Aus einer Bedenkzeit wird Karriere
Musik
Raphael Christen aus Cham ist weltweit einer der versiertesten Marimbafon-Spieler und Professor an der Zürcher Hochschule der Künste. Seine Verwirklichung findet er im Spielraum zwischen Komposition und Interpret.
Cham – Das Marimbafon gehört zu den sogenannten Platteninstrumenten und ähnelt in den Augen des Laien einem riesigen Xylofon. Gespielt wird es in Orchestern und Kammermusikensembles. Aber auch da gehört es eher zu den guten Freunden, die man gerne auf Besuch hat, und weniger zur festen Familie, die einfach immer da ist. Trotz der eher schwierigen Marktsituation für professionelle Marimba-Spieler hat sich Raphael Christen für diesen Weg entschieden. «Es war ein ‹Aha-Erlebnis›, das ich da hatte», erzählt der Chamer. Der Mittvierziger sitzt auf der Sonnenterrasse des «Chez-Toni» der Cafeteria der ZhdK und geniesst einen Espresso in der ersten Frühlingswärme.
Nachdem der junge Christen die Kantonsschule in Luzern abgeschlossen hat, macht er ein Zwischenjahr. Er ist sich noch nicht sicher, ob er Französisch oder Philosophie studieren will und nimmt sich eine Bedenkzeit, in der er sich am Luzerner Konservatorium der Musik widmet. Ein Jahr lang studiert er dort Schlagzeug. Danach beginnt er Philosophie in Lausanne. Doch die Musik fehlt ihm. Und als er in Lausanne bei einem Musiklehrer zum ersten Mal ein Marimba in die Hände bekommt, ist für ihn endlich alles klar: «Ich wollte mit diesem Instrument arbeiten. Komme, was wolle.»
Man muss nicht immer wissen, wohin
Seither hat Christen sein Marimbafon mit allen erdenklichen Instrumenten in Beziehung gesetzt. «Ich kann mich mittlerweile sehr gut in die Klangwelt des Marimbafons hineinversetzen und mir vorstellen, welche Klänge, welche Instrumente auf welche Weise dazu passen.» Sei es Klarinette, Schlagzeug, Eufonium – Christen hat schon in unzähligen Formationen musiziert, und es gibt kaum einen, der das Marimbafon so experimentierfreudig in neue instrumentelle Kontexte stellt, wie er das bisher getan hat. «Eines meiner Lieblingsprojekte ist zurzeit das Duo Synthesis mit dem Eufonisten Thomas Rüedi. Besonders spannend finde ich hier, wie die Klänge der beiden Instrumente manchmal bis ins Ununterscheidbare hinein miteinander verschmelzen.»
Mittlerweile liess Christen schon über zwei Dutzend Stücke komponieren, die sein Marimbafon mit anderen Instrumenten tanzen lassen. Selber komponiert er nicht. «Das habe ich nie gelernt. Aber ich arbeite mit den Kompositionen anderer. Ich bin Interpret und bewege mich kreativ im Interpretationsspielraum, den jedes Stück bietet. Wenn ich mit einer Komposition anfange zu arbeiten, entwickle ich beim Spielen neue Ideen und mache mir das Werk zu eigen.»
Nach seinem Aha-Erlebnis in Lausanne ruft Christen das Konservatorium in Luzern an und sagt seinem alten Lehrer Erwin Bucher, dass er sein Studium wieder aufnehmen möchte. Jetzt aber mit Schwerpunkt Marimbafon. «Am nächsten Tag fuhr ich zweimal mit dem Zug von Lausanne nach Luzern, um alle meine Sachen zu holen, und führte noch mal einen Tag später mein Studium bei Bucher fort.» Damals konnte er sich noch gar nicht vorstellen, wo ihn diese Entscheidung hinbringen sollte. «Und das sage ich heute auch meinen Studenten: Ihr müsst nicht wissen, was ihr später mal machen wollt. Ihr müsst nur die Arbeit, die jetzt gerade vor euch liegt, mit hundert Prozent Einsatz machen und Stück für Stück darüber staunen, welche Türen sich dabei auftun.»
Nach seinem Studium in Luzern studiert er in Tokio und widmet sich anschliessend zwei Jahre lang der barocken Musik. Als Marimbist beschäftigt man sich gewöhnlich auch noch mit anderen Perkussionsinstrumenten wie etwa der Kesselpauke oder der Trommel. Der Markt für Marimbisten ist so klein, dass es schwierig ist für Leute, die sich nicht breiter positionieren.
Warnungen im Wind
Doch um 1990 fasst Christen seinen Entschluss. «Ich wollte in zehn Jahren einer der besten Marimbisten der Schweiz sein. Viele meiner Kollegen rieten mir davon ab, mich so sehr auf das Marimba zu konzentrieren.» Doch der junge Christen schlägt ihre Warnungen in den Wind und steckt seine Ziele bald noch höher. «Die Arbeit mit den Stücken, die ich komponieren lasse, bereitet mir viel Freude, birgt Herausforderungen und hat mich immer wieder mit spannenden Musikern zusammengebracht. Mit der Zeit findet man Menschen, mit denen es einfach stimmt, wenn man zusammen spielt. Man muss nicht jeden Übergang einzeln besprechen. Nicht immer jeden Gedanken explizit formulieren.»
Einen solchen Partner hat Christen in Thomas Rüedi, dem Eufonisten, gefunden. «Leider lag das Duo Synthesis jetzt einige Zeit brach.» Christen ist nicht nur Musiker und Dozent, sondern auch Vater dreier Kinder und Ehemann. «Das alles unter einen Hut zu bringen, ist schwierig und verlangt viel Organisation.» In das Projekt mit Rüedi will er aber wieder mehr investieren. Die Familie ist auch einer der Gründe, weshalb Christen mit seinem Instrument nicht mehr so viel auf Reisen geht. «Ich habe das früher des Öfteren gemacht. Bin nach Japan oder Dubai geflogen für ein, zwei Konzerte und fand das wahnsinnig aufregend. Heute muss sich so eine Reise in der Regel schon auch finanziell lohnen, damit ich sie antrete. Meine Ferien verbringe ich jetzt lieber mit meiner Familie als mit meinem Beruf.» (Wolf Meyer)