Archäologe mit Leib und Seele sagt Adieu

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Als Kantonsarchäologe und später auch Leiter des Amtes für Archäologie und Denkmalpflege hat sich Stefan Hochuli geschlagene 31 Jahre lang für Erhalt und Dokumentation des Zuger Kulturerbes eingesetzt. Nun gibt er die Zügel in neue Hände und blickt auf eine bewegte Zeit.

  • Auch grosses wird vor der Zerstörung gerettet, wie die Wand aus einem Bauernhaus in Baar mit Malereien aus dem 16. Jahrhundert. (Bild Stefan Kaiser)
    Auch grosses wird vor der Zerstörung gerettet, wie die Wand aus einem Bauernhaus in Baar mit Malereien aus dem 16. Jahrhundert. (Bild Stefan Kaiser)
  • Jedes noch so kleine archäologische Fundstück ist akribisch dokumentiert. (Bild Stefan Kaiser)
    Jedes noch so kleine archäologische Fundstück ist akribisch dokumentiert. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Die Untersuchung materieller Hinterlassenschaften unserer Vorfahren und anhand dessen die Rekonstruktion der Entwicklung der Menschheit – das alles und mehr ist Archäologie. Neben Feuerwehrmann, Lokführer oder Polizist ist Archäologe wohl einer der häufigsten kindlichen Berufswünsche. Verständlich. Die Lust am Forschen, Entdecken, die stetige Neugier und das Hoffen auf den nächsten grossen Fund ... all das ist mit purer Leidenschaft verbunden.

Für Stefan Hochuli, Leiter Amt für Denkmalpflege und Archäologie, ist dieser einstige Jugendtraum in Erfüllung gegangen. Bereits als Zwölfjähriger war er bei Ausgrabungsarbeiten dabei, hegte grossen Entdeckergeist, dem bald die wissenschaftliche Neugier folgte. Der gebürtige Aargauer studierte nach seiner Matura Archäologie, Architekturgeschichte, Denkmalpflege und Ethnologie in Bern. Als 1990 nach der Nicht-Wiederwahl der Zuger Kantonsarchäologin Beatrice Keller die Stelle frei geworden war, bewarb sich Hochuli kurzerhand, wurde eingestellt und war mit seinen 31 Jahren von heute auf morgen der jüngste Kantonsarchäologe der Schweiz. Mit seiner Familie siedelte er um nach Baar und lebt heute in Hünenberg See.

Die Veränderung im Kleinen

Und heute ist Stefan Hochuli immer noch da; nach 31 Jahren Zuger Kantonsarchäologie, die letzten 21 Jahre davon als Amtsleiter. Doch nun folgt der selbst gewählte Zapfenstreich: Hochuli gibt sein Amt in neue Hände und geht mit 62 in Frühpension. Wohlverdient!

Rückblickend sagt er, dass er anfangs nicht damit gerechnet hätte, tatsächlich bis zum Schluss in Zug zu verbleiben. Denn während wohl die meisten früher oder später einen «Tapetenwechsel» in Erwägung gezogen hätten, ist Hochuli seiner Aufgabe in Zug nie überdrüssig geworden. «Natürlich gab es den einen oder anderen Moment, wo ich mich gefragt habe, ob es nicht Zeit für etwas Neues wäre. Doch hatte ich den Eindruck, am richtigen Ort zu sein, und so habe ich stets die Veränderung im Kleinen gesucht. Das war erfüllend. Und ich bin geblieben.»

Es waren wohl nicht zuletzt die besonderen Voraussetzungen im Kanton Zug, welche die Aufgabe des Kantonsarchäologen nie haben fade werden lassen: Die enorme Baudynamik hier sorgte laufend für Überraschungen und neue archäologische Untersuchungen. Zudem führte Hochuli kurz nach seinem Antritt die Unterwasserarchäologie im Kanton Zug ein. Was in den folgenden Jahren im Bereich des Zugerseeufers – im Wasser sowie ausserhalb – zu Tage gekommen ist, sehen wir heute: Von all den ausgegrabenen Pfahlbausiedlungen sind drei als Unesco-Welterbe eingestuft.

«Wir können für den Kanton Zug eine grosse Erfolgsbilanz ausweisen», sagt der Archäologe. «Besonders schön war, dass die Funde bei der Bevölkerung immer auf sehr grosses Interesse gestossen sind. Man erhält so immer wieder die Bestätigung: Der Mensch ist ein neugieriges Wesen, Geschichte und die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft faszinieren ihn. Die ‹Tage der offenen Ausgrabung› etwa verzeichneten bis zu 1000 Besuchende.»

Kulturgüterpflege als Gemeinschaftswerk

Selbstverständlich schaut Stefan Hochuli auch auf herausfordernde Momente anderer Art zurück: «Als ich damals nach Zug gekommen bin, herrschten Spannungen zwischen der Kantonsarchäologie, der Politik und dem Baugewerbe.» Es galt zunächst, diese zu glätten. Hochuli ist es schon früh gelungen, eine Vertrauensbasis zwischen den involvierten Gremien zu schaffen und ein System zwischen der Kantonsarchäologie und dem Bauwesen zu etablieren, welches auf guter Kommunikation, partnerschaftlicher Kooperation und hoher Verlässlichkeit beruht. Darauf schaut er mit Fug und Recht stolz zurück.

«Heute wird die Archäologie mehrheitlich nicht mehr als verhindernd wahrgenommen», sagt er. «Ich denke, die Mehrheit hat begriffen, dass archäologische Untersuchungen und somit die Rettung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes fixer Bestandteil eines Bauprojektes sind. Kulturgüterpflege funktioniert nur gemeinsam. Es ist ein Dienst an der Gesellschaft.»

Verlust ist ein anhaltender Prozess

Dennoch wünschte er sich manchmal noch etwas mehr Demut gegenüber dem kulturellen Erbe und mehr Anerkennung von dessen Bedeutung. «Es geht um das Bewahren der historisch gewachsenen Identität. Und diesem sollte ein sehr hoher Stellenwert zufallen.» Der Verlust von historischer Substanz sei leider ein anhaltender Prozess, bedauert Hochuli.

Komme hinzu, dass die Kantonsarchäologie in Zug erst seit 1986 institutionalisiert ist und hier deshalb im Zuge des Baubooms besonders viel undokumentiert verloren gegangen sei. «Daher ist es umso wichtiger, dass wir wenigstens die Funde sicherstellen und die Fundstellen ausführlich dokumentieren können. Wir sind sozusagen eine kulturelle Sterbebegleitung.»

Mag hier ein leicht melancholischer Unterton mitschwingen, so überwiegen bei Hochulis Rückblick auf die grossen Momente seiner Amtszeit die positiven Aspekte ganz klar. Danach gefragt, führt er Entdeckungen an wie die frühmittelalterlichen Gräberfelder in Baar oder die rätselhaften bronzezeitlichen Trapezhölzer im Choller. Auch die aufschlussreichen keltischen Funde auf der Baarburg sowie die Erforschung der mittelalterlichen Stadt Zug und die vielen historischen Bauten im übrigen Kantonsgebiet gehören dazu, genauso wie die prähistorischen Pfahlbauten und die ergiebigen Unterwassergrabungen im Zugersee oder die Funde am Morgarten. «Plötzlich wird man Teil eines nationalen Mythos», merkt Hochuli zu Letzterem an.

«Schlussendlich aber ist es die Summe all der kleinen Entdeckungen, welche die einzelnen ‹Sensationsfunde› an Bedeutung übersteigt», sagt er. «Unzählige kleine Puzzleteile fügen sich zu einem Ganzen zusammen.» Und doch wird dieses Puzzle noch lange nicht vollständig sein, ist Hochuli überzeugt. «Im Kanton Zug liegt noch sehr viel verborgen!»

Denkmalschutz sorgte für etwas Unmut

Die vergangenen Jahre waren geprägt von der Diskussion um den Denkmalschutz, und Hochulis Arbeitsfokus verlagerte sich somit zusehends weg von der Archäologie. Er respektiert selbstverständlich das Primat der Politik, wie er sagt. «Mühe hatte ich aber dann, wenn die Denkmalpflege von politischer Seite mit unbelegten und unsachlichen Behauptungen attackiert wurde. Das war zwar anstrengend, doch letztendlich geht es immer um eine gesellschaftliche Wertediskussion. Und das muss man bei Themen, wo unterschiedliche Interessen bestehen, hinnehmen.»

Dennoch waren und bleiben die Prozesse spannend. Hochuli: «Sich zu beschäftigen mit politischen Vorstössen, Gesetzesrevisionen, Beschwerdeverfahren ... es ist Demokratie in Reinform. Das ist anspruchsvoll und faszinierend.»

Ungebrochener Entdeckergeist

Stefan Hochuli schaut auf erfüllende, spannende, lehrreiche und nie langweilige 31 Jahre in Zug zurück – mit einem motivierten Team, wie er betont. «Die Zusammenarbeit mit all den unterschiedlichen Stellen und Menschen war etwas vom Anspruchsvollsten, jedoch auch etwas von Bereicherndsten.» Ausgebrannt nach so langer Zeit fühlt er sich keineswegs. «Aber drei Jahrzehnte – das macht sich schon bemerkbar.» Seine Leidenschaft für die Archäologie, Denkmalpflege und sein Entdeckergeist bleiben ungebrochen.

Als Stiftungsratspräsident des Ziegeleimuseums in Hagendorn, als Mitglied der Luzerner Denkmalkommission oder als Vorstandsmitglied des Archäologischen Vereins Zug gehen ihm die Beschäftigungen nicht aus. «Aber jetzt, wo all die amtsbedingte Administration entfällt, habe ich mehr Zeit für mich selbst, für Freizeitbeschäftigungen und für eine tiefere persönliche Auseinandersetzung mit meinen verschiedenen Passionen», kommt Hochuli zum Schluss.

Seiner Nachfolgerin Karin Artho wünscht Stefan Hochuli viel Erfolg und Freude an der Arbeit. Sie werde ein sehr vielfältiges, anspruchsvolles und sinnstiftendes Arbeitsgebiet und ein tolles Team antreffen. «Darauf darf sie sich freuen.» (Text von Andreas Faessler)