Ein Zuger gibt neu den Ton an

Musik

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Xaver Fässler ist seit jüngstem Intendant des Kurorchesters von Pontresina. Er tritt in grosse Fussstapfen.

Zug – Xaver Fässler ist im Element. «Wie ein erfolgreiches einstündiges Programm aussieht?», vergewissert er sich. «Es ist nie schlecht, mit einem Walzer zu starten. Dann ist das Publikum schon mal in Stimmung. Danach macht sich eine Ouvertüre gut, bevor eine Sinfonie und weitere Charakterstücke folgen. Der Abschluss gehört dann der Polka», sagt er. Das Programm dürfe aber auch mal einen aktuellen Schlager aufweisen. «Schlager ziehen immer.»

Seit 33 Jahren verbringt der Zuger Musiker und Musiklehrer den Sommer in Pontresina. Er ist Teil der Camerata Pontresina, einem Zusammenschluss von diversen Berufsmusikern. «Wir sind wie eine Familie», sagt er. Wegen dem Geld komme keiner. «Du engagierst dich bei der Camerata, weil es eine Herzensangelegenheit ist.»

Orchester existiert seit über 100 Jahren

Die Camerata Pontresina ist eine Institution im Engadiner Ferienort. Auf 113 Jahre blickt sie zurück. Von Mitte Juni bis Ende September tritt das Orchester jeden Tag in unterschiedlicher Besetzung um 11 Uhr auf. Bei schönem Wetter finden die einstündigen Konzerte im Taiswald statt, bei Regen in der Kirche. Hauptaufgabe des Orchesters: den Feriengästen eine Freude bereiten, sie unterhalten. Das tönt einfacher, als es ist. «Wir spielen jeden Tag ein anderes Programm», sagt Fässler. Das ist der Anspruch der Musikerinnen und Musiker. Das seien sie ihrem Publikum schuldig. Schliesslich, so betont er, gebe es nicht wenige, die jeden Tag kämen – Wiedersehen bereitet Freude.

1989 haben die Verantwortlichen der Camerata Pontresina die Fühler nach Xaver Fässler ausgestreckt. Fässler, der ausgebildete Klarinettist und ehemalige Musiklehrer aus Hünenberg, Baar und Walchwil, ist kein Unbekannter in der Szene. Nach seinem Studium an der Hochschule für Musik in Zürich war er in renommierten Orchestern wie der Tonhalle Zürich, der Oper Zürich, St. Gallen und Winterthur tätig. Er war auch Vorstandsmitglied und Soloklarinettist im «Orchestre philharmonique Suisse» und Mitglied im Ensemble Kammer Solisten Zug.

Gross zu überreden brauchte man Fässler nicht. Auch, weil er die Aussicht verlockend fand, am Morgen zu musizieren und am Nachmittag die Natur zu geniessen. Im Sommer 1990 hatte er seine ersten Auftritte mit dem Orchester. Inzwischen haben er und seine Frau das Engadin mehr als nur schätzen gelernt. «Wir planen, im Alter ganz nach Samedan zu ziehen», sagt er. Fässler ist 67 Jahre alt und damit seit zwei Jahren Musiklehrer im Ruhestand. Alt fühlt er sich deswegen nicht. «67 ist einfach eine Zahl», sagt er. Und langweilig wird es ihm sowieso nicht. Erst recht nicht seit diesem Sommer.

Sonderschichten eingelegt – auch als Berufsmusiker

Xaver Fässler wurde zum Intendanten der Camerata Pontresina ernannt. Er fühle sich durch die Anfrage geehrt, sagt er. Gerechnet damit hat er nicht. «Es ist schon ein Privileg, Musiker dieses Orchesters zu sein», sagt er. Fässler tritt die Nachfolge von Jürg H. Frei an, der das Orchester 33 Jahre lang geführt hat. Frei ist auch bekannt als «Der Doktor mit der Flöte»: Er war Flötist und absolvierte später noch ein Medizinstudium. Seine Doktorarbeit schrieb er über Gehörschäden von Orchestermusikern.

Diese Arbeit erregte die Aufmerksamkeit von Stardirigent Herbert von Karajan. Dieser lud ihn ein, Vorträge zu dem Thema zu halten. 1989 übernahm Frei das Zepter des Kurorchesters Pontresina. Er brachte nicht nur neue, professionelle Musikerinnen und Musiker, sondern auch junge Talente ins Boot. Frei habe das einzig richtige getan, meint Fässler. Ein solches Orchester funktioniere nur mit Profis. «Als Hobbymusiker hast du keine Chance. Schon nach dem ersten Takt kommst du nicht mehr mit», sagt er.

Fässler weiss, wovon er spricht. Als er bei der Camerata Pontresina anfing, hatte er neben der Orchesterprobe und dem Konzert am Morgen auch noch am Nachmittag geübt. Sonderschichten muss er heute keine mehr einlegen. «Aber auch für Berufsmusiker gilt: Übung macht den Meister», sagt er.

Als Intendant ist Fässler zusätzlich gefordert. Gemeinsam mit Pontresina Tourismus möchte er sicherstellen, dass die Morgenkonzerte im Taiswald fortbestehen. Den Grundstein dazu hat er vor zwei Jahren mit der Einführung der Young-People-Konzerte gelegt.

Dort werden auch Stücke aus den Star Wars-Filmen oder Harry Potter gespielt. Das stösst beim Publikum auf offene Ohren: Die Zahl der Konzertbesucherinnen und -besucher ist seither gestiegen. Mittlerweile sind es gegen 200 Personen, die täglich kommen. Unter ihnen auch vermehrt Junge.

Die Musik hilft zu entspannen

Kurorchester haben eine lange Tradition. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert wurden sie in Kurorten eingesetzt, um Gästen während ihres Aufenthalts Unterhaltung zu bieten. Man war überzeugt, dass Musik die Genesung fördert. Die Orchester spielten in Kurparks, Badehäusern und anderen öffentlichen Bereichen.

In vielen Wellness- und Rehabilitationszentren werden auch heute noch musikalische Darbietungen als Teil der ganzheitlichen Therapie eingesetzt. Von der positiven Wirkung ist Xaver Fässler überzeugt: «Musik hilft dir perfekt, dich zu entspannen.» Und mit einem Walzer hebt man die Stimmung. (Text von Dominik Buholzer)