Die Königin als Vorbild der Zuger Jugend

Brauchtum & Geschichte

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1898 logiert Königin Wilhelmina der Niederlande auf dem Zugerberg. Sie wohnt für fünf Wochen im dortigen Grandhotel Schönfels – im Gebäude, das heute die Internats- und Tagesschule Montana beherbergt.

  • Die «Curanstalt Schönfels» auf einem Werbeplakat: Der Zugerberg war ein beliebte Kurdestination. (Bild ETH-Bibliothek)
    Die «Curanstalt Schönfels» auf einem Werbeplakat: Der Zugerberg war ein beliebte Kurdestination. (Bild ETH-Bibliothek)

Zug – Der Zugerberg ist der nebelfreie Naherholungsort für die stadtmüden Zugerinnen und Zuger. Das war vor hundert Jahren nicht anders, nur war der Zugerberg zusätzlich eine beliebte Ferien- und Kurdestination. Der bekannteste Kurgast mag damals den Ort so sehr, dass er gleich für vier Wochen bleibt: Es ist Königin Wilhelmina der Niederlande. Vom 10. Mai bis am 6. Juni 1898 logiert sie im Hotel Schönfels auf dem Zugerberg; beim «Schönfels» handelt sich um den ersten Hotelbau auf dem Zugerberg, der einem begegnet, nachdem man aus der Bergbahn ausgestiegen ist (heute Institut Montana).

Als die Königin dorthin kommt, führt noch keine Standseilbahn hinauf, wie überhaupt der Zugerberg einen ganz anderen Charakter hat als heute. Damals ist der Zugerberg mit seinen beiden Hotels Schönfels und Felsenegg der Kurort des internationalen Adels. Hier erholen sich die Reichen und Schönen Europas, sie kuren, baden, machen Ausflüge, spielen, spazieren und flirten.

Trotz falschem Namen erkannt

Hätte es schon damals das «Gala» und die «Glückspost» gegeben, hätten diese ausgiebig über den berühmten Gast auf dem Zugerberg berichtet. Königin Wilhelmina, mit vollem Namen Wilhelmina Helena Pauline Maria von Oranien-Nassau, Prinzessin von Oranje-Nassau und Herzogin von Limburg, ist die einzige Tochter von König Wilhelm II. und dessen zweiter Frau Emma zu Waldeck und Pyrmont, die junge Adelige wird von Europas Fürstensöhnen begehrt und umworben. Damals ist sie 17,5 Jahre alt, also noch nicht ganz volljährig. Sie, die im Alter von 10 Jahren Königin wurde, steht zu dieser Zeit unter der Vormundschaft ihrer Mutter, Regentin Emma, die sie selbstverständlich auf ihrer Schweizer Reise begleitet. Die Beiden sind umgeben von einem ganzen Hofstaat und mieten gleich das ganze Hauptgebäude des Zugerberg-Hotels. Nämlich alle 43 Zimmer.

Das lokale «Zuger Volksblatt» berichtet über die Ankunft der Royals in Zug um genau 15.41 Uhr: «Die zugerische Bevölkerung, die zum weitgrössten Teil noch niemals königliche oder kaiserliche Majestäten von Aug zu Auge gesehen hat, erwartet mit grosser Spannung den Einzug der hohen Herrschaften.» Die niederländische Prominenz reist unter dem falschen Namen «Grafen von Buren» an. Dennoch wissen alle, um welch noble Gesellschaft es sich handelt. Dazu nochmals die Zeitung: «Das strenge Inkognito hielt unser zugerisches Publikum auch nicht ab, die Herrschaften freundlich zu grüssen, und diese Letzteren erwiderten die Grüsse in leutseliger Weise.»

Die merkwürdige Karawane

Die Royals mit ihrem Hofstaat reisen vom Bahnhof Zug über die Schönegg auf den Zugerberg. Es ist wie eine Prozession den Berg hinauf: Zuvorderst ein Polizist zu Pferd, dann die drei Kutschen mit den illustren Gästen, zuhinterst nochmals zwei berittene Polizisten. Die Kutscher unterschätzen die Steilheit der Fahrstrasse auf den Zugerberg und müssen alle 200 Meter anhalten. Bei einem solchen Stopp steigt eine junge Frau aus und lässt sich von einem einheimischen Knaben die Sicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau zeigen, als jemand in der Ferne zu jodeln anfängt. Der Knabe stellt sich als «Chrischte-Sebi» vor, was die Frau zum Lachen bringt: «Sebi» sei doch kein Name, worauf der junge Zuger ihr sein Schulheft entgegenstreckt, auf dem «Josef Christen» steht.

«Warum sprichst Du nicht so, wie Du schreibst?», will die Frau wissen.

«Mier tüend halt nur derewäg rede, wämmer i de Schuel sind.»

Aber wie sie denn heisse?

«Wilhelmina.»

Sebi erschrickt und hat soeben die Anekdote seines Lebens erlebt, weil er sich eine Königin so viel anders vorgestellt hatte, mindestens mit Krone, mit höfischem Gehabe und in gemessenem Alter. Als Sebis Vater sieht, wie mühsam der Tross den Berg hochkriecht, holt er zwei Ochsen aus seinem Stall. Diese bindet er vor die Kutschen – und schon kommt der königliche Transport schneller voran. Die Leute auf dem Zugerberg schmunzeln, als sie die merkwürdige Karawane mit Ochsen, Pferden, königlichen Kutschen und reitenden Polizisten sehen. Die niederländische Königin bricht nicht nur bei Sebi Christen die Erwartungen. Nach einem Besuch der Tropfsteinhöhlen Höllgrotten im tiefen Lorzentobel lässt die junge Monarchin die Kutschen stehen und springt zu Fuss den Zugerberg hinauf, die 500 Höhenmeter und die 8 Kilometer überwindet sie spielend. «Manches unserer jungen Frauenzimmer könnte sich an dieser königlichen Fusstour ein Beispiel nehmen», heisst es bewundernd in der Zeitung.

Kirschen an den Kopf geworfen

Weitere Ausflüge führen zum Kloster Menzingen, nach Göschenen und auf die Rigi, wo die Königin auf die Königin der Berge trifft. Bemerkenswert ist ein weiterer Abstecher. Ebenfalls auf dem Zugerberg hat Adelheid Page-Schwerzmann einen Feriensitz, und zwar im Horbach. Diese ist die sehr reiche Gattin von George Ham Page, dem Milchbaron und Generaldirektor des Weltkonzerns «Anglo-Swiss Condensed Milk Company». Zu dieser Zeit wohnt Adelheid Page gerade in Paris, wo sie Malunterricht beim berühmten Edgar Degas nimmt. Als sie von den noblen Gästen auf dem Zugerberg hört, reist sie augenblicklich von Paris an und lässt mehrere Ochsenkarren voller Lebensmittel zu sich in den Horbach bringen, um einen standesgemässen Empfang bieten zu können. Sie hofft sehr, dass die Bauern der Umgebung dieses Mal einen freundlichen Empfang bieten. Denn diese waren ihr nicht immer günstig gesinnt; einmal warf ihr ein Bauer einen ganzen Korb schwarzer Zugerkirschen über den Kopf, als sie auf dem Weg zum Ferienhaus war.

Doch der Besuch von Wilhelmina bei Adelheid verläuft in Minne. Sie werden über die Malerei gesprochen haben, die auch die niederländische Königin mag und selber ausübt, aber wahrscheinlich auch über ihre gemeinnützigen Tätigkeiten und sicher über die bevorstehende Inthronisation. Wilhelmina verfasst die Thronrede dazu selber, wozu sie vielleicht die selbstbewusste Adelheid ermuntert hat.

Als die niederländische Adelsgesellschaft nach vier Wochen Zugerberg abreist, hat sie sich mit ihrer ungekünstelten Art durchweg Bewunderung verschafft. Oder, wie es heute heissen würde, die Herzen erobert. Als Wilhelmina dann noch zum Abschied 250 Franken hagelgeschädigten Bauern auf dem Zugerberg spendet, bleibt sie in bester Erinnerung. (Michael van Orsouw)

Hinweis
Der Zuger Autor und Historiker Dr. phil. Michael van Orsouw hat das Buch «Blaues Blut. Royale Geschichten aus der Schweiz» verfasst. Für eine Serie der «Zuger Zeitung» hat er nun Geschichten mit Zuger Bezügen herausgearbeitet, die im Buch nicht oder nur am Rande vorkommen. Die nächste Folge erscheint Mitte Februar und handelt von einem gefallenen Erzherzog, der einen Skandal verursacht.