Ein aufregender Abschied
Ceci & Cela, Théâtre & Danse
Im Zuger Burgbachkeller stehen Veränderungen vor der Tür. Bevor Madeleine Flury und Giannina Masüger das Haus aber in neue Hände geben, wagen sie noch ein paar Experimente.
Zoug – Dieser Artikel erschien in der Mai-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.
Im Burgbachkeller sitzen an einem kühlen Frühlingsmorgen die beiden Leiterinnen des Burgbachkellers gemeinsam mit Linus Meier vom Verein Winkelzug in der Sitzecke im Foyer. Wir treffen uns auf Kaffee und Gespräche über das anstehende KunstOff-Festival und über den bevorstehenden Wechsel im Haus.
Madeleine, Giannina, Eure Zeit im Burgbachkeller geht in grossen Schritten dem Ende zu. Wie geht es Euch damit, aufzuhören?
Madeleine Flury – Es geht uns gut damit. Natürlich werden wir die Veranstaltungen vermissen, von welchen wir viele nicht gesehen hätten, hätten wir diese Funktion nicht gehabt. Die Vielfalt werden wir vermissen und den Austausch. Giannina Masüger – Besonders auch der Austausch mit dem Publikum und den Künstler*innen. Die Gespräche und Begegnungen sind ein besonders schöner Teil der Arbeit.
Und was war weniger schön?
MF – Wir stehen dafür ein, wie wichtig das Kulturschaffen für unsere Gesellschaft ist. Und dass Berufe im Kulturbereich zu wenig wertgeschätzt werden. Die Löhne sind zu tief, die Anerkennung fehlt nach wie vor – kulturpolitisch und auch öffentlich. Den Leuten ist nicht bewusst, wie viele Baustellen es gibt und dass Selbstverständlichkeiten in anderen Branchen in der Kultur oft noch immer fehlen. Das war die Schattenseite an der Arbeit hier: Der ständige Kampf dafür.
GM – Manchmal ging es sogar darum, den Leuten aufzuzeigen: Das ist kein Hobby, was wir alle hier tun, das ist ein Betrieb. Und auch im Be- reich der Vermittlung hat Zug noch einiges aufzuholen.
Wenn wir auf die anstehenden Monate schauen, was werden Eure Abschluss-Highlights?
GM – Wir freuen uns sehr darauf, dass das Theatertreffen in Zug stattfindet, auf unsere Abschlussabende im Juni und vorher natürlich sehr auf unser Festival KunstOff.
Genau, sprechen wir darüber, schliesslich soll Linus Meier auch etwas zu erzählen haben. Wie ist dieses hauseigene, interdisziplinäre Festival entstanden?
MF – Das war während Corona. Denn im Frühjahr 2021 mussten die Zuger Spiillüüt wegen der Beschränkungen ihre Produktion absagen und wir hatten plötzlich sechs Wochen lang ein leeres Haus. Mit dem Verein Winkelzug fanden wir jemanden, der diese Lücke füllen konnte.
Was macht den Verein Winkelzug aus?
Linus Meier – Wir haben als Zuger Verein zur Förderung und Vernetzung lokaler experimenteller Musikszene begonnen. Mit der Zeit aber hat sich unser Fokus von der Musik ausgeweitet auf innovatives und improvisierendes Kulturschaffen im Allgemeinen. Dafür entwickeln wir unterschiedliche Formate.
Was war beim Format KunstOff der Grundgedanke?
LM – Wir wollten ein interdisziplinäres Festival schaffen, das inhaltlich so frei wie möglich ist, bei dem Improvisation so breit wie möglich gedacht wird. Nun laden wir als Team, zu dem auch Samuel Büttiker zählt, Kulturschaffende ein – und lassen sie einfach machen. Das Publikum weiss nicht, was es erwartet, wir wissen nicht, was uns erwartet. Wir kennen zwar das grundsätzliche Schaffen der Künstler*innen, ihre Ausrichtungen, den Stil, aber auch für uns sind die Auftritte Überraschungen.
Kann man trotzdem schon ein wenig etwas zum Festival erzählen?
MF – Es wird im Burgbachkeller und auf der Strasse davor stattfinden.
LM – Der Raum wird also minimal ausgeweitet. Es wird Installationen geben, Performances, Bereiche, in welchen das Publikum sich kreativ betätigen kann. Es gibt Essen und Musik. Ein Festival zum Reinschauen, Entdecken, Innehalten, Austauschen.
GM – Diese Aspekte sind besonders wichtig, da es performative Produktionen in Zug nicht einfach haben.
Weshalb ist das so?
MF – In Zug besuchen die Leute eher gerne klassischere Veranstaltungen, mit bekannten Namen im Titel. Bei Performances, Improvisationen, bei Experimenten sind sie zurückhaltend.
GM – Und eine Carte Blanche ist dabei als Form am unvorhersehbarsten. Viele Leute scheuen diese Offenheit. Sie wollen konkrete Angaben dazu, was sie erwartet.
Und da dachtet Ihr: Dann machen wir doch ein Festival mit genau dem, was die Leute weniger wollen?
MF – Genau. (Gelächter rundum.) Nein, es ist tatsächlich schwieriger, eine Performance einzeln und abendfüllend zu veranstalten. Bei einem Festival mit mehreren beteiligten Personen und Vereinen gibt es mehr Anknüpfungspunkte und da die verschiedenen Performances zwischen 30 und 45 Minuten dauern, auch viel Abwechslung. Da kann man reinschauen, Unterschiedliches entdecken, zudem können sich Publikum und auch Künstler*innen miteinander und untereinander austauschen.
Habt Ihr ein Beispiel dazu?
LM – Die Performance von Simon Berz erfüllte das perfekt: Er hackte Holz über Papier mit Grafitstaub und erschuf damit Muster. Dann begann er auf den Holzstücken Musik zu machen und am Ende entzündete er draussen in der Feuerschale ein Feuer zum Wurstbräteln – die Performance endete bei Wurst und Wein und Gesprächen. Ein grosser Erfolg. Doch solche Kunst-Performances sind eine Nische und haben in der Schweiz und Zug einen schwierigen Stand. Das Schweizer Publikum ist generell nicht sehr wagemutig. Wir sehen es deshalb als unsere Aufgabe, die Leute zu konfrontieren und zu überraschen. Ihnen aufzuzeigen, dass es in Kunst und Kultur viel mehr gibt als das Bekannte und Erwartbare.
GM – Wir wollen diese Zugänge ermöglichen und vielleicht wird das Publikum nicht nur von der Performance, sondern auch der eigenen Reaktion darauf überrascht.
Eine Carte Blanche zu vergeben, ist gerade in politisch aufgeladenen Zeiten auch ein Risiko. Tragt Ihr die Verantwortung dafür, was auf der Bühne passiert und gesagt wird, oder ist es eher wie bei der Garderobe? Wo nicht gehaftet wird?
MF – (Lacht.) Nein, so ist es nicht. Wir kennen die Künstler*innen und ihre Arbeiten ja und wissen ungefähr, was sie machen. Natürlich gibt es ein gewisses Risiko, aber grundsätzlich gilt bei uns auf der Bühne die freie Meinungsäusserung.
Alles von der Kunstfreiheit gedeckt?
LM – Die Frage steht bei uns gar nicht gross zur Debatte, da wir weniger Sprach-Künstler*innen einladen oder solche mit politischer Message. Es sind musikalischere Performances mit viel Interpretations- und Projektionsraum. Eine Ausnahme ist eigentlich nur Ester Poly mit klar feministischer Ansage.
GM – Mit unserer Wahl der Künstler*innen setzen wir da auch den Rahmen, mit gründlicher Recherche im Voraus. Die Carte Blanche am KunstOff ist ein Vertrauensbekenntnis von uns, ein Ausdruck unserer Wertschätzung. Und die Eingeladenen sind sich dieser Verantwortung auch bewusst.
Nach dem KunstOff steht im Juni noch Euer Abschluss an, Giannina und Madeleine. Was erwartet uns dort?
GM – Nochmals eine grosse Überraschung. Am 12. Juni beehrt uns Olga Tucek, die zu unserem Eröffnungsabend den Burgbachkeller-Song geschrieben hat. Dieser hat uns die letzten Jahre begleitet und wir freuen uns sehr, sie zum Abschluss wieder dabeizuhaben. Der 13. Juni wird dann nochmals ziemlich unvorhersehbar.
MF – Eigentlich ist es wieder eine Carte Blanche. Die letzten sechs Jahre waren wir sehr strategisch unterwegs, jede Entscheidung war geplant und begründet. Beim letzten Abend wollen wir möglichst nichts mehr entscheiden. Vieles an dem Abend wird überraschend anders sein, ein verspielter Blick hinter die Kulissen, auch in Abläufe, die man sonst gar nicht hinterfragt. Es wird mit der Preispolitik gespielt, Räume werden geöffnet und auf vielen Ebenen die normalen Abläufe ausgestellt und zugänglich gemacht, indem wir damit spielen.
Was möchtet Ihr euren Nachfolger*innen Nadja Bürgi und Kim Emanuel Stadelmann mitgeben?
GM – Auf jeden Fall viel Energie.
MF – Und Geduld. Dass sie nicht vergessen, worum es geht.
GM – Wir haben viele Gespräche geführt und freuen uns sehr, ihnen den Burgbachkeller übergeben zu können. Im Wissen, dass viele Werte übereinstimmen, dass Nische und Nachwuchs weiterhin viel Platz eingeräumt wird, und dass sie aber auch neue Impulse setzen werden.
Und was habt Ihr nach eurer Zeit im Burgbachkeller vor?
MF – Erst mal Pause machen.
GM – Definitiv erst mal Pause machen.
(Die beiden grinsen sich an.)
Text: Jana Avanzini