«Lebenszeiten» im Barockklang

Musik

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Das Baarer Kammerorchester verknüpfte in seinem Frühlingskonzert Vivaldis «Vier Jahreszeiten» mit vier Stücken anderer Musikstile. Angeleitet durch die Violinsolistin Plamena Nikitassova, spielte das Orchester mit Barockbögen.

  • Solistin und Spezialistin für historische Aufführungspraxis Plamena Nikitassova führte das BKO ins Spiel mit Barockbögen ein. (Bild Mathias Blattmann)
    Solistin und Spezialistin für historische Aufführungspraxis Plamena Nikitassova führte das BKO ins Spiel mit Barockbögen ein. (Bild Mathias Blattmann)

Baar – Ein harmonischer Ablauf – das natürliche Chaos des Lebens durch klare, aber verspielte Linien gebändigt: Dieser Grundgedanke des Barocks schien das Frühlingskonzert des Baarer Kammerorchesters BKO zu leiten. Dafür hatten sich die zweiunddreissig Streicherinnen und Streicher unter dem Dirigat von Manuel Oswald mit der Cembalistin Yvonne Ritter und der bulgarisch-stämmigen Violinistin Plamena Nikitassova zusammengetan. Der Aufführungsort, die Kirche St. Thomas in Inwil, füllte sich bis hinauf zur Orgelempore mit Publikum unterschiedlichen Alters.

Menschliche Biografien verlaufen in Bahnen, daher der Titel «Lebenszeiten». Und das Jahr verläuft in Bahnen, daher der musikalische Schwerpunkt «Le Quattro Stagioni», op. 8, von Antonio Vivaldi. Frühling als Geburt und Kindheit, Sommer als jugendliche Triebkraft, Herbst als innere Reife und Winter als Lebensende: Diese Grundidee wurde dadurch verstärkt, dass den vier Vivaldi-Jahreszeiten jeweils, wie zur Einstimmung, ein epochen- oder stilmässig anderes Werk vorangestellt wurde. Plamena Nikitassova, seit ihrem 16. Lebensjahr in der Schweiz ausgebildet, schloss 2005 an der Schola Cantorum Basiliensis ein Studium der Renaissance- und Barockvioline ab und gilt als Spezialistin für historische Aufführungspraxis, widmet sich aber auch der Kammermusik des 20. Jahrhunderts und pflegt ihre eigenen Wurzeln durch die leidenschaftliche Beschäftigung mit der osteuropäischen Volksmusik. Dieses breite künstlerische Können inspirierte das BKO und sein Konzert massgeblich.

Vom dänischen Volkslied zu Vivaldis Frühling

«Five Sheep, Four Goats», ein Arrangement des berühmten Danish String Quartet auf der Basis eines alten dänischen Volkslieds, war der ideale Anfang. Nikitassova hob den Bogen als erste, sofort folgten ihr die Violinen, dann die Violas, etwas später Cellos und Kontrabässe. Die immer komplexer werdende Komposition mit virtuosem Mittelteil liess die einfache Grundmelodie hörbar bleiben – das Volkstümlich-Kindliche, das grünende Land, die Hirten mit ihren Schafen und Ziegen, eine beinahe barocke Pastorale.

Mit einer improvisierten Art von Kadenz führte die Solovioline nahtlos über zu Vivaldis «La Primavera», in welcher silbrigem Vogelgezwitscher innige Sehnsuchtstöne in auffallenden Legati folgten. Sehr schön, wie die Sologeige manchmal dominierte, sich dann aber wieder mit den anderen Streicherstimmen verwob. Das unprätentiöse, jedoch hochvirtuose Spiel Nikitassovas liess dem gesamten Klangkörper Platz, und dem Publikum die Möglichkeit, sich eines sehr speziellen Hörgenusses gewärtig zu werden.

Denn die BKO-Musizierenden spielten mit Barockbögen, Nikitassova hatte sie an die Instrumentaltechnik dieser Zeit herangeführt. Das war zu hören, aber schwer in Worte zu fassen: Das vielstimmige Gewebe der Streicherstimmen strahlte gleichzeitig wärmer und silbriger, nuancenreicher, perlender, irgendwie «königlicher». Immer wieder setzte sich dieser Eindruck durch.

Dem zweiten Teil ging eine weitere Komposition des Danish String Quartet voraus – «Sekstur from Vendsyssel», eine Art ländlicher Dorftanz voll schwungvoller Euphorie. Dieses Mal improvisierte die Cembalistin Yvonne Züger den Übergang zu Vivaldis «L’Estate» (Sommer). Das zunächst gemütlich spazierende «L’Autumno» (Herbst) wurde durch Edward Elgars «Elegy», op. 58, eingeleitet – ernst, nachdenklich, von Manuel Oswald sehr sensibel dirigiert; den improvisierten Übergang bot Nina Lager auf dem Kontrabass dar.

Der orthodoxen Liturgie entlehnt

Der vierten Jahreszeit «L’Inverno» aber wurde ein kirchenmusikalisches Werk vorangestellt, das «Ave Maria» aus Rachmaninoffs «All-Night Vigil», op. 37, das auf der orthodoxen Liturgie beruht, ursprünglich für Chor geschrieben wurde und von Oswald für das BKO arrangiert worden war.

Nikitassova, Oswald und dem BKO ist eine «Jahreszeiten»-Version gelungen, die im vielgespielten Werk Vivalds neue Töne und Nuancen herauszuarbeiten vermochte und durch die Verknüpfung mit den vier anderen Musikstücken überraschende Hörerlebnisse ermöglichte. (Text von Dorotea Bitterli)