Tapetenwechsel für den Kirschbaum

Dies & Das

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Spruchartige Wortfolgen an einigen Bahnviadukt-Bögen in Zug verwirren inhaltlich. Genau das ist ihr Sinn.

  • Von den zwölf Schriftzügen gibt es mittlerweile noch sechs. (Bilder Maria Schmid)
    Von den zwölf Schriftzügen gibt es mittlerweile noch sechs. (Bilder Maria Schmid)

Zug – Wie ein steinernes Monument zieht sich das historische SBB-Viadukt von 1894 mit seinen Rundbögen vom Bahnhof Zug durch die dichte Neustadt in Richtung Postplatz und durchbricht die in diesem Bereich mehrheitlich gradlinige Bebauung wie eine gekrümmte Diagonale. Nur: Besonders attraktiv ist die Nutzung der Räume in den Bögen bis heute nicht; entweder sind sie leer, mit Gittern zu irgendwelchen Gerümpelkammern umfunktioniert, mit parkierten Velos, Autos und Mülltonnen vollgestopft, oder sie sind ganz einfach mit Holzplatten oder gesichtslosem Mauerwerk verschlossen. Einer der Bögen dient wenigstens als öffentliche Toilette einem wichtigen menschlichen Bedürfnis. Wiederholt haben Nutzung und Verwendungszweck der überwölbten Räume unter den Gleisen die Politik beschäftigt, Ideen und Konzepte wurden vorgelegt, passiert ist bis dato so gut wie nichts.

Immerhin: 2006 wurden einige der Bögen zwischen Gotthard- und Poststrasse künstlerisch dahingehend gestaltet, dass der Betrachter vom wenig attraktiven Gesamteindruck des historischen Bauwerkes zumindest ein bisschen abgelenkt wird. An einigen der mit Wänden verschlossenen Bögen hat der Zuger Künstler Samuel Haettenschweiler (*1976) mit Acryl- und Dispersionsfarbe Textcollagen in unterschiedlich grossen schwarzen Buchstaben aufgebracht. Insgesamt deren zwölf waren es damals.

Zwischen Gesellschaft und Architektur

Unter dem Titel «Guten Honig streicht man nicht ums Maul» hat Haettenschweiler Wortketten ersonnen, die auf den ersten Blick wie Sinnsprüche daherkommen. Doch sind es Sätze, die kaum eine konkrete Deutung zulassen, sondern eher auf überraschende Weise irritieren und somit den Betrachter zum Grübeln bringen. Das war von Haettenschweiler genau so gewollt, seine Wortcollagen sollten inspirativ zum Nachdenken anregen. Haettenschweilers Sprüche sind im Rahmen seiner Diplomarbeit «Poetry Gallery» entstanden, seinerzeit Part einer soziokulturellen Kunstaktion im öffentlichen Raum, mit welcher vier junge Erwachsene die Möglichkeit erhielten, mit ihren persönlichen Gedanken und Statements den öffentlichen Raum zu gestalten. Der Beitrag Haettenschweilers ist typisch für seine Art des Arbeitens – sie bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Architektur, der Künstler setzt sich mit deren Entwicklung auseinander, interpretiert sie in seinen Werken neu und stellt mitunter die Nutzung von öffentlichen Räumen in Frage.

Nun, 15 Jahre später, sind von den zwölf Sprüchen nur noch deren sechs vorhanden. Umnutzung und bauliche Änderungen an den Viaduktbögen haben dazu geführt. Noch immer zu lesen sind folgende Texte: «P.S. steigen Sie von Ihren Pferden»; «Glück ohne Voranmeldung!»; «Verflixt, das war eine Fata Morgana! Ich dachte, die seien verboten worden»; «Elefant vor weisser Wand»; «Auf Mittag ess’ ich sieben Wolken»; «Ich brauch’ ‹Tapetenwechsel›, sprach der Kirschbaum.» Letzterem liegt der Titel eines Liedes von Hildegard Knef zugrunde («Ich brauch’ Tapetenwechsel, sprach die Birke»). Indem Haettenschweiler hier den Kirschbaum anführt, stellt er bewusst einen Bezug zum Kanton Zug her. Ob der Chriesibaum – so wie Knefs Birke – seiner angestammten Umgebung auch überdrüssig ist, sich auf den Weg macht, um jenseits seines Hains neues Glück zu suchen und dann als Kommode zu enden? Es ist einer von vielen Gedankengängen, welche dieser Spruch – wie auch die restlichen verbliebenen – anregen. (Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.