Ein Kaiser mit 20 Jungfrauen im Garten

Brauchtum & Geschichte

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Vor genau hundert Jahren ist ein Kaiserpaar in den Kanton Zug gekommen: Karl I. von Österreich-Ungarn und seine Frau Zita sind in der Schweiz im Exil und besuchen das Kloster Heiligkreuz in Cham.

  • Das Original-Bild von 1920: Kaiser Karl I. (mit Spazierstock) inmitten der österreichischen Frauen. (Bild Kloster Heiligkreuz)
    Das Original-Bild von 1920: Kaiser Karl I. (mit Spazierstock) inmitten der österreichischen Frauen. (Bild Kloster Heiligkreuz)
  • Er inszenierte sich gern als militärischer Feldherr: Kaiser Karl I, der den Ersten Weltkrieg verlor. (Bild Wiki Commons)
    Er inszenierte sich gern als militärischer Feldherr: Kaiser Karl I, der den Ersten Weltkrieg verlor. (Bild Wiki Commons)
  • Mit offenem Verdeck unterwegs: Kaiser Karl I. (hinten links). (Bild Wiki Commons)
    Mit offenem Verdeck unterwegs: Kaiser Karl I. (hinten links). (Bild Wiki Commons)
  • Ein Idyll am Vierwaldstättersee: Kaiser Karl I. mit seiner Frau Zita beim Schlosshotel Hertenstein in Weggis. (Bild Heinrich Schuhmann, APA, Keystone)
    Ein Idyll am Vierwaldstättersee: Kaiser Karl I. mit seiner Frau Zita beim Schlosshotel Hertenstein in Weggis. (Bild Heinrich Schuhmann, APA, Keystone)
  • Während des Ersten Weltkriegs gekrönt: Kaiser Karl mit Zita und Sohn Otto (Bild Wiki Commons)
    Während des Ersten Weltkriegs gekrönt: Kaiser Karl mit Zita und Sohn Otto (Bild Wiki Commons)

Zug – Ein Kaiser und eine Kaiserin in Cham! Was für eine Sensation. Vor genau hundert Jahren, am 11. September 1920, ereignet sich dieser Jahrhundertanlass. Doch die Zuger Zeitungen schreiben über die Maul- und Klauenseuche, über die Fleischpreiserhöhungen, über die Spaltung der Sozialdemokratischen Partei und darüber, dass Pia Mattmann als neue Generaloberin des Klosters Heiligkreuz gewählt wurde.

Erst Tage später findet sich unter den «Mitteilungen aus dem Leserkreis» die kurze Bestätigung, dass Karl I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn und Kroatien, «begleitet von einem Ex-Hofmarschall und einem Oberforstmeister» in Cham beim «Lindenhof» abgestiegen sei. Das war’s dann schon mit der Berichterstattung über den blaublütigen Besuch.

Kaiser Karl war damals schon seit anderthalb Jahren in der Schweiz und vielleicht nicht mehr eine riesige Sensation. Nach Ende des Ersten Weltkriegs war er mit Kaiserin Zita in die Schweiz gekommen, seit dem 24. März 1919 lebten sie im Exil. Der letzte habsburgische Kaiser hatte sein Reich verlassen müssen. Und dies nach 650 Jahren österreichischer Herrschaft des Hauses Habsburg! Formell haben der Kaiser und die Kaiserin nicht abgedankt, weil – so ihre tiefe Überzeugung – ein Kaiser von Gott eingesetzt sei und gar nicht abdanken könne. Deshalb nennen sich die beiden nach wie vor Kaiser und Kaiserin, auch wenn sie kein Reich mehr besitzen und keinerlei Regierungsbefugnisse haben.

Kaiser Karl I. und Kaiserin Zita, Herzogin von Bourbon-Parma, kamen nach ihrer Flucht aus Österreich zuerst im Schloss Wartegg auf dem Rorschacherberg unter, das ihren Verwandten gehört. Weil sie und ihr Hofstaat zu wenig Platz fanden, zogen sie nach Prangins am Genfersee um. Hier fand das kaiserliche Ehepaar nach den Wirren des Krieges endlich wieder Zeit für Zweisamkeit. Zwei Kinder kamen in der Schweiz zur Welt – am 5. September 1919 Rudolf, am 1. März 1921 Charlotte.

Der Ausflug auf die Rigi

Die Familie besuchte Ausflugsorte in der ganzen Schweiz, reiste unter anderem zu ihrem ursprünglichen Stammsitz, der Habsburg im Aargau, nach Fribourg, nach Spiez, aber auch nach Disentis. Oder auf die Rigi. Dort rapportierte der Journalist des «Basler Tagblatts» aus der Rigi-Bahn: «Ich fand mich im Wagen einem Herrn in Blau gegenüber. Blaue Augen, blauer Schlips, blauer Anzug, blauer Hut. Das Ganze von harmloser Freundlichkeit übergossen. Es kam mir bekannt vor; aber ich war nicht sicher, ob mich meine Vermutung nicht täuschte. (...) Ich wusste nun, wen ich vor mir hatte: den Chef des Hauses Habsburg, Karl I. Er machte den Eindruck eines Jünglings, für den die Probleme des Lebens keine Kampfobjekte sind, und der sich als Bonhomme mit dem Schicksal abzufinden weiss.»

«Eindruck eines Jünglings» und «Bonhomme» – da war wohl einiges an Projektion im Spiel, wenn der Reporter Karl I. ansehen und gleich charakterliche Schlüsse daraus ziehen konnte. Es sei ihm verziehen, denn einem Kaiser begegnet man nicht alle Tage! Solche zufällige Begegnungen mit dem Kaiser nehmen im Sommer 1920 rapide ab. Sah man Karl I. zuvor wie gewöhnliche Personen in der Strassenbahn in Genf, so musste er sofort mit unbewachten und unbedachten Ausflügen aufhören. Denn die Genfer Polizei deckte einen Komplott von Anarchisten auf, die den Kaiser umbringen wollten.

Deshalb ist der Ausflug in den Kanton Zug am 11. September 1920 umso bemerkenswerter. Das Kaiserpaar reist im eigenen «Automobil» nach Lindencham. Ihr Ziel ist das Kloster Heiligkreuz. Mit dabei sind auch ein «Oberforstmeister» sowie Karls ständiger Begleiter, Flügeladjudant Paul Maria Josef Esterhazy de Galantha (1874–1942). Der noble Besuch «brachte manche Klosterbewohnerin aus dem Gleichgewicht!», heisst es in den klösterlichen «Institutsgrüssen» erfrischend ehrlich. Der Kaiser besichtigt das Töchterinstitut Heiligkreuz des gleichnamigen Frauenklosters, das damals verschiedene Schwesterbetriebe in den Kantonen Schaffhausen, Graubünden, Wallis und Tessin führt. Karl I. verbringt an diesem Samstagnachmittag gut zwei Stunden im Institutsgarten, wo er 20 junge Österreicherinnen trifft, die der eigentliche Grund seines Besuchs sind. Denn diese jungen Frauen sind nach Ende des Ersten Weltkriegs «zur Stärkung und Erholung» nach Cham gekommen. Das war durchaus üblich, dass Kriegsversehrte sich in neutralen Staaten erholen konnten.

Der Abstecher nach Cham

Der Kaiser tauscht sich mit den jungen Österreicherinnen aus, lässt sich mit ihnen fotografieren, worauf Karl I. «durch ein begeistertes Vivat und die Nationalhymne geehrt» wird. Überdies dankt der Kaiser dem Kloster in überschwänglichen Worten für die Aufnahme und Gastfreundschaft seinen Landsfrauen gegenüber. Die Klosterfrauen lassen es daraufhin nicht nehmen, den berühmten Mann eingehender zu betrachten: «Wir hatten Gelegenheit, uns seine Physiognomie genau einzuprägen und seine freundliche Herablassung und Leutseligkeit zu bewundern.» In der handgeschriebenen Klosterchronik heisst es zur Kaiservisite: «Welch einzigartiger Besuch! Seine Majestät Kaiser Karl von Oesterreich beehrte unser liebes Heiligkreuz mit seinem Besuche, um sich vom Wohlergehen seiner 20 bei uns zur Erholung weilenden Landeskinder zu überzeugen und auch dafür zu danken. Seine Majestät verbrachte einige Stunden im Klostergarten mit seinen lieben Oesterreicherinnen. Wie muss es diesem wahrhaft frommen, edlen Monarchen leid sein, fern seinem Land und Volk in der Verbannung zu leben und es in Not und Elend zu wissen.»

Die im Klostergarten aufgenommene Fotografie zeigt zwölf der jungen Frauen und vorne in der Mitte, in hellem Anzug und auf einen Spazierstock aufgestützt, den Kaiser, der damals 33-jährig ist. Sein Flügeladjudant sitzt mit übereinandergelegten Händen neben ihm, er ist damals 46-jährig. Besonders schön ist der bewundernde Gesichtsausdruck der Frau rechts aussen: Sie scheint den Kaiser richtiggehend anzuschmachten.

Doch dieser gütig wirkende «Bonhomme» Karl I. ist im Schweizer Exil politisch tätig, was ihm eigentlich nicht erlaubt wäre. Der Ex-Kaiser korrespondiert mit dem Papst und vor allem mit Monarchen und Ministern in ganz Europa. Dabei bemüht er sich wortreich darum, dass Österreich nicht komplett zerstückelt wird. Er sondiert ständig nach Möglichkeiten, sich als König und Kaiser wieder ins Spiel zu bringen und lanciert schliesslich aus dem Schweizer Exil zwei Putschversuche. Doch beide scheitern kläglich.

Beim Besuch in Lindencham war das alles kein Thema. Die Österreicherinnen waren ebenso gerührt und fühlten sich geehrt wie die Ordensschwestern. Beim Abschied, so ist es überliefert, bewarfen sie vor Begeisterung sogar das Auto des Kaisers mit Blumen. (Michael van Orsouw)

Hinweis
Der Zuger Autor und Historiker Dr. phil. Michael van Orsouw hat das Buch «Blaues Blut. Royale Geschichten aus der Schweiz.» verfasst. Für eine Serie der «Zuger Zeitung» hat er nun Geschichten mit Zuger Bezügen herausgearbeitet, die im Buch nicht oder nur am Rande vorkommen. Die nächste Folge erscheint Mitte Dezember und handelt von der niederländischen Königin Wilhelmine, die als Vorbild für die Zuger Jugend galt.