Um ein Haar an der Katastrophe vorbei

Brauchtum & Geschichte

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Im Frühjahr 1944 war ein Bomber der alliierten Streitmächte gezwungen, auf dem Zugersee notzuwassern. Das Spektakel hat sich in den Köpfen der Zuger eingeprägt. Heuer jährt sich der denkwürdige Vorfall zum 75. Mal.

  • Sommer1952: Über Wochen zieht sich die aufwendige Bergung des B-17G-Bombers aus den Tiefen des Zugersees mittels Schwimmtanks und Seilwinden hinweg. (Bilder: Keystone/Photopress-Archiv/Jules Vogt)
    Sommer1952: Über Wochen zieht sich die aufwendige Bergung des B-17G-Bombers aus den Tiefen des Zugersees mittels Schwimmtanks und Seilwinden hinweg. (Bilder: Keystone/Photopress-Archiv/Jules Vogt)

Zug – Der Donnerstag, 16. März 1944, war ein Tag, den die Zuger so schnell nicht wieder vergessen sollten. Die Stimmung in der Bevölkerung war mehr als angespannt, jenseits der Schweizer Grenzen hatte der Zweite Weltkrieg ganz neue Züge angenommen: Die Alliierten hatten begonnen, Übermacht zu kriegen, was die deutschen Fronten nach und nach zum Rückzug zwang. Über Nazi-Deutschland ging ein beispielloser Bombenhagel nieder, der Luftraum wurde von den alliierten Streitmächten dominiert.

Am besagten 16. März startete im Britischen Great Ashfield der 22-jährige Militärpilot Robert W. Meyer seinen B-17G-Bomber «Lonesome Polecat», um als Teil einer riesigen Flugformation die Städte Ulm, Augsburg und Friedrichshafen anzugreifen. Über Schwäbisch Gmünd jedoch wurde das Fluggeschwader von Maschinen der Deutschen Luftwaffe beschossen, wobei auch Meyers B-17G empfindlich getroffen und beschädigt wurde, zwei der vier Motoren fielen aus. Nach weniger als 30 Minuten musste Meyer mit seiner neunköpfigen Besatzung die Formation verlassen und entfernte sich südwärts Richtung Schweizer Grenze, wo Schweizer Jagdflugzeuge den Bomber anwiesen, auf einem der umliegenden Flugplätzen zu landen. Meyers Ziel war jedoch Spanien, weshalb er der Aufforderung der Schweizer keine Folge leisten wollte, zumal er sie vorerst irrtümlich für deutsche Einsatzkräfte hielt. Seine beschädigte Maschine aber verlor immer mehr an Höhe, auch abermaliges Abwerfen von Ballast half nichts. Der Bomber flog schliesslich über Obwalden und das Sustengebiet ins Urnerland, permanent begleitet von Schweizer Jagdflugzeugen. Über Brunnen, Goldau und den Zugersee steuerte die B-17G mit letzten Kräften Richtung Baar. Als der Pilot merkte, dass er es nicht mehr über die Albiskette nach Dübendorf schaffen würde, befahl er seiner Besatzung kurzerhand abzuspringen. Das Flugzeug flog zu diesem Zeitpunkt nur noch 300 Meter über dem Boden. Acht der Männer landeten mehr oder weniger wohlbehalten auf den Feldern um das Dorf Baar. Bei einem von ihnen, Robert L. Williams, öffnete sich der Fallschirm nicht korrekt respektive viel zu spät. Der Leutnant prallte heftig auf das Grundstück, wo heute die Schulanlage Wiesental steht, und erlag wenig später im Asyl Baar seinen schweren Verletzungen.

Es kostete ihn eine Zahnkrone

Jetzt folgte das Manöver, welches in die jüngere Zuger Geschichte eingegangen ist und sich in den Köpfen so mancher Zeitzeugen eingeprägt hat: Nachdem über Baar auch noch der dritte Motor der B-17G ausgefallen war, lenkte der an Bord verbliebene Pilot seine Maschine via Steinhausen und Cham zurück gegen Oberwil über den Zugersee. Dann drehte er nach links ab, flog Richtung Stadt Zug und wasserte seine Maschine kurz vor 13 Uhr erfolgreich auf Höhe des alten Kantonsspitals unweit der Artherstrasse. Das Flugzeug rutschte über den See, wirbelte viel Wasser auf und kam mit einer Drehung nach links zum Stehen. Pilot Meyer sprang mit seiner Schwimmweste in den kalten See und wurde kurz darauf von den Gebrüdern Werner und Norbert Henggeler in ein Ruderboot gezogen und ans Ufer gebracht. Meyer blieb unverletzt, abgesehen von einer ausgeschlagenen Zahnkrone, nachdem er beim Aufprall auf dem Wasser mit dem Kopf gegen die Armatur geschlagen war. Die gewasserte Maschine lief nach ihrem Stillstand innert Kürze voll und versank im See, der an dieser Stelle zirka 45 Meter tief ist.

Eine grosse Menschenmenge hatte sich in der seeseitigen Altstadt versammelt, um das Schauspiel zu beobachten. Man versorgte Pilot Robert W. Meyer und brachte ihn zu seinen überlebenden Besatzungskumpanen in den «Lindenhof» in Baar. Der verstorbene Leutnant wurde in Baar bestattet und später auf den Soldatenfriedhof Münsingen verlegt. Die überlebende Besatzung überstellte man nach Dübendorf zur Internierung.

Unter die Treppe geflüchtet

75 Jahre sind seit diesem spektakulären Vorfall vergangen, der um ein Haar als Katastrophe hätte enden können. Zu den Einheimischen, die sich noch heute daran erinnern können, gehört der 79-jährige Oskar Rickenbacher. «Ich weiss noch genau, wie ich mich zu Hause angsterfüllt unter der Stiege verkrochen habe, als das Flugzeug mit lautem Dröhnen über die Stadt Zug Richtung Baar flog», schildert er seine Reaktion als 5-Jähriger. Man habe via Radio Beromünster ja tagtäglich von den Kriegsgräueln jenseits der Landesgrenze gehört und sei entsprechend sensibilisiert gewesen.

Mit eigenen Augen gesehen hat Oskar Rickenbacher den B-17G-Bomber erst acht Jahre später, als das Wrack vom Seegrund gehoben wurde. Treibende Kraft für diese Aktion war ein gewisser Martin Schaffner, Garagist und Tankstellenbesitzer in Suhr AG. Wann immer es irgendwo ein Wrack aus einem See zu bergen galt, war Schaffner an vorderster Front dabei. 1952 erhielt er die Erlaubnis, den versunkenen Bomber aus dem Zugersee zu holen. Oskar Rickenbacher ist heute überzeugt, dass Schaffner ursprünglich geplant hatte, das Wrack neben seiner Tankstelle in Suhr als Attraktion aufzustellen – dazu inspiriert von einem ähnlichen Projekt in den USA.

Vom Zuger Hafen auf Ausstellungstour

Ab Juni 1952 vollzog Schaffner mit Hilfe vieler Einsatzkräfte die Bergung. Mittels zweier riesiger Stahllagertanks, welche von der Kesselschmiede Wild in Muri AG eigens angefertigt worden waren, sowie belastbarer Seilwinden wurde das Flugzeug nach sechs Wochen Vorbereitungsarbeiten vom Seegrund gehoben. Der erste Versuch jedoch ging schief – die Seile rissen, und das Wrack sank zurück in sein nasses Grab. Zwei Wochen später, beim zweiten Versuch am 25. August 1952, war die Bergung erfolgreich. Der Bomber wurde nach seiner Hebung zum Zuger Bootshafen geschleppt und auf dem dortigen Kiesplatz mit Hilfe der Firma Risi aus Oberwil auf- und anschliessend ausgestellt. Der mittlerweile 13-jährige Oskar Rickenbacher hat die gesamte Mission aufmerksam mitverfolgt und erinnert sich noch lebhaft, was der nunmehr als Besuchermagnet geltende Bomber für eine Anziehungskraft auf die Menschen ausübte. «Bereits am ersten Ausstellungstag strömten an die 10000 Schaulustige aufs Hafengelände in Zug», sagt er. «Selbst von weit her wurden Busreisen angeboten, welche als Höhepunkt die Besichtigung des Zugersee-Bombers anpriesen.»

Bald ging das fast schon legendär gewordene Flugzeug-Wrack auf Ausstellungstour quer durch die ganze Schweiz. 1970 kaufte ein Privatmann das Exponat und stellte es in St.Moritz-Bad neben dem Hotel Sonne auf. Nachdem das Flugzeug versprayt und somit verwüstet worden war, wurde es soweit geflickt, ergänzt und frisch bemalt, dass es fast schon wieder wie neu aussah. Oskar Rickenbacher hat den Bomber in St.Moritz anno 1972 noch besucht, ehe das Ausstellungsobjekt letztendlich verschrottet wurde. Privatsammler ergatterten zuvor noch einige Bestandteile des Flugzeuges, auch mehrere Kleinmuseen im In- und Ausland sind heute im Besitz von Relikten des Zugersee-Bombers.

Zum Fachmann geworden

Oskar Rickenbacher ist es weitgehend zu verdanken, dass wir heute so detailliert über die Geschehnisse rund um die Notwasserung des B-17G-Bombers auf dem Zugersee von 1944 Bescheid wissen. Der pensionierte Hochbauzeichner war bereits in jungen Jahren an Geschichte und insbesondere an der Lokalgeschichte stark interessiert, sammelte passioniert Ansichtskarten von Zug, um anhand dieser die Entwicklung der Stadt nachzuzeichnen. «Mit der Notwasserung von 1944 begann ich mich intensiv auseinanderzusetzen, als ich bei meinem Vater Fotos davon fand», so Rickenbacher. Bald stiess er im Zuge seiner Sammelaktivitäten auch auf Ansichtskarten, welche anlässlich der Ausstellung des Bombers in Umlauf gekommen waren. Mit den Jahren häufte der Zuger ein immenses Detailwissen an, hielt 2014 in Zusammenarbeit mit Doku-Zug erstmals einen grossen Vortrag im Burgbachsaal. Und nun – anlässlich des 75. Jahrestages der Notwasserung des B-17G-Bombers auf dem Zugersee – hält Oskar Rickenbacher erneut einen Vortrag mit noch mehr dazugewonnenem Wissen. Als Spezialgast wird die Tochter eines der über Baar abgesprungenen Besatzungsmitglieder anwesend sein. Gerahmt wird der zweimal durchgeführte Vortrag mit weiteren Attraktionen wie der Enthüllung von je einer Gedenktafel in Zug und in Baar. Aushänge an verschiedenen Orten sowie eine kleine Sonderausstellung zum Thema bei Foto Optik Grau am Bundesplatz und Doku-Zug ergänzen die Gedenkanlässe. (Für das detaillierte Programm bitte Box beachten.)

Ausserdem hat Oskar Rickenbacher sämtliche Einzelheiten zur Notwasserung sowie deren Hintergründe in einer Broschüre niedergeschrieben und mit einer Fülle an Bildmaterial angereichert. Diese wird an den Vortragsveranstaltungen erhältlich sein. Als Initiant der Vorträge und der Rahmenveranstaltungen ist Rickenbacher von der Stadt Zug, der Einwohnergemeinde Baar, der Bürgergemeinde Zug und Privaten unterstützt worden. (Andreas Faessler)