Sales Kleeb, der Freund, Erzähler und Förderer
Brauchtum & Geschichte, Musik
Sales Kleeb war ein Aktivist der besonderen Art. Er beeinflusste die musikalische Erziehung von Generationen. Vorwiegend gesetzestreu, manchmal auch kreativ subversiv. Zu einer Zeit, als «Zug noch Zug» war und man sich kannte. Ein persönlicher Nachruf.
Zug – Zum Tod des Zuger Komponisten und Musikpädagogen Sales Kleeb (1930–2025).
Der Erzähler
Sales Kleeb war ein begnadeter Erzähler. Seine witzigen und träfen Anekdoten, die aus den vielfältigsten Begegnungen heraus entstanden, sind legendär. Er kannte sehr viele Menschen, und viele kannten ihn. Als seine kleinen Enkelinnen einmal mit Sales durch die Stadt spazierten und ständig anhalten mussten, um Passanten zu grüssen, resümierten sie später: «Unser Grossvati kennt die ganze Welt!» Für uns drei Kinder bedeutete das, dass wir sonntags nicht auf den Zugerberg oder an den Zugersee gingen, sondern zum Schwimmen ins abgelegene Naturbad Maschwanden und zum Spazieren ins Säuliamt. Denn dort war die Chance grösser, dass unser Vater nicht dauernd erkannt und angesprochen wurde. Sales war ein ausgesprochener Menschenfreund, und als leidenschaftlicher Kommunikator pflegte er den Austausch mit seinem stets wachsenden Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis intensiv.
Die Instanz
Sales Kleeb war eine integrierende Instanz. Nicht nur für unsere Bekannten in Zug, auch für die Grossfamilie Kleeb-Ruckstuhl mit ihren vielen Onkeln, Tanten, Cousinen und Cousins war er eine Autorität, bei der alle Informationen zusammenliefen. Wenn er rief, kamen sie alle. Als er zum Beispiel Geld für eine neue Orgel in der Pfarrkirche seines luzernischen Heimatdorfes Richenthal sammelte, wurde daraus ein Crowdfunding der besonderen Art. Da seine Taufkirche der heiligen Cäcilia, der Schutzpatronin der Kirchenmusik, gewidmet ist, beschloss Sales, sämtliche Frauen mit Vornamen Cäcilia in der Schweiz in Form eines persönlichen Bettelbriefes anzuschreiben. Der Erfolg war überwältigend. Das Patronatskomitee sammelte fast eine Million, konnte so den Auftrag zum Bau einer neuen Cäcilienorgel erteilen und sogar noch eine viel beachtete Orgelkonzertreihe starten. Das Engagement von Sales war wohl auch eine Form von stiller Dankbarkeit, denn einige Jahre zuvor hatten die Richenthaler ihn zum Ehrenbürger ernannt.
Der Christ
Sales Kleeb war ein tiefgläubiger Christ. Im katholisch-konservativen Milieu des Luzerner Hinterlandes in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen, war er in seiner Jugendzeit Ministrant und ging jeden Tag in die Kirche. Er spielte sogar ernsthaft mit dem Gedanken, selber Pfarrer zu werden. Der politische Kampf zwischen den Konservativen und den Liberalen, der im Luzernischen leidenschaftlich ausgefochten wurde, war für Sales ein zentrales Thema, das in unserer Familie immer wieder für Gesprächsstoff und Diskussionen sorgte. Uns staunenden Kindern erzählte er jeweils von unserem katholischen Verwandten, der 1847 im Sonderbundskrieg von einem liberalen Freischärler angeschossen worden sei, als ob es gestern gewesen wäre. So war es ein grosser Verlust für Sales, als das «Vaterland», seine der CVP nahestehende Lieblingszeitung, eingestellt wurde. Doch später in Zug realisierte er, dass die politische Gesinnung allein noch keine Garantie für kulturelles und soziales Engagement darstellte, und hegte viele Sympathien über seine selbst auferlegten Parteigrenzen hinaus.
Der Vater
Sales Kleeb war ein viel beschäftigter Vater. Er war nicht nur Leiter der städtischen Musikschule, sondern auch Dirigent der Kadettenmusik Zug. Fast jeden Abend gab es noch Registerproben, einmal pro Woche die grosse Hauptprobe, Vortragsübungen und andere Veranstaltungen, weshalb unser Vater meist erst sehr spät nach Hause kam. Das veranlasste uns Kinder am Sonntagabend, wenn er dann endlich auftauchte, zur Frage, die wir im Beisein von Sales an unsere Mutter richteten: «Du, Mami, wer ist eigentlich dieser fremde Herr, der einmal pro Woche bei uns zu Abend isst?» Sales reagierte zunächst erzürnt über unsere Frechheit, später aber erzählte er diese Anekdote bezeichnenderweise selber über sich. Solche Sprüche, die wir über unseren Vater machten, oder Streiche, die wir ihm spielten, nahm er lächelnd zur Kenntnis, um es uns später mit gleicher Münze heimzuzahlen. Darin war er ein Meister.
Der Musiker
Sales Kleeb war ein ausgezeichneter Musiker. Er absolvierte das Lehrerseminar Hitzkirch, war zuerst Primarlehrer in Richenthal, dirigierte mehrere Musikgesellschaften und wurde Militärtrompeter, dann Spielführer einiger Regimentsspiele. In dieser Funktion bestellte er seine spätere Ehefrau Hildegard an einem Wochenende heimlich nach Bellinzona, wo er sie ohne Wissen seiner Vorgesetzten am Bahnhof mit Marschmusik empfing. Dummerweise befand sich im selben Zug ein Brigadier, der sich über die Aufmerksamkeit ebenso freute und sich danach beim unwissenden Regimentskommandanten bedankte. Dieser stellte den eigenmächtigen Spielführer zur Rede, und die ganze Sache flog auf. Später studierte Sales Kleeb Komposition an der Musikakademie Zürich. In Zug, seiner neuen Heimat, war er zuerst Primarlehrer im Guthirt-, Burgbach- und Kirchmatt-Schulhaus. Er dirigierte die Kadettenmusik, die ein hohes musikalisches Niveau erreichte, und baute die städtische Musikschule auf, die er während Jahrzehnten leitete und zu einer über die Landesgrenzen hinaus beachteten Vorzeigeschule formte. Als er die Leitung übernahm, gab es lediglich zwei Lehrpersonen, am Schluss waren es fast hundert. Sales Kleeb machte sich einen Namen als Komponist zahlreicher Werke für Blas-, Chor- und Kirchenmusik und wurde international und national mehrfach ausgezeichnet. Zudem war er Blasmusik- und Prüfungsexperte, gefragter Referent und Ehrenmitglied mehrerer eidgenössischer Musikverbände.
Das Lexikon
Sales Kleeb war ein wandelndes Lexikon. Es war beeindruckend, über welch detailliertes kunstgeschichtliches Wissen er verfügte, und dieses mit spielerischer Leichtigkeit mit politischen, geografischen oder gesellschaftlichen Gegebenheiten verknüpfen konnte. Besonders auch in Bezug auf seine alte Heimat, das Luzerner Hinterland. Er intervenierte, wenn bedeutendes Kulturgut bedroht war. In Zug engagierte er sich unter anderem im Komitee zum Fortbestand der religiösen Gemeinschaft im Kapuzinerkloster. Er mischte sich aber auch ein, wenn er bei einer Besichtigungstour der Meinung war, dass der Guide einen «fertigen Chabis» erzähle. Sales Kleeb legte ein privates Archiv an, das sehr spezifisch war. Als ich einmal die Musiknoten zu Ehren des Zuger Kirschtortenerfinders suchte, die in keinem Archiv mehr auffindbar waren, wurde Sales prompt fündig. Innert Minuten sandte er mir die Partitur per Fax zu. Seine Privatsammlung befindet sich heute im Staatsarchiv Zug.
Im Alter von 95 Jahren ist Sales Kleeb am 30. März 2025 spätabends im Alters- und Pflegeheim Luegeten Menzingen friedlich eingeschlafen. Am Mittag schenkte er noch einen letzten festen Händedruck und gratulierte mir zum Geburtstag. Elegant hat er sich verabschiedet. Unser Vater blickte stets mit grosser Zuversicht in die Zukunft und so auch seinem Lebensende entgegen. Vor dem Tod hatte er keine Angst, sondern ging sehr offen damit um. In den letzten Jahren bereitete er seine Abdankung bis ins letzte Detail vor und instruierte uns Kinder, was im Todesfall zu tun sei. Die Begräbnisfeier, der Abschiedsgottesdienst und das anschliessende Fest gerieten zur letzten Inszenierung, bei der er Regie führte.
Sales fehlt. Er hinterlässt eine riesige Lücke. Der Trauerredner, ein ehemaliger Kadett, schloss beim Abschiedsgottesdienst in der Kirche St. Oswald mit den Worten: «Danke für alles, lieber Sales. Danke! Ruhe wohl, mein Freund, du hast es gut gemacht.» (Text von Ueli Kleeb)
Hinweis
www.sales-kleeb.ch
*Ueli Kleeb, Visueller Gestalter, ist das jüngste von drei Kindern des Verstorbenen.