Viel Platz für neue Kirchenmusik

Musik

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Liturgische Musik ist und bleibt beliebt. Erst recht, seit die Spielräume nach dem Konzil grösser geworden sind. Auch Modernes findet immer mehr Platz in der Kirche – wenn gewisse Punkte erfüllt sind.

  • Keine Kirche ohne Orgel. Liturgie und Musik sind eng verbunden. Heutzutage ist man aber flexibler als früher. (Bild Nadia Schärli)
    Keine Kirche ohne Orgel. Liturgie und Musik sind eng verbunden. Heutzutage ist man aber flexibler als früher. (Bild Nadia Schärli)

Zug – Die Kirche und die Musik waren immer untrennbar miteinander verbunden. Was die Musik in der Liturgie seit jeher für einen Stellenwert hatte, sagen uns allein die repräsentativen Orgelprospekte in den Gotteshäusern. Heute mag dem Begriff «Kirchenmusik» etwas Verstaubtes, Altmodisches anhaften. Aber zum Glück eben nur dem Begriff. «Musik ist eine Sprache, die jeder versteht», führt Carl Rütti ein gängiges Zitat an. Der Kirchenmusiker und Komponist aus dem Kanton Zug macht diese Worte auch für den kirchlichen Rahmen gültig.

«Selbst Menschen, die nicht gläubig sind, schätzen geistliche Musik sehr. Sie ist einst wie heute allgemein beliebt und gefragt», so Rütti. Nicht zuletzt sei dafür ein gewisser Wandel verantwortlich, habe die Musik in der Kirche früher hauptsächlich einen Signalzweck gehabt – laut als Zeichen des Messebeginns, ruhig zur Wandlung, laut zum Ende der Messe –, so lade die Musik im Gotteshaus heute zum Zuhören und auch zum Geniessen. «Ganz besonders an den kirchlichen Hochfesten», sagt Rütti.

Die Liturgie weitertragen

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor knapp 50 Jahren gibt es die strenge Gebundenheit von liturgischem Ablauf und der gespielten Musik kaum mehr. «Wichtig ist, dass die Musik in der Kirche die Verkündigung unterstreicht, die Botschaft weiterträgt», sagt Mario Pinggera, Pfarrer der katholischen Gemeinde Richterswil und Präses des Schweizerischen Katholischen Kirchenmusikverbandes (SKMV). Eine Umfrage in seiner Gemeinde habe erst neulich gezeigt: Die Leute wünschen sich einfach passende, stimmige Musik in der Kirche.

So sind die grossen geistlichen Schöpfungen natürlich nach wie vor beliebt und haben Bestand. Gegen profane Musik in der Kirche aber spreche nichts, denn sie könne die Liturgie klanglich genauso angemessen gestalten wie geistliche Werke. «Der kulturelle Anspruch ist heutzutage grundsätzlich gross bei den Kirchenbesuchern», weiss Pinggera. Wenn die Qualität stimmt, habe je nach Anlass auch Modernes seinen berechtigten Platz in der Kirche, erklärt er weiter und führt als Beispiel etwa eine Beatles-Ballade oder Vergleichbares an.

Im Rahmen von Hochzeiten oder Trauerfeiern werde oft Unkonventionelles gewünscht, selbst Pop oder Volksmusik. «Das ist absolut in Ordnung. Erst recht, wenn es sich um einen letzten Willen handelt. Einsprechen würde ich da erst, wenn die Musikwahl, beispielsweise bezüglich Liedtext, wirklich grenzwertig wäre.»

Das Gesangbuch bleibt ein Hit

Pinggera kommt auf die Jugend zu sprechen. «Erstaunlicherweise scheinen Junge das Liedgut aus dem katholischen Gesangbuch zu schätzen. Immer wieder wünschen sie sich die altbekannten Lieder – sie erinnern sie wohl an früher.» Auch kämen etwa österliche Singspiele oder ähnliche kirchliche Musikereignisse bei Kindern und Jugendlichen sehr gut an, sagt Mario Pinggera. So verwun­dere es nicht, dass das neue «Gotteslob» mit vielen zusätzlichen, modernen Liedern ein grosser Hit in der katholischen Kirche geworden ist.

Mario Pinggera begrüsst solche Neuerungen, denn «der Kirchenmusikschatz nimmt an Wert zu, wenn man ihn pflegt und erweitert».

Neue Werke sind selten nachhaltig

«Die Nachfrage nach Kirchenmusik besteht auch heute noch. Und es ist noch viel Platz für Neues», sagt Carl Rütti, der es wissen muss: Vor kurzem hat der Zuger mit «Mysterium Montis» eine Vesper komponiert für die ungewöhnliche Besetzung mit Chor und Alp­horn-Sextett. Dabei wird der ganze Kirchenraum inklusive Kanzel, Seitenkapellen und Orgelempore im Rahmen einer choreografischen Abfolge mit einbezogen. «Neue Kirchenmusik geht heutzutage viel weiter als früher. Es werden zum Beispiel zunehmend Werke komponiert, bei denen auch das Volk in den Kirchenbänken gewisse Gesangsparts übernimmt», sagt Rütti.

Das einzige Problem: Meist handelt es sich bei neuen Kirchenwerken um Auftragskompositionen. Nicht nur spielen hierbei die Urheberrechte eine massgebliche Rolle, sondern für jede zusätzliche Aufführung stellt sich zudem die Kostenfrage. «Daher sind neue litur­gische Werke leider oft ohne Nachhaltigkeit», bedauert Mario Pinggera. (Andreas Faessler)

Wer bestimmt das Programm?

Wer legt eigentlich fest, welche Musik in einem Gottesdienst gespielt wird und welche Lieder gesungen werden? Pfarrer Mario Pinggera weiss, dass dies einer der grössten Streitherde innerhalb von Pfarrgemeinden ist. Ein junges Beispiel ist die Pfarrei St. Michael in Zug, in der es zum Zerwürfnis und folglich zur Trennung von Gemeindeleitung und Kirchenmusiker gekommen ist. Pinggera kennt Fälle, die sogar vor Gericht geendet haben. «Das wird dann selbst für die Kirchgänger unangenehm», sagt er. «Aus hierarchischer Sicht bestimmt an sich der Pfarrer die Musik. Aber diese Praxis ist kein guter Weg», erklärt Pinggera. Eine wichtige Basis ist Empathie, Sozial- und Fachkompetenz, sowohl von Seiten der Pfarreileitung als auch der Kirchenmusik. Mit anderen Worten: Man sollte miteinander kommunizieren. Mario Pinggera: «Sturheit – ungeachtet auf welcher Seite – ist hier fehl am Platz.» (fae)