Der bewegte Weg der Reformierten

Literatur & Gesellschaft

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Der Zuger Lokalhistoriker Jürg Johner legt eine erste umfassende Publikation zur Geschichte der Reformierten Kirche im Kanton Zug vor. Mit ein paar Jahren Verspätung zwar, doch dafür umso gehaltvoller.

  • Jürg Rohner präsentiert sein Werk in der reformierten Kirche Baar. (Bild Mathias Blattmann)
    Jürg Rohner präsentiert sein Werk in der reformierten Kirche Baar. (Bild Mathias Blattmann)

Zug – Die vergleichsweise junge Geschichte der Reformierten Kirche im Kanton Zug ist vielen Lokalkundigen im Kern geläufig: Als während der rasanten Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Arbeitskräfte aus protestantischen Kantonen nach Zug gekommen waren, etablierte sich in Baar die erste reformierte Gemeinschaft – und bald entstand dort das erste protestantische Kirchengebäude im Kanton. Der Rest ist Geschichte.

Und diese Geschichte liegt nun auf über 140 Seiten in abgefasster Form vor – zum ersten Mal überhaupt in solch detaillierter Ausführung. Urheber der Publikation ist der Zuger Lokalhistoriker Jürg Johner, der von 2008 bis 2014 als erster offizieller Archivar der Reformierten Kirche Kanton Zug verantwortlich zeichnete. Anlässlich 150 Jahre Evangelisch-Reformierte Kirchgemeinde des Kantons Zug 2013 ist vom Kirchenrat eine Gedenkschrift angestossen worden. Dieser anspruchsvollen Aufgabe nahm sich schliesslich der damalige Archivar Johner an. «Für die Reformierte Kirche des Kantons Zug hatte bislang keine ausführliche, einheitliche Dokumentation ihrer eigenen Geschichte existiert», sagt Johner. «Daher war es mein Bestreben, so weit wie möglich in die Tiefe zu gehen. Alles dafür Nötige zusammenzutragen, zu sichten, auszuwerten und niederzuschreiben, hat sich schliesslich weit länger als erwartet hingezogen. Dafür konnte ich wesentliche Geschehnisse zwischen 2013 und 2019 noch inkorporieren.»

Wie war das mit dem ersten reformierten Gottesdienst?

Die Publikation folgt zunächst der Chronologie. Die Entstehung der ersten reformierten Gemeinschaft in Baar stellt der Autor vor die Hintergründe der Reformation in der Schweiz und damit unmittelbar vor diejenigen der entscheidenden Ausgänge der Kappeler und Villmerger Kriege. Detailreich und mit kleinen, aber delikaten und bisher wohl kaum je anderswo zu lesenden Begebenheiten schildert Johner die Etablierung der Reformierten im Kanton Zug.

Und räumt dabei gleich mit einer ersten, lange weitergegebenen und immer wieder «abgeschriebenen» Falschinformation auf: Der erste protestantische Gottesdienst im Kanton Zug wurde nicht am Ostermontag, 6. April 1863, im Packsaal der Spinnerei abgehalten, sondern – so hat Jürg Johner darlegen können – bereits drei Wochen früher in reduzierter Form ohne Abendmahl, nämlich am 15. März selben Jahres auf dem so genannten «Haspelboden» der Fabrik-Spedition.

Noch ein hartnäckig sich haltender Irrtum

Und mit dem Bau der reformierten Kirche Baar kommt Johner schon zum nächsten «Irrtum», der sich bis heute oft noch hartnäckig hält. «Man liest im Zusammenhang mit dem dortigen Gotteshaus immer wieder von der ‹ältesten reformierten Kirche› der Zentralschweiz», so der Lokalhistoriker. «Richtig aber ist, dass sie die erste im Kanton Zug war, zentralschweizweit jedoch ist sie die zweitälteste – nach der Matthäuskirche in Luzern.» In Baar aber hängt dafür das älteste reformierte Geläut der Zentralschweiz, weil sich die Geldbeschaffung für ein Glockengeviert in Luzern länger als erwartet dahingezogen hatte. Doch zahlten die Baarer ihren Preis für diesen Rekord: Das Geläut wurde anstelle einer Heizung angeschafft. «Über ein Dezennium hinweg mussten die Gläubigen winters frieren, wenn sie Gottesdienst feierten», weiss Johner dazu.

Immer wieder unternimmt der Autor in seiner Festschrift gehaltvolle Exkurse zu historischen Nebenschauplätzen, wo er bisher kaum veröffentlichte archivalische Inhalte verarbeitet, was wiederum der Geschichte hinter dem Werden und Entstehen der heutigen Reformierten Kirche des Kantons Zug ordentlich «Fleisch an den Knochen» gibt. Selbiges gilt für die Kapitel, in denen Johner auf die Entstehung der weiteren reformierten Bezirkskirchgemeinden im Kanton eingeht und es nie auslässt, die jeweiligen Gotteshäuser auch kunsthistorisch zu würdigen.

Fortschrittlich und rückständig zugleich

Und warum attestiert er seinem «Opus magnum» auch eine mentalitätshistorische Komponente? Jürg Johner: «Die Reformierten waren in mancher Hinsicht zwar sehr vorausschauend, in gewissen Punkten jedoch auch ziemlich rückständig.» Damit meint er in erster Linie die Tatsache, dass es seinerzeit etwa drei Jahrzehnte gebraucht habe, bis die Reformierten im Kanton Zug endlich ein einigermassen funktionierendes Parlament gebildet hatten. «Es war eine wahre Zangengeburt, den Grossen Kirchgemeinderat zu formen. Und lange Zeit waren die Gemeindeversammlungen auf eine Weise geführt, dass Manipulationsversuchen und der Durchsetzung von Sonderinteressen Tür und Tor geöffnet waren, was sich am laufenden Band in den Beschlüssen niederschlug.» Um dies zu veranschaulichen und für die Leserschaft nachvollziehbar zu machen, hat Johner in einem Annex-Kapitel die Gemeindeordnungen und -reglemente akribisch durchforstet und ausführlich kommentiert. (Andreas Faessler)

In elektronischer Form ist die Publikation abzurufen im Literaturverzeichnis unter www.ref-zug.ch/kanton-zug/ueber-uns/geschichte. Physisch bezogen werden kann sie bei der Kommunikations-Assistenz des reformierten Kirchenzentrums in Zug.