Die Komikerin in der Anwaltsrobe

Theater & Tanz

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Minzschokolade sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Männer sollten wie Katzen sein, findet die Zugerin Michelle Kalt. Die Comedy-Newcomerin mit Anwaltspatent gilt in der Szene als Entdeckung.

  • Michelle Kalt will den Spagat zwischen Jura und Comedy auch in Zukunft meistern. (Bild Matthias Jurt)
    Michelle Kalt will den Spagat zwischen Jura und Comedy auch in Zukunft meistern. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Eiskalt, derb und selbstironisch: So kommt der Humor von Michelle Kalt daher. Die Zugerin tauchte 2018 in der Schweizer Comedy-Szene auf und macht ebendiese seither unsicher. Auftritte beim Radio SRF 3 Comedy Battle machten sie im Mai 2019 einem breiteren Publikum bekannt, vor drei Monaten schaffte sie es bis in den Final des SRF-3-Comedy-Talent- Awards. Grossgewachsen, mit kurzen braunen Haaren und dicker Brille steht Michelle Kalt auf der Bühne – mittlerweile schon über 200-mal. Ihre Brötchen verdient die 30-Jährige allerdings mit einer weitaus trockeneren Materie.

Eine Anwältin mit einem Flair für Stand-up-Comedy, eigentlich ein guter Anfang für einen Witz. Wie kam das?

Michelle Kalt: Als ich vor drei Jahren für das Anwaltspatent lernte, verschwand ich monatelang hinter meinen Bücherbergen. Ich suchte nach einer Abwechslung und stiess auf Stand-up-Comedy. Andere machten nach dem Lernen Sport, ich als «Spätzünder» fand im Gagschreiben einen Ausgleich.

Viele bekannte Schweizer Komiker sind «Spätzünder» und kommen ursprünglich aus dem Poetry Slam. Bei Ihnen ist das anders?

Meine Deutschlehrerin an der Kanti Zug versuchte, mich für Poetry Slam zu begeistern. Das Prinzip an sich gefiel mir, aber für mich waren diese Slams viel zu düster. Ein Haufen Leute, die sich selbst und die Welt viel zu ernst nehmen. Irgendwann entdeckte ich dann Stand-up-Comedy, wo eine Person allein auf einer Bühne steht, nur mit einem Mikrofon. Über kleine offene Bühnen fand ich einen niederschwelligen Zugang. Anfangs nur in Englisch, das lag mir irgendwie.

Diesen kleinen offenen Bühnen sind Sie bis heute treu geblieben.

Genau, die Leute bei den Comedy Nights Zurich wurden zu meiner zweiten Familie. Bald begann ich aber auch auf Deutsch mit Stand-up-Comedy. Ein Freund von mir eröffnete eine offene deutsche Bühne in der Kon-Tiki-Bar im Zürcher Niederdörfli. Mittlerweile führe ich das weiter: Zweimal im Monat organisiere ich einen Schweizerdeutschen Open-Mic-Anlass.

Sie bezeichnen sich bei Auftritten als «Zuger Füdlibürgerin» und entschuldigen sich dafür. Was haben Sie denn gegen die Zuger?

Natürlich nichts, aber in Zürich kommen diese Zuger-Witze halt gut an. Zug ist toll und wunderschön, hat viel nettere Steuerbehörden als Zürich. Die Stadt Zug an sich hat aber in etwa den Unterhaltungswert von Johann Schneider-Ammann. Aber jetzt im Ernst: Man darf Stand-up-­Comedy nicht zu eng sehen, es geht darum, sich über Themen und Menschen lustig zu machen. Der einfachste Zugang dazu ist eine grosse Portion Selbstironie.

Davon haben sie viel. Doch kommen die zurückhaltenden Schweizer klar mit ihrem trockenen, oft derb formulierten Humor?

Das kommt darauf an, wo ich bin. Die besten Auftritte, an denen auch am meisten gelacht wird, habe ich jeweils im Kanton Bern. Da sind die Leute offenbar tiefenentspannt und vertragen mehr.

In Ihrem Programm fordern Sie Stimmrechtsentzug für Selfiestick-Benutzer oder für Männer, die beim Sex die Socken anbehalten. Wie wär’s mit Stimmrechtsentzug für jene, die leere Rollen WC-Papier hängen lassen?

Guter Tipp! Die Idee zum Gag kam mir während des Pendelns, als irgendein Idiot im vollgestopften Tram einen Kebab ass. Ich dachte mir: Geht’s noch, wieso lassen wir solche Deppen mitentscheiden? Daraus entstand der Gedanke, die wahren Vergehen des Alltags zu porträtieren.

Sie sagen auch, Männer sollten wie Katzen sein. Warum?

Ich wünschte mir, Männer wären wie Katzen. Denn Katzen muss man nicht dazu auffordern, sich zu putzen. Und Katzen lecken ihre Genitalien selber.

Darüber hinaus schreiben Sie auf Twitter: «Minzschokolade ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

Es ist einfach furchtbar, dieser Rohstoffverbrauch und die Unart, Dinge zu mischen, die überhaupt nicht zusammenpassen. Minzschokolade liegt wohl unter vielen Schweizer Christbäumen. Da sollte man ebenfalls einige Monate Stimmrechtsentzug verhängen (lacht).

Nicht nur Männer und Schokolade kriegen ihr Fett ab, Sie nehmen sich oftmals auch selber aufs Korn. Was inspiriert Sie dazu?

Das meiste von meinem Programm stammt schon direkt aus meinem Leben. Aber natürlich übertreibe ich mächtig. Die stinknormale Wahrheit finde ich persönlich zwar auch schon ­lustig, sie reicht aber nicht fürs grosse Publikum. Ich nehme Themen, die mich interessieren und gestalte sie zu einer überzeichneten Version von mir oder der Realität um.

Bei der 1. langen Nacht der Schweizer Comedy, im «Zelt» in Luzern und am Arosa Humorfestival trafen Sie 2019 auf Schweizer Comedy-Prominenz. Wie geht es weiter bei Michelle Kalt?

Am 17. Januar gastiert das «Zelt» mit Stefan Büsser in Zug. Die ersten zehn Minuten seines Programms darf ich nutzen. Am 25. Januar trete ich in der Zuger Chicago Bar auf Englisch auf. Darüber hinaus findet am 6. Januar die nächste offene Bühne in der Zürcher Kon-Tiki-Bar statt, für alle, die sich an Stand-up-Comedy heranwagen möchten. Ein grosses Projekt, wie ein Soloprogramm, steht bei mir noch nicht an. Ich möchte souveräner werden, mehr Witze schreiben. Das ist auch ein Ausgleich zu meiner Jus-Dissertation, die ich derzeit an der Uni Zürich schreibe.

Den Spagat zwischen Jura und Comedy werden Sie weiterhin meistern?

Man muss ja auch von etwas leben, nicht wahr. Zudem macht die Arbeit als Anwältin Spass. Comedy ist eine Herzensangelegenheit, die ich Schritt für Schritt entdecke. Witze zu schreiben ist eine andere Herausforderung für das Gehirn, als wenn ich über trockenen Aktenbergen brüte. Ziel ist es ja, dass Gags, an denen ich stundenlang gefeilt habe, auf der Bühne spontan wirken. Stand-up-Comedy ist im Gegensatz zu Jura unberechenbar – wer weiss, wo es mich hintreibt. (Interview Laura Sibold)

Hinweis
Die gebürtige Zugerin Michelle Kalt (30) wohnt und arbeitet in Zürich. Sie erlangte 2017 das Anwaltspatent des Kantons Zug und ist seit dem Jahr 2018 als Rechtsanwältin tätig.