Besten gab.

Dies leitete über zu zwei kleinen Werken des norwegischen Komponisten Mons Leidvin Takle (*1942), in denen traditionelle Volksliedelemente mit moderner Rhythmik verschmolzen wurden, was einen Effekt überraschender Frische hervorrief: «Med Jesus vil eg fara» (Mit Jesus werde ich reisen) evozierte Fernwehbilder, «I himmelen» erinnerte mit seinem puppentanzartigen Sechssechsteltakt ein wenig an die Leiermusik auf alten Jahrmärkten.

Programmatik auf der Orgel

Dass Orgelmusik vollkommen programmatisch funktionieren kann, bewies das Stück «Kom, regn fra det høje» (Komm, Regen aus der Höhe) des dänischen Komponisten Christian Praestholm: Regentropfen als Symbol für den vom Himmel fallenden Pfingstgeist tröpfelten als Orgeltöne durch den Raum, um dann zu rinnendem Regen zu werden und schliesslich wieder tropfenweise auszuklingen.

Mit einer eigenen Komposition fügte Chiekezi dem Konzert eine besondere Note hinzu: «Khudaya teri Rooh thon mein» (Du hast mich gesucht, Herr, und du kennst mich, Psalm 139), eine Melodie der pakistanischen Kirche in Dänemark, liess über einem tiefen liegenden Ton orientalisch anmutende Melodieornamente aufsteigen und wieder niedersinken, auf und ab und immer zurück zu einem Grundton – wie der Tanz einer Schlange zu einer Flöte auf einem asiatischen Basar. (Text von Dorotea Bitterli)

Hinweis
Die beiden letzten Konzerte der Reihe finden statt am 11. Juni, 19 Uhr in der Pfarrkirche Walchwil und am 25. Juni, 19 Uhr in der Pfarrkirche Bruder Klaus Oberwil.