Kulturschatz erweist sich als Glücksfall für die Geschichte von Stadt

Kunst & Baukultur

,

Das mobile Kulturgut des Klosters Maria Opferung kann als Schenkung vom Museum Burg Zug übernommen werden. Eine wahre Mammutaufgabe für Projektleiter Marco Sigg und sein Team. Aber der Aufwand lohnt sich auf der ganzen Linie, wie sich herausgestellt hat.

  • Viel Arbeit für Projektleiter Marco Sigg und sein Team – Sammlungskuratorin Alexandra Hutter und Kunsthistorikerin Anna Tomczak. (Bild Mathias Blattmann)
    Viel Arbeit für Projektleiter Marco Sigg und sein Team – Sammlungskuratorin Alexandra Hutter und Kunsthistorikerin Anna Tomczak. (Bild Mathias Blattmann)

Zug – Es ist ein Los, mit dem sich zahlreiche kleinere Ordensgemeinschaften früher oder später werden abfinden müssen: Die vielfach überalterte Gemeinschaft schrumpft, der Nachwuchs fehlt, allmählich weicht das klösterliche Leben aus den Gebäuden. Nicht anders ist es mittlerweile dem Kloster Maria Opferung in Zug ergangen, wo seit dem Spätmittelalter Kapuzinerinnen gewirkt haben.

Vor zehn Jahren ist der Verein Kloster Maria Opferung gegründet worden. Er sollte sicherstellen, dass die damals verbliebenen Schwestern für den Rest ihres Daseins ein würdiges Klosterleben vor Ort führen können. 2019 verstarb mit Sr. Anna Nerlich die letzte Frau Mutter des Klosters Maria Opferung, worauf der Betrieb nach und nach aufgelöst wurde. Letztendlich war nur noch eine einzige Ordensschwester übrig.

Neue geistliche Nutzung

Der Verein Kloster Maria Opferung entschied sich darauf, die Klostergebäude zu sanieren und für eine neue geistliche Nutzung zur Verfügung zu stellen. So wurde im Sommer 2021 der Verein Anima Una neuer Alleinmieter des ehemaligen Klosters und war fortan zuständig für den Unterhalt der gesamten Liegenschaft. Die Vereinigung, welche sich vorderhand der Neuevangelisierung der Jugend verschrieben hat, hatte bereits seit September 2018 ein Büro im ehemaligen Zuger Kloster angemietet.

Damit Anima Una sämtliche Räume für seine Zwecke nutzen kann, sollte das gesamte mobile Kulturgut des Klosterbetriebes geräumt werden. Doch legte der Verein Maria Opferung Wert darauf, dass das Kulturgut nicht etwa in alle Winde verstreut oder gar sorglos beseitigt wird, sondern im Kanton Zug verbleibt. So wurde der Verein im Frühjahr 2020 beim Staatsarchiv und dem Museum Burg Zug vorstellig und unterbreitete ihnen den Vorschlag einer Schenkung.

«Das kam sehr überraschend für uns», sagt dazu Marco Sigg, damals noch Direktor des Museums Burg Zug, welches für die Sichtung und Inventarisierung der Klostergüter verantwortlich zeichnen sollte. «Nach einem ersten Augenschein vor Ort war schnell klar, dass dies eine einmalige Chance für alle Beteiligten ist», erinnert sich Sigg.

Tausende von Objekten und Einzelteilen

Nach weiteren Abklärungen zur Machbarkeit der Übernahme und zu deren Finanzierung erhielt das Grossprojekt grünes Licht: Innerhalb von zwei Jahren sollen der gesamte Bestand sauber aufgearbeitet und die für den Kanton Zug in verschiedener Hinsicht bedeutenden Kunstobjekte aussortiert werden. Die Leitung des Projektes hat Marco Sigg nach Weitergabe seines Direktorenpostens per Ende 2021 übernommen. «Das kam mir wie gerufen», sagte er seinerzeit gegenüber dieser Zeitung. «So kann ich wieder ganz praktizierender Historiker sein.»

Eine Schenkung – das klingt zunächst nach einem komfortablen Akt, ist in diesem Fall jedoch mit einem enormen Aufwand verbunden. Marco Sigg: «Erst im Verlauf der genaueren Sichtung hat sich gezeigt, wie umfangreich der ganze Fundus wirklich ist. Letztlich besteht er aus 20 000 bis 25 000 Registratureinheiten, die gelistet, sortiert und – wo angezeigt – einander zugeordnet werden müssen.» Alles in allem sei es ein riesiger Schatz mit einem grossen Potenzial hinsichtlich kultureller Bedeutung für Stadt und Kanton Zug.

Objekte, die Geschichte (weiter)schreiben

Die Finanzierung des anspruchsvollen Projektes konnte vorerst aus dem Lotteriefonds und mit einem Beitrag der Stadt Zug gesichert werden. Läuft alles planmässig, sollte es Ende 2023 abgeschlossen sein. «Ein sportliches Ziel», sagt Marco Sigg dazu angesichts des unerwartet grossen Umfangs des Inventars.

Er erklärt, dass das Museum niemals jedes einzelne Stück übernehmen könnte – allein aus Platzgründen –, sondern man habe in einem aufwendigen Prozess rund 1000 erhaltenswerte Objekte aussortiert, welche entweder für die Region von Bedeutung sind, über die Klostergeschichte und den dortigen Alltag Aufschluss geben oder bestenfalls gar die Zuger Kunstgeschichte weiterschreiben können.

Aus letzter Kategorie ist Marco Sigg mit seinem Team auf einige vielversprechende Trouvaillen gestossen. Etwa kostbare Gemälde wie auch Figuren, bei denen es sich um bisher unbekannte Werke bedeutender Zuger Künstler und Handwerksmeister handeln könnte. Bilder aus der Brandenberg-Familie finden sich darunter oder diejenige der Menteler und der Speck. Sie stellen möglicherweise ein Puzzleteil im Schaffen der jeweiligen Künstler dar und können sich somit als interessante Forschungsobjekte erweisen.

Erhalten sind unter anderem die einstigen Altarblätter der Klosterkirche aus der Hand Melchior Paul von Deschwandens. Die eindrücklichen Beispiele nazarenischer Malerei waren seit der nüchternen Umgestaltung in den 1960er-Jahren auf dem Dachboden des Klosters mehr schlecht als recht eingelagert und haben – wie zahlreiche andere kostbare Objekte – deutliche Zeichen suboptimaler Aufbewahrung davongetragen.

«Tragt Sorge zu historischem Kulturgut»

An dieser Stelle äussert Marco Sigg sein Erstaunen darüber, dass manche Klostergemeinschaften und auch viele Pfarreien nicht selten etwas nachlässig mit ihrem wertvollen Bestand umgehen. Er zeigt auf zwei handwerklich hervorragend ausgeführte barocke Heiligenfiguren, die möglicherweise aus der Wickart-Werkstatt stammen. Sie sind von neuerer Hand mit einer offensichtlich billigen, handelsüblichen Goldfarbe von Kopf bis Fuss lieblos übertüncht worden. «Das kommt faktisch einem Totalschaden gleich», merkt Marco Sigg dazu an. «Es wäre demnach meine dringliche Botschaft an alle Kirchgemeinden und Klöster, Sorge zu tragen zu solch historischem Kulturgut und sich fachliche Beratung zu holen – etwa im Museum.»

Einiges hat rein ideellen Wert

Gearbeitet wird momentan in den Depots an der Hofstrasse und in einem eigens eingerichteten Arbeitsraum im ehemaligen Zuger Kantonsspital. Neben Gemälden aus mehreren Jahrhunderten, aller Art Mobiliar sowie Devotionalien wie Gebetsutensilien und einer Vielzahl an Reliquien oder Heiligenfiguren aus mehreren Epochen finden sich hier zahlreiche Paramente und andere liturgische Gewänder. Auch vollständige Ordenstrachten und ferner ganze Tischgarnituren mit Tafelgeschirrsätzen und Besteck haben es in die Auswahl geschafft. «Manches davon hat keinen kunsthistorischen oder nennenswerten monetären Wert», sagt der Projektleiter. «Die Bedeutung dieser Objekte liegt vor allem in ihrer Funktion als Zeugen einer bedeutenden Einrichtung der kantonalen und städtischen Geschichte von Zug. Sie geben Einblicke in das klösterliche Leben, in die Heilsgeschichte, ins Kunsthandwerk und helfen, die einmalige Geschichte des Klosters Maria Opferung zu rekonstruieren.»

Derzeit harrt noch einiges einer restauratorischen Aufarbeitung. Bröckelndes Blattgold auf kostbaren Rahmen wird fixiert, mehrere Objekte müssen von Wurmbefall befreit werden, einige Gemälde haben Schimmel angesetzt ... Es gibt noch sehr viel zu tun. «Die schiere Menge und der Zeitdruck sind fordernd», sagt Marco Sigg, aber man spürt, dass der Historiker mit diesem Projekt ganz in seinem Element ist.

Der Öffentlichkeit zugänglich machen

Konkrete Pläne, was mit dem Bestand geschehen wird, wenn er dann mal fein sauber sortiert und fachgemäss im Museumsdepot in der Chollermühle eingelagert ist, gibt es derzeit noch nicht. Eines aber ist für Marco Sigg jetzt schon klar: Die Öffentlichkeit soll diesen Bestand zu sehen bekommen. Sei es in Form eines Onlinearchivs oder im Rahmen von Ausstellungen. Die Zukunft wird’s zeigen.

Das Fazit des passionierten Historikers ist und bleibt: «Die Möglichkeit, das mobile Kulturgut des Klosters Maria Opferung zu erhalten und für künftige Generationen zugänglich zu machen, ist ein wahrer Glücksfall. Sowohl für die Geschichte des Klosters wie auch für diejenige von Stadt und Kanton.» (Text von Andreas Faessler)