Essen liefern statt Opern singen
Literatur & Gesellschaft, Musik
Ob Schuberts «Ave Maria» oder «Somebody to Love» von Queen – Das Repertoire von Hans Michael Sablotny reicht weit. Dass der klassisch ausgebildete Sänger derzeit aber Essen ausliefert, verdankt er der Coronapandemie.
Zug – Wahrscheinlich kann sich kaum einer mehr an den letzten Konzertbesuch, das letzte Mal im Theater oder den letzten Tanz an einer Geburtstagsfeier erinnern. Kein Wunder. Die Konzertsäle und Schauspielhäuser sind geschlossen, von Geburtstagsfeiern kann keine Rede sein. Corona macht dem kulturellen Leben einen Strich durch die Rechnung. Darunter leiden aber nicht nur regelmässige Theaterbesucher und Opernhausgänger, sondern vor allem alle Mitarbeiter im Theater- und Eventbereich, die Schauspieler, Orchestermusiker und Opernsänger. Zu ihnen gehört auch Hans Michael Sablotny, für den ein Leben als Musiker seit dem letzten März unmöglich geworden ist.
Sablotny ist ursprünglich gelernter Maler und Lackierer und absolvierte berufsbegleitend eine klassische Gesangsausbildung zum Opern- und Konzertsänger an der Opernschule in Zürich. Danach folgten Engagements unter anderem bei den Bregenzer Festspielen und der Philharmonie Kaliningrad sowie Soloauftritte mit den Wiener Symphonikern und dem Zürcher Kammerorchester. Der 55-jährige Tenor tritt nebenbei ebenfalls bei privaten Anlässen und Events auf und bereichert Hochzeiten, Abdankungen oder Jubiläumsfeiern mit seinem Gesang. Die Kirchenmusik liegt ihm besonders am Herzen.
Sechs oder sieben Auftritte statt 40 bis 50
Die Coronapandemie hat Hans Michael Sablotnys Berufsalltag allerdings völlig auf den Kopf gestellt. «Seit dem ersten Lockdown hatte ich ungefähr fünf bis sieben Auftritte. Normalerweise wären es 40 bis 50 gewesen», berichtet der Sänger. Vor der Pandemie trat Sablotny mit seinem Solo-Programm «…aber Sie singen ja nur!!!» auf. Er spielte unter anderem im Hofspielhaus in München und im Hotel MOA in Berlin. Geplant gewesen wäre eine ganze Tournee, doch die musste der Sänger zu Beginn der Pandemie absagen. «Ich war mit meinem Programm super im Geschäft», erzählt er. «Wenn die Krise vorbei ist, muss ich mit allen Verhandlungen von vorne anfangen. Corona hat alles zerstört.» Für diesen Januar hatte Michael Sablotny eine Welturaufführung mit dem kirchenmusikalischen Werk Noah im Programm. Zudem war auch eine Schweizer Uraufführung einer Offenbach-Operette geplant. Noch im Mai teilte er auf Facebook mit: «Ich bin extrem zuversichtlich, dass die Konzerte stattfinden werden.» Jetzt berichtet er: «Es werden alle Auftritte verschoben auf Ende 2021 oder das Jahr 2022. Gott sei Dank verschoben und nicht abgesagt.»
Die Theater und Konzertsäle sicherten den Musikern immer zu, deren Auftritte weiterhin im Programm zu halten. «Aber was, wenn viele kleine Theater schliessen müssen?», gibt Sablotny zu bedenken. Als Vorstandsmitglied der Theatergesellschaft Root hat er einen sehr guten Einblick hinter die Kulissen eines Theaterbetriebs und weiss nur zu gut, wie schwierig die Zeiten für alle Kulturschaffenden sind.
Wegen der Coronasituation sah sich der Opernsänger gezwungen, einen anderen Job anzunehmen. Er arbeitet beim Restaurantkurier Mosi als Recruiting Manager und Kurier. Den Job kennt Sablotny bereits aus seiner Studienzeit. «Seit Beginn meiner Sängerkarriere hatte ich nebenbei immer einen Brot-Job, um die Miete zu bezahlen», berichtet er. «Jetzt bin ich wieder zurückgekehrt. Es ging nicht anders.» Als Recruiting Manager ist Michael Sablotny dafür zuständig, neue Mitarbeitende auszuwählen und einzuarbeiten, und ist dabei viel beschäftigt. «Wir erhalten täglich mehrere Bewerbungen», berichtet er. Der Job beim Restaurantkurier gefällt dem Sänger sehr. «Wir haben ein Superteam, die Arbeit macht Laune», meint er lächelnd.
Der Job als perfekte Ergänzung
Mosi arbeitet mit lokalen Restaurants zusammen und die Kuriere liefern das Essen mit ihren eigenen Fahrzeugen aus. Diese Tatsache und auch, dass er sich die Zeit flexibel einteilen kann, machen den Job für Sablotny zur perfekten Ergänzung zu seiner Tätigkeit als Sänger. Was Corona angeht, hat der Musiker seinen Job ironischerweise von einer der unsichersten, zu einer der sichersten Branche gewechselt. «Wir profitieren sehr von der Situation», meint der Sänger. «Der Lockdown hilft dieser Branche extrem.»
Trotzdem hofft Michael Sablotny darauf, dass er seine Sängerkarriere bald fortsetzen kann. Aus der Krise hat der Sänger bereits jetzt viel gelernt. Zu Beginn seines Studiums meinte sein ehemaliger Gesangslehrer zu ihm: «Wenn du Sänger werden willst, musst du dir bewusst sein; du wirst ein Luxusgut. Den Menschen gefallen wir, solange es ihnen gutgeht.» Erst jetzt weiss Sablotny, wie wahr dieser Satz ist. Trotzdem findet er, dass ihm als Sänger eine gewisse eigene Verantwortung zukommt. «Wir müssen sehen, wie wir zurechtkommen.» Auf die Frage hin, ob es ihn viel Überwindung gekostet habe, einen Job als Kurier anzunehmen, antwortet er mit einem klaren: «Nein. Warum?» Ein Kollege hätte ihn ebenfalls auf diese Entscheidung angesprochen und gesagt, solche Arbeit sei unter seiner Würde. Doch Sablotny sagt: «Würde bezahlt keine Rechnungen. Solange ich hinter allem stehen kann, ist alles gut. Und das kann ich.» (Sina Engl)