Von Regentropfen und Schweissperlen
Musik
Der gemeinnützige Verein Jazz Night Zug belebte zum 30. Mal die Zuger Altstadt – und brachte die Menschen zum Tanzen.
Zug – Da sind sie. Ohne Hemmungen und Regenschutz tanzen sie, als gäbe es kein Morgen. Das gewaltige Gewitter steigert ihre Stimmung nur noch. Die eben angezündeten Zigaretten scheinen gegen Nässe immun zu sein.
Sie, das ist die kleine Menschentraube vor der Bühne, welche die von den Musikerinnen und Musikern ausgehende Energie aufnimmt und an die restlichen Zuschauer weiterleitet. Diese betrachten interessiert das musikalische Kaleidoskop, das sich auf der Bühne immer schneller zu drehen beginnt – aber aus sicherer Entfernung unter dem nächsten Zelt.
Es sind viele, die sich die Jazz Night Zug am Donnerstag und Freitag in den Terminkalender eingetragen haben. Der gleichnamige Verein veranstaltet das Spektakel dieses Jahr zum 30. Mal. Was laut Website der Veranstalter mit einer improvisierten Bühne begann, hat sich zu einem zweitägigen Jazz-Festival entwickelt mit mehreren Bühnen in der Zuger Altstadt. Das Interesse ist riesig – gezählt werden jeweils bis zu 9000 Besucherinnen und Besucher.
Unter Schweissperlen zur Ekstase
Kurz bevor das grosse Gewitter das Publikum unter die Vordächer der umliegenden Bars und Essensstände scheucht, sorgt der romantische Sonnenuntergang für viele «Ohs» und «Ahs» im Publikum. Die Kulisse ist neben der sorgfältigen Auswahl der Bands wohl ebenfalls ein Grund für die grosse Beliebtheit des Festivals.
Zurück zu denjenigen, die sich trauen, den ersten Schritt zu machen: Was wäre die Jazz Night ohne sie? Ein paar Regentropfen später vor der Bühne am Fischmarkt ist es ein Duo, das sich aus dem dicht gedrängten Publikum löst und sich Raum nimmt, sich zum gefühlvollen New-Orleans-Jazz der Zuger Formation «Chicago Swing Band» zu bewegen. Am Bass tropfen die Schweissperlen, die Augen geschlossen, am Mikrofon drehen die Hüften. Hier lässt man sich für die Solos angenehm viel Zeit, spannt den Stimmungsbogen bis zur Ekstase und verliert sich nicht im Wettbewerb, möglichst schnelle Tonleitern zu spielen: So zum Beispiel bei «Saturday Night Fish Fry».
Moderner Jazz im intimen Rahmen
«Together again», einen selbst geschriebenen Song von der Gruppe «Naked», hörte man kurz zuvor am Fischmarkt. «Die Inspiration kam in der Pandemiezeit – ich träumte davon, wieder mit anderen Menschen etwas zu unternehmen», sagt Sängerin Nadine Arnet. Mit ihrer Ukulele kreiert sie, unterstützt von ihrer Band, peppigen Pop-Folk-Feelgood-Sound, der das Publikum geradezu mitträgt. In der ersten Reihe beobachtet ein kleines Mädchen mit Zöpfen ganz verzaubert das, was sich vor ihr abspielt. «The time stands still and you know who you are», singt Arnet.
Das Juwel des Abends: Die Schweizer Band «Druckmittel». Im intimen Rahmen am Schwanenplatz stimmt Cinzia Catania, deren Charisma locker mit ihrer überwältigenden Stimme mithält, ein Lied an. Es heisst «Trapped» und handelt davon, so erklärt es Schlagzeuger Florian Hösel, wie wir immer wieder wissentlich die gleichen Fehler begehen. «Get me out of here, I want to be free» wünscht sich Catania voller Schmerz, sodass man ihn selbst spürt. Ein Musiker im Publikum findet: «Sie musizieren sehr frei, weg vom Tempo und Groove – und dann aber doch wieder zurück. Fein und delikat.» Die vielen musikalischen Experimente wie zwei minimal verschoben gespielte Figuren gehören zum modernen Jazz.
Egal also, ob klassisch oder modern, die Jazz Night beweist, dass Musik berührt – und vielleicht genau das ausdrückt, worüber weder gesprochen noch geschwiegen werden kann. (Text von Fabian Gubser)