Gustav Mahler zwischen Riesen-Orchester und Kammermusik

Musik

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Das Konzert der Philharmonia Zürich brachte Werke von Johann Strauss und Gustav Mahler in Kammerbesetzung.

  • Solistin Marlin Hartelius (r.). (Bild Roger Zbinden)
    Solistin Marlin Hartelius (r.). (Bild Roger Zbinden)

Zug – Und wieder zuerst die besonderen Umstände in einer stets rasch wechselnden epidemiologischen und rechtlichen Situation: Trotz rigoroser Beschränkung des Publikums auf 50 (maskierte) Personen entschlossen sich die Veranstalter, das Konzert mit dem vorbereiteten Programm im Theatersaal des Zuger Casinos durchzuführen. Die Ausführenden der Philharmonia Zürich be­traten das Podium mit Maske, zogen diese aber unmittelbar vor dem Spielen aus. Unter der Leitung von Hans-Peter Achberger waren alle Stimmen nur solistisch besetzt.

Und so ausgerechnet Werke von Gustav Mahler! Der von 1860-1911 lebende Komponist ist der Nachwelt vor allem durch seine Sinfonien bekannt geblieben. Diese überragen nicht nur nach der zeitlichen Dauer, sondern auch nach der Zahl der Mitwirkenden das meiste, was vor ihm in dieser Sparte entstanden war; seine Achte erhielt mit nur wenig Übertreibung den Spitznamen «Sinfonie der Tausend». Die Vierte benötigt zwar wesentlich weniger Personal; aber schon in «normalen» Zeiten gilt sie durch den hohen Platzbedarf bei mittleren Bühnenverhältnissen als unausführbar.

Die Bearbeitung von Klaus Simon stutzte nach der Zahl der Mitwirkenden radikal zurück: Sämtliche Register waren nur solistisch besetzt und zwei Tasteninstrumente ersetzten die weniger exponierten Füllstimmen. So bewegte man sich mit total 16 Leuten tatsächlich im Grenzbereich zwischen Orchester und Kammermusik. Dank hoher musikalischer und spieltechnischer Kompetenz, kaum Veränderungen an Thematik und Gesamtspieldauer, erhielt das Publikum tatsächlich ein „Mahler-getreues“ Abbild des ganzen Werkes. Mit geschickter Registrierung und behutsamer dynamischer Gestaltung gelang ein vertretbares Gleichgewicht auch zwischen unterschiedlich voluminösen Instrumenten. Die erst im letzten Satz zum Zuge kommende Malin Hartelius vermochte sich gegenüber dem Begleit-Ensemble fast immer angemessen zu behaupten. Dies lag nicht nur an ihrer ausgefeilten Technik, sondern auch am Umstand, dass sie für eine Sopranistin nach der Tiefe über ein sehr respektables Stimmvolumen verfügte.

War es ein absoluter Höhepunkt innerhalb der Konzertsaison? Das hängt vom einzelnen Zuhörer ab. Man muss Mahler mögen, um ihn grossartig zu finden. Die im Nachvollzug oft unübersichtlichen Gesamtformen der langen Sätze, das Nebeneinander von hoch komplexen harmonischen Strukturen und fast plump wirkenden aus Volksliedern übernommenen Themen treffen nicht jeden Geschmack. Bei der Uraufführung (25. November 1901) fiel die Vierte klar durch, und die zeitgenössische Kritik sprach sogar von fehlender musikalischer Inspiration. Heute gehört sie zu den am häufigsten gespielten Mahler-Werken.

Zwei kürzere Werke bildeten mehr Einleitung zur Sinfonie: Die fünf Lieder auf Gedichte von Friedrich Rückert (1788-1866) sind Kompositionen der Spätzeit. Mahler schuf sie je in einer Fassung mit Klavier- und Orchester-Begleitung. Die vorgetragene Bearbeitung (Daniel Grossmann) bildete mit insgesamt elf Mitwirkenden eine Art Kompromiss. Die Instrumentalgruppe präsentierte sich selten als geschlossener Klangkörper. Vielmehr gab es nach solistischen Passagen für die einzelnen Instrumente oft lange Pausen – manchmal sogar über mehrere Sätze – was die Differenzierung zwischen den einzelnen Liedern verdeutlichte.

Einen kurzen Auftakt bildete der Kaiserwalzer von Johann Strauss (1825-1899). Die stark reduzierende Bearbeitung durch den „Zwölftöner“ Arnold Schönbergs (1874-1951) auf Streichquartett, Flöte, Klarinette und Tasteninstrument wurde spieltechnisch ansprechend vorgetragen. Aber trotz virtuoser Füll-Girlanden im Klavier erreichte sie nicht die Ausstrahlungskraft des weltbekannten Originals. (Jürg Röthlisberger)