Von der Illusion zur Geschichte
Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte
Der Enkel eines bekannten Zuger Künstlers hat einen spannenden Reifeprozess durchlaufen. Mit seiner Kunst ist er mittlerweile auf internationalen Messen vertreten.
Zug – Biên Tran* sitzt entspannt auf einem abgenutzten Ohrensessel in seinem Atelier in Lugano und raucht. Um ihn herum stehen Spraydosen, Öl- und Acrylfarben, Lego und knallbunte Kunstwerke, die mühelos die Essenz ihres Schöpfers widerspiegeln: kühn, gewagt, kreativ und illusionär.
«Meine Kunst ist eine ausgewogene Mischung aus Realismus, Illusionismus und visueller Wahrnehmung», sagt der 37-Jährige und deutet mit der Zigarette auf seine Werke. Die Verwendung dieser Elemente erlaube ihm, das zu erreichen, was er den «Umsturz des Konzepts» nennt. Dieses Attribut findet sich in vielen seiner Kunstwerke wieder, wie etwa in «Viaggio virtuale» (virtuelle Reise) aus dem Jahr 2013. Das pinkfarbene Ellipsoid im Zentrum des Bildes scheint auf einer weissen Oberfläche zu schweben. «Illusionismus ist – neben Emotionen – das Einzige, was ein Künstler unabhängig von externen Einflüssen entwickelt», beteuert Tran. Dank Illusionen könne er auf der Leinwand seine Geschichte schreiben und sich gleichzeitig an die Vergangenheit erinnern.
Botschaft des Unterbewusstseins auf Leinwand
Zu dieser Erkenntnis kam Tran im Jahr 2006, als er wiederholt von einem Traum heimgesucht wurde. «Ein Mann wanderte scheinbar grundlos mit einem Einkaufswagen in der Nacht umher.» Tran brachte die Botschaft seines Unterbewusstseins auf die Leinwand. «ll Vagabondo» markiert den Beginn seines künstlerischen Reifeprozess.
Aber Trans Vorliebe zum schöpferischen Cocktail kommt nicht von ungefähr. «Ich mag es zu mischen, mein Blut ist auch gemischt», sagt er, lacht und pustet eine Rauchwolke gegen die Decke. Seine Mutter ist italienisch-polnischer Herkunft, sein Vater ist chinesisch-vietnamesisch. Klettert man auf Trans Stammbaum ein paar Zweige höher, findet man die Quelle seines künstlerischen Talents: Grossvater Edmondo Dobrzanski. Der gebürtige Zuger machte sich einen Namen als Expressionist und stellte als Maler der «Condition Humaine» vorwiegend randständige Menschen dar. «Als ich fünf war, pinselte ich mein erstes Ölgemälde mit meinem Grossvater», erinnert sich Tran. Er habe viel Zeit bei seinen Grosseltern verbracht, da seine Eltern oft unterwegs waren. «Ich bin mir des Vermächtnisses meines Grossvaters bewusst, aber ich wollte mir meine Karriere von Anfang an selber aufbauen – ohne Assoziation zu meinem Nonno.»
Zu Gast an namhaften Kunstmessen
Mit über einer Million Followern auf Facebook hat sich Tran längst in eine Kunstliga gemalt, die sich auf internationalen Ausstellungen tummelt. Art Fair Malaga, Art International Zürich, Fine Art Biennalen in Cannes und Florenz; Trans Kunst ist mit dabei. «Jedes meiner Werke markiert einen Übergang in meinem Leben; es stellt einen Gedanken dar oder eine erlebte Situation, die ich anschliessend mit Hilfe meiner Fantasie in ein Bild transformiere.»
Als Gegenwartskünstler wagt sich Tran nun auch in unerforschtes Territorium. Auf seinem Arbeitstisch liegt ein unvollendetes Bild, das mit Legosteinen und Pokemonkarten belegt ist. «Das ist eines von drei Werken, die ich für die Firma Go Digitally kreiere.» Die Bilder werden anschliessend als NFT (Non-Fungible Tokens), also einer Form von digitaler Kunst verwendet. Normalerweise erhält der Käufer ein Echtheitszertifikat einer Datei, die das Original des Kunstwerks darstellt. Tran wollte potenziellen Problemen urheberrechtlicher Natur aus dem Weg gehen und verkauft die physischen Kopien. «Go Digitally wird sie schliesslich einscannen und für ihre Onlineplattformen verwenden.»
Tran zeigt sich auch in dieser Hinsicht kühn, gewagt und kreativ: «NFT Kunst wird vermehrt an Stellenwert gewinnen», ist er sich sicher. Wird man in Zukunft also öfter mit der VR-Brille auf der Nase durch virtuelle Galerien schlendern? «Das ist möglich», sagt Tran und lacht. Für ihn ist Kunst sowieso wie ein Alphabet, dessen Buchstaben teils noch unerforscht sind. «Alles was ich will, ist ein Buchstabe entdecken und ihn weitergeben an die nächsten Generationen.» (Text von Sabina South)
*Biên Tran ist in Sorengo TI geboren. Er besuchte das Centro Scolastico per le Industrie Artistiche in Lugano, wo er bis heute lebt und arbeitet.