Eine musikalische (Auto-)Biografie

Musik

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«Coccolinos Welt» heisst das Sinfonie-Debüt des Zuger Jazz-Kontrabassisten und Komponisten Raffaele Bossard. Es wird am letzten Oktober-Wochenende durch das Orchester Cham-Hünenberg im Lorzensaal Cham uraufgeführt.

  • Das Orchester Cham-Hünenberg, dirigiert von Samuel Nyffeler. Bild: Andreas Busslinger
    Das Orchester Cham-Hünenberg, dirigiert von Samuel Nyffeler. Bild: Andreas Busslinger

Cham – Samstagmorgen im Schulhaus Eichmatt in Hünenberg. Die Aula füllt sich rasch mit Menschen und Musikinstrumenten: Das Orchester Cham-Hünenberg probt in voller Besetzung einen Tag lang Raffaele Bossards neuestes Werk «Coccolinos Welt».

Bossard ist eigentlich ein erfahrener Kontrabassist im Bereich Jazz und improvisierte Musik. Aber der Klang klassischer Orchester begleitet ihn seit seiner Kindheit – in der ihn seine Mutter «Coccolino» nannte – und spielte eine zentrale Rolle in seiner musikalischen Entwicklung. Das erfährt man aus dem Programmheft. Und auch, dass er sich während des Lockdowns 2020 in die Kunst der Filmmusik vertiefte und begann, orchestrale und Synthesizer-Klänge zu kombinieren. Das Interesse am Klangkörper eines Orchesters habe dann dazu geführt, dass er sich in intensivem Eigenstudium sinfonischer Musik zuwandte.

Vom Verwurzeln und den Frauen

Nun steht die Uraufführung seiner ersten Sinfonie vor der Tür. «Coccolinos Welt» lädt dazu ein, während sechzig Minuten biografische Meilensteine des Komponisten musikalisch mitzuerleben, darin aber auch eigene Emotionen gespiegelt wiederzufinden.
Bald sitzen etwa sechzig Musizierende – Laien, Semiprofis und Profis – an ihren Instrumenten. Nebst den Streichern und Streicherinnen des Orchestervereins Cham-Hünenberg sind dies Holz- und Blechbläser, Perkussion, Harfe und Celesta – alles, was es braucht, um pompöse oder graziöse, innig-lyrische oder kraftvoll-dramatische Musikerlebnisse zu gestalten. Dirigent Samuel Nyffeler hebt den Taktstock und führt das Orchester zunächst in den dritten Satz namens «Radiora».

Die sieben Sätze – Kapitel oder Lebensstationen – der Sinfonie tragen fantasievolle, klingende Namen, die symbolisch wirksame Bilder evozieren: Jeder Name ist eine Zusammensetzung aus zwei griechischen oder lateinischen Wörtern. Raffaele Bossard sagt dazu: «Meine Affinität zu Fantasy-Geschichten spielt hier eine Rolle.» So meint «Radiora» einerseits «Radix» (Wurzel), andrerseits «Ora» (Küste). Dieses Bild vom «Wurzeln am sicheren Ufer»
sei «eine Hommage an die starken Frauen in meinem Leben: Meine beiden Mütter, die italienische Grossmutter, die Gefährtin».

Die Musik beginnt getragen und warm, mit Flöten und Harfe im Vordergrund. «Denkt an das Autobiografische», ruft Dirigent Nyffeler, «Geborgenheit und Rückhalt! Ich möchte, dass ihr die Musik noch mehr ‹streichelt›!» Beim Wiederholen arbeitet das Orchester diese Seelenlage deutlicher heraus: Celli und Bässe zupfen sanft und erdig, und schliesslich gipfelt das Ganze in ein «con grandezza», um dann mit einem tiefen Basston zu verdämmern.

Fragilität und Farbigkeit

Das nächste Stück, welches
das Orchester probt, heisst «Mosāicra» – aus «Mousaikos» (Mosaik) und «Chara» (Freude). Es steht für die Kindheit mit ihren Geheimnissen und Abenteuern. Dementsprechend ist die Musik ein buntes Geflecht von fragilen Eindrücken und aufregenden Erlebnissen. Plötzliche Wechsel von Takt- und Tonarten und daher auch von Stimmungen prägen den Satz: «Con Anima ... grazioso ... dramatico ... pomposo», und so weiter. Dirigent Nyffeler arbeitet mit dem Orchester konzentriert an dieser Farbpalette.

«Coccolinos Welt» ist während des Jahres 2024 entstanden. Bossard fasst zusammen: «Zuerst dachte ich daran, irgendein grosses Menschheitsthema zum Gegenstand der Komposition zu machen, entschied mich dann aber für das Persönlichste – das, was ich erlebt habe, was mich prägte. Und was alle Menschen in der einen oder anderen Form kennen: Glück, Liebe, Freundschaft, Kindheitserinnerungen, Trauer, Angst, Mut.» Er freut sich darauf, seine Musik bald endlich live, im grossen Saal vor Publikum hören zu dürfen.

HinweisRaffaele Bossards Sinfonie «Coccolinos Welt» wird uraufgeführt am 24./25./26. Oktober 2025 im Lorzensaal Cham. Weitere Infos, Vorverkauf und eine Hörprobe sind zu finden auf: www.orchester-cham-huenenberg.ch. (Text: Dorotea Bitterli)