Die Formen reduziert, aber das Wesen bleibt

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Fritz Wotruba, einer der einflussreichsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts, hatte einen ganz besonderen Draht zur Stadt Zug. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass wir hier Werke von ihm unter freiem Himmel sehen und erleben können.

  • Momentan im hohen Gras: die «Grosse liegende Figur» und die «Grosse stehende Figur» beim Kunsthaus, zwei Bronzeplastiken eines der bedeutendsten österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts. (Bild Matthias Jurt)
    Momentan im hohen Gras: die «Grosse liegende Figur» und die «Grosse stehende Figur» beim Kunsthaus, zwei Bronzeplastiken eines der bedeutendsten österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Der Name Fritz Wotruba (1907–1975) ist selbst unter den «Top Ten» der österreichischen Bildhauer des 20. Jahrhunderts ganz oben zu finden. Nur wenige seiner Generation haben die Entwicklung der Plastik auf vergleichbare Weise beeinflusst. Das Werk des Wiener Künstlers ist in der Stadt Zug reich vertreten.

Dem starken Zug-Bezug liegt die Bekanntschaft zu Philipp Etter – von 1934 bis 1959 Bundesrat –zugrunde, den er bei einem seiner Schweiz-Aufenthalte in den 1930ern getroffen hatte. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges siedelte Wotruba nach Zug um, wo er von einflussreichen Schweizer Persönlichkeiten unterstützt wurde, darunter auch von Etter selbst und vom Zuger Sammler- und Mäzenatenpaar Edith und Fritz Kamm, deren Nachlass später in eine Stiftung eingebracht worden ist. Diese stellt dem Kunsthaus Zug den Fundus als Dauerleihgabe zur Verfügung.

So kann sich Zug des besonderen Umstandes glücklich schätzen, dass hier mehrere bedeutende Werke des grossen Wiener Bildhauers in aller Öffentlichkeit sichtbar und zu betrachten sind. Zwei von ihnen, welche inhaltlich zusammengehören, stehen in nächster Nähe zum Kunsthaus – auf der abschüssigen Grünfläche zwischen Umfriedungsmauer und Burgbach.

Geometrisch, doch bewegt und lebendig

Es sind zwei Bronzeplastiken auf Steinsockel mit den simplen Bezeichnungen «Grosse liegende Figur» und «Grosse stehende Figur», entstanden in den Jahren 1960 respektive 1966 und beide knapp zwei Meter lang beziehungsweise hoch. Sie vermitteln den Eindruck mehrerer aufeinander und nebeneinander gestapelter/platzierter Quader unterschiedlichen Formates – von länglich schmal bis fast würfelförmig. Ihr Kantenverlauf ist jedoch unregelmässig, und die Oberflächen weisen Bearbeitungsspuren auf, was das Ganze trotz der im ersten Augenblick statisch-geometrischen Wirkung lebendig und bewegt scheinen lässt.

Die zwei in einem einzigen Guss angefertigten Plastiken verkörpern abstrahierend eine entspannt liegende sowie eine aufrecht stehende schlanke Person. Die eine ist als Antwort auf die andere zu interpretieren. So sind sie denn auch bewusst in einem Abstand von wenigen Metern zueinander platziert.

Die beiden Kunstwerke repräsentieren in typischer Weise das Schaffen Fritz Wotrubas, der sich hauptsächlich mit der menschlichen Figur auseinandersetzte und sie in all ihren Facetten darzustellen suchte, indem er sie auf minimale geometrische Formen reduzierte.

Die grosse Kunst Wotrubas besteht unter anderem darin, dass trotz dieser weitreichenden Reduktion nichts von Wesen und Charakter der «Dargestellten» verloren geht. Wotruba geht bei seinem schöpferischen Prozess mit grosser Sensibilität vor und erschafft so ein aus kubistischen Formen bestehendes vollgültiges Menschenbild, wie es in unterschiedlichen Betrachtungen seines Werkes zu lesen ist.

Wotrubas Exil: ein Glück für Zug

Die Liegende und die Stehende wie auch alle weiteren Wotruba-Exponate in Zug, von denen über das eine oder andere an dieser Stelle bestimmt noch zu lesen sein wird, zeugen von einer für den Künstler schwierigen Zeit. Sein Zuger Exil war im Grunde kein freiwilliges, sondern das Resultat eines mehrfachen Umzuges und letztendlich Flucht vor den starken politischen Unruhen in Österreich und sich anbahnenden Kriegswirren.

Wotruba bewegte sich im Umfeld der Sozialdemokraten. Diese Partei war ab 1934 verboten. Zudem war seine Ehefrau Marian jüdischer Abstammung, was eine Flucht angesichts des grassierenden Antisemitismus faktisch unabdingbar machte, viel zu gefährlich wäre ein Aufenthalt im «angeschlossenen» Österreich gewesen. Umso glücklicher für Wotruba, dass er in Zug mit Philipp Etter und insbesondere dem Ehepaar Kamm wohlwollende und loyale Freunde auf immer gefunden hat. Ein grosses Glück auch für die Schweiz und Zug erst recht: Hier hat Wotruba bis zu seiner Rückkehr nach Wien 1945 eine grosse Anzahl an wichtigen und repräsentativen Werken erschaffen.

Zurück in seiner Heimat, liess seine schöpferische Kraft kaum nach, seine Bedeutung und sein Einfluss auf die Entwicklung der Bildhauerei waren ungebrochen, nahmen gar an Fahrt auf. 1971 erhielt er den Auftrag zu einem seiner spektakulärsten Werke – der Dreifaltigkeitskirche in Wien-Mauer, gemeinhin «Wotrubakirche» genannt. Auch an diesem Bauwerk ist die künstlerische Handschrift des Bildhauers unverkennbar, und formelle Bezüge zu den weiter eben beschriebenen Bronzeplastiken in Zug liegen ganz auf der Hand. (Text von Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.