Knochenarbeit mit viel Feingefühl

Dies & Das

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Yolanda Schicker-Siber gräbt nach Dinosaurier-Skeletten und präpariert sie für das Museum ihres Vaters. Eine Leidenschaft, die mit viel Abwechslung und Abenteuern verbunden ist.

  • Yolanda Schicker-Siber hantiert mit präzisen Instrumenten, um die Knochen zu präparieren. (Bilder: Stefan Kaiser)
    Yolanda Schicker-Siber hantiert mit präzisen Instrumenten, um die Knochen zu präparieren. (Bilder: Stefan Kaiser)

Cham – Auf den ersten Blick ist es schwer zu erkennen, was in diesen Werkstatträumen genau vorgeht. In der Schiebetüre steht Yolanda Schicker-Siber (44), sie lotst uns an restaurierten Motorrädern vorbei in den hinteren Teil der Werkstatt. Hier ist ihr Reich – ihr Labor. An den Wänden hängen Skizzen von Fundstätten, ein Foto von einem Dinosaurier­skelett, Zeichnungen, und auf dem Tisch stehen offene Kartons mit versteinerten Knochen. Der Grund dieser eher ungewöhnlichen Einrichtung in der ehemaligen Schmiede der Papieri Cham liegt im Beruf von Yolanda Schicker: Sie präpariert seit 19 Jahren Dinosaurierknochen für das Sauriermuseum Aathal im Kanton Zürich.

In einem weiteren Raum hantiert sie mit «Druckluft-Sticheln», die den Stein von den Knochen trennen: «Das ist eine sehr staubige Angelegenheit», sagt Schicker. Deshalb auch die Abluftrohre im ganzen Raum. Von den Stiften hat sie drei in verschiedener Grösse. «Natürlich ist es mir schon passiert, dass ich zu wenig vorsichtig war und mit der Druckluft auch Knochen wegsplitterten.» Die Knochenstücke spicken dann sofort weg. «Sie sind sehr bröckelig», erklärt sie weiter ihre Arbeit, die sehr viel Konzentration erfordert. «Dann brauche ich absolute Ruhe, denn ich muss alle Teile sofort wieder einsammeln.» Die Knochen sind «verkieselt» und haben ganz viele kleine Spalten und Furchen: «Diese fülle ich mit Leim auf.» Auch davon hat sie verschiedene Tuben.

Eine «Seltenheit» ausgegraben

Um den ganz feinen Dreck von den versteinerten Knochen zu entfernen, ohne diese zu beschädigen, benutzt die Hünenbergerin einen Sandstrahler. Erst danach kommt die dunkelbraune, leicht glänzende Oberfläche zur Geltung: «Die Farbe variiert je nach Mineralien im Boden. Manchmal ist sie heller oder eben wie hier sehr dunkel.» In ihrem Labor präpariert die 44-Jährige die eher kleinen Knochen, die grossen bleiben im Sauriermuseum Aa­thal. Sie zeigt auf ein Foto an der Wand, auf dem das Skelett eines Apatosaurus zu sehen ist – zu 80 Prozent erhalten. «Das ist eine Seltenheit.» Das Skelett ist 24 Meter lang und momentan in Genf im Muséum d’Histoire Naturelle ausgestellt. «An diesem haben wir zu dritt die Knochen während vier Jahren präpariert», erklärt sie. Die Knochen sind 150 Millionen Jahre alt und stammen aus der Jurazeit. Gefunden wurden sie in Wyoming (USA).

Und die Arbeit auf dem Feld in Amerika ist auch der eigentliche «Knochenjob», erklärt Yolanda Schicker lachend. Während Jahren gräbt ein Team aus Präparatoren, Wissenschaftlern, Studenten, Freiwilligen und Abenteurern an einem kargen steinigen Ort im Nirgendwo von Wyoming. «Das Team ist immer sehr international», sagt Schicker. An der Fundstätte des Apatosaurus wurde während rund 13 Jahren gegraben. In einer Erdschicht von bis zu sechs Metern Tiefe wurden zehn unterschiedliche Dinosaurierarten entdeckt. Mit Pickel und Schaufel legte das Team Schicht um Schicht frei. Immer dabei ist der Vater von Yolanda Schicker, Hans-Jakob Siber. Er gründete das Sauriermuseum und ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Dinosaurierknochen.

Geschlafen wird vor Ort in einem Zelt: «Neben Blasen, Muskelkater und Rückenschmerzen haben wir immer mal wieder mit Klapperschlangen oder Skorpionen zu kämpfen», erzählt die 44-Jährige mit leuchtenden Augen. Die Arbeit auf dem Feld mache ihr grossen Spass. «Es ist eine schöne Abwechslung von der Feinarbeit im Labor.» Im Sommer sei das Team für fünf bis sechs Wochen in den Staaten und grabe die Felsbrocken frei. Sobald die Experten versteinerte Knochen finden, werden ganze Steinblöcke freigeschaufelt. «Bis die Knochen wie ein Pilz freiliegen und wir sie mit Alufolie und Gips verpacken», erklärt die Präparatorin die weiteren Schritte. Danach werden die Steinblöcke vorsichtig vom Boden getrennt und in Zeitungspapier verpackt. In grossen Kisten wird das Knochenmaterial in die Schweiz geschickt. Erst in Cham in ihrem Labor werden die Knochen genau untersucht und vollständig vom Gestein gelöst.

Yolanda Schicker hat eigentlich Schneiderin gelernt. «Ich hatte als Kind durch meinen Vater immer mit Dinosauriern zu tun und war auch bei vielen Grabungen dabei», erzählt sie. Dies habe aber in ihrer Jugend dazu geführt, dass sie erst nichts damit zu tun haben wollte. «Für mich war das nichts Besonderes mehr.» Nach der Lehre habe sie in Amerika einen Sprachaufenthalt gemacht und als sie zurückgekommen sei, im Museum ihres Vaters gearbeitet. «Eigentlich sollte das nur vorübergehend sein, aber dann wurde ich infiziert und kam nicht mehr davon los», gibt Schicker zu. In Museen in Amerika hat sie als Volontärin Erfahrungen gesammelt und als Gaststudentin an Universitäten Wissen erworben, welches sie bei ihrer Arbeit als Präparatorin einsetze. «Vieles ist ‹Learning by Doing›», erklärt sie.

Schüler aus Cham besuchen Schicker

Was sie an dieser nicht alltäglichen Arbeit immer wieder aufs Neue besonders fasziniert, ist die Tatsache, dass sie 150 Millionen Jahre alte Knochen in den Händen halte von Tieren, die damals gelebt haben. «Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Natur einfach experimentiert hat, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht», versucht Schicker ihre Leidenschaft in Worte zu fassen. Bei diesem Experiment der Natur seien viele unterschiedliche Arten von Dinosauriern entstanden. Ihre Arbeit lässt sie aber auch in ihrer Freizeit nicht los. So hat Yolanda Schicker auch ihre Familie angesteckt: «Wenn wir spazieren gehen, fragen mich meine beiden Kinder immer wieder, ob hier versteinerte Knochen zu finden sind.» Die Hünenbergerin gibt aber zu, die Steine und den Boden ebenfalls nicht aus den Augen zu lassen – «es könnte ja ein versteinerter Knochen oder eine Muschel auf dem Boden liegen und diese möchte ich nicht verpassen».

Die Arbeit mit den exotischen Tierknochen faszinieren nicht nur ihre eigenen Kinder. So kommen immer wieder Chamer Schüler bei Yolanda Schicker vorbei. «Ich erkläre anhand der Knochen meine Arbeit und erzähle über die Dinosaurier der Jurazeit.» Das Labor befindet sich direkt gegenüber des Werkstattgebäudes auf dem Papieri-Areal, welches die Firma Specialized bezogen hat. «Wir sind sehr glücklich hier.» Denn der Staub und Lärm sei nicht jedermanns Sache: So erinnert der Ton der Druckluftstifte an den letzten Besuch beim Zahnarzt. «Ich bohre aber nicht, sondern meissle das Gestein weg», präzisiert die Präparatorin. (Andrea Muff)