Ein barocker Bruder Klaus im «Doppel»

Brauchtum & Geschichte

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Der Luzerner Stiftsschatz besitzt eine wertvolle Bruder-Klausen-Figur aus Silber, gefertigt von einem bedeutenden Zuger Silberschmied. In der Sammlung des Museums Burg Zug findet sich ein identisches Modell aus Holz. Was hat es damit auf sich?

Zug – Der andächtig kniende ältere Mann hält seine Hände kontemplativ angewinkelt vor seinem Oberkörper, eine davon am Herz, das Haupt in demütiger Ehrfurcht geneigt. Er ist in seiner Haltung ins Gebet vertieft, nichts Irdisches vermag ihn abzulenken. Der Mann ist unschwer als Niklaus von Flüe zu erkennen, dessen 75. Jahrestag der Heiligsprechung die Schweiz morgen Sonntag, 15. Mai 2022, gedenkt. Es ist eine fein und ungemein ausdrucksstark gearbeitete Figur aus Lindenholz, die wir hier vor uns haben. Mit Sicherheit ist sie eine der schönsten plastischen Darstellungen des Schweizer Landespatrons und zugleich hervorragendes Beispiel spätbarocker Holzbildhauerei.

Die knapp 65 Zentimeter hohe Bruder-Klausen-Figur ist Teil der Sammlung im Museum Burg Zug. Ihre Bedeutung liegt zum einen in ihrer künstlerischen Qualität und zum anderen in ihrem Seltenheitswert: Die Holzfigur hat einst als Modell gedient für die prächtige silberne Prozessionsfigur des Bruder Klaus, welche sich heute als eines der opulentesten Schaustücke im Stiftsschatz zu St.Leodegar in Luzern befindet.

Solche aus Silberblech gefertigten barocken Heiligenfiguren existieren noch zahlreich in katholischen Kirchenschätzen. Was in diesem Fall jedoch besonders ist, ist die Tatsache, dass im gesamten europäischen Raum nur knapp zwei Dutzend Holzfiguren sich erhalten haben, welche nachweislich solchen Silberarbeiten als Modell gedient haben. Der Zuger Holz-Bruder-Klaus ist eines dieser seltenen Beispiele.

Ein würdigeres Abbild sollte her

Wie ist es dazu gekommen? Das Stift Beromünster war im Besitz einer kostbaren Reliquie Niklaus von Flües. Es hat diese im Zuge der Überführung dessen sterblicher Überreste von seiner Grabstelle in der Pfarrkirche von Sachseln in einen neu geschaffenen Altar zugesprochen erhalten. Eigens dafür liess man im Jahre 1735 in einer Schaffhauser Silberwerkstatt eine Reliquienfigur des Patrons anfertigen. Doch erachtete man diese angesichts der wachsenden Verehrung Niklaus von Flües allmählich als zu schlicht.

1772 gab Johann Ludwig Studer, Chorherr zu Beromünster, beim angesehenen Zuger Silberschmied Johann Franz Anton Fidel Brandenberg (1729–1808) eine repräsentativere Statue in Auftrag. Diese ist dem Zuger Meister so herrlich gelungen, dass sie vor ihrer Auslieferung dem Zuger Stadtrat präsentiert und von diesem hoch gerühmt und ausgezeichnet wurde.

Und nun sind wir wieder bei unserer Holzfigur im Museum Burg Zug. Fidel Brandenberg hat diese für seine Silberstatue als Modell verwendet. Der Urheber der Holzplastik ist allerdings nicht gesichert.

Alle Feinheiten ausgearbeitet

Frühere Kunsthistoriker ziehen den Zuger Steinbildhauer und Holzschnitzer Georg Karl Felix Blunschin (1720–1802) in Betracht. Der Luzerner Kunsthistoriker Peter Felder (1926–2011) jedoch schlug später eine Zuschreibung an den bedeutenden Bildhauer des Spätbarockes Johann Baptist Babel (1716–1799) vor. Wer von beiden auch immer der Ausführende war – oder schlussendlich jemand ganz anderes –, die enorm ausdrucksstarke Holzstatue ist von wahrhaft versierter Hand geschaffen. Bis ins kleinste Detail bildet der Künstler die physischen Eigenheiten des Eremiten ab: Die markanten, knochigen Gesichtszüge mit Falten und hohlen Wangen, die hageren Hände mitsamt Adern, das hervortretende Schlüsselbein – jahrelanges Fasten und Verzicht haben den Dargestellten körperlich gezeichnet.

Der Zahn der Zeit und womöglich auch ein unvorsichtiger Umgang mit dem Kunstwerk haben ihren Tribut gefordert: Schadhafte Stellen und abgebrochene Stücke an den Gliedmassen mussten Anfang 20. Jahrhundert restauriert werden.

Es fällt auf, dass die Holzfigur keinerlei Attribute oder symbolische Beigaben hat. Anders beim silbernen Abbild von Brandenberg: Hier trägt Bruder Klaus einen Nimbus über dem Haupt, einen Rosenkranz aus silbergefassten Hornperlen in der linken Hand und einen Pilgerstab aus vergoldetem Silberrohr am Arm. Es ist unklar, ob Blunschin – oder eben Babel – die Holzfigur explizit als Vorlage für Brandenberg geschaffen oder ob sie bereits existiert hat, ohne für diesen Zweck angedacht gewesen zu sein.

Die aufwendig in Silberblech gearbeitete Version Brandenbergs in Luzern wirkt bewegter. Das rührt zum einen daher, dass in ihrem Fall die Ellbogen etwas höher liegen, wodurch das Ganze dynamischer wird. Zum anderen treten die physischen Eigenheiten des mageren Mannes in Silber getrieben per se deutlicher und lebendiger hervor, was der Natur des Materials geschuldet ist.

Vor dem Einschmelzen gerettet

Dass die Silberfigur Brandenbergs nach dem Holzmodell im Museum Burg Zug nicht im Chorherrenstift Beromünster verblieben, sondern zu St.Leodegar im Hof nach Luzern gelangt ist, hat eine besondere Bewandtnis (siehe auch Beitrag vom 11. Mai 2022): Nach der Ausrufung der Helvetischen Republik im Jahre 1798 war die Eidgenossenschaft zu hohen Zahlungen an die Franzosen gezwungen. Die Regierungen hiessen Kirchen und Klöster die wertvollsten Objekte ihrer Schatzkammern, sprich diejenigen mit dem höchsten monetären Materialwert, herzugeben, um sie einschmelzen zu lassen.

Auch das Stift Beromünster hatte dem Kanton Luzern eine Anzahl Exponate in die Hauptstadt zu schicken, darunter war Brandenbergs Bruder Klaus. Die Regierung erlaubte schliesslich einigen Geistlichen aus aristokratischen Familien, besonders schöne Stücke für sich auszusuchen, solange sie dafür einen gewissen Gegenwert leisteten. «Retter» des Brandenberg’schen Bruder Klaus soll ein gewisser Melchior Mohr gewesen sein, einflussreicher Kunstminister und zuvor Chorherr zu St.Leodegar. Er hat die Silberfigur im Anschluss der Hofkirche überlassen.

So ist das Luzerner Stift in den Besitz dieser kostbaren, einst für Beromünster bestimmten Bruder-Klausen-Figur aus Zug gekommen. Sie ist im Rahmen der öffentlichen Führungen durch den Luzerner Stiftsschatz (www.luzern-kirchenschatz.org) zu besichtigen. Ihr Vorbild, die Holzstatue, wird nach wie vor im Depot des Museum Burg Zug verwahrt. (Text von Andreas Faessler)