Nach Lähmung wieder zur Kunst gefunden

Kunst & Baukultur

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Julia Nissimoff verschenkt aktuell Mini-Leinwand-Bilder im Papieri-Areal und erzählt, was in ihr ein neues Feuer entfachte.

  • Julia Nissimoff will mit ihren Minileinwandunikaten den Leuten eine Freude machen. (Bild Matthias Jurt)
    Julia Nissimoff will mit ihren Minileinwandunikaten den Leuten eine Freude machen. (Bild Matthias Jurt)

Cham – Eine hölzerne Treppe führt hoch zum Arbeitsort von Julia Nissimoff. Sie öffnet die Tür zum Atelier und erzählt dabei, dass sie dieses mit vier anderen Kunstschaffenden teilt. Ihr Teil des Raums befindet sich rechts hinten mit Blick auf die untere Etage. Es kommt einem vor, als stünde man auf einem Balkon. Eine Stellwand und ein grosser Wandschrank dienen als Abgrenzung. Einige grosse Bilder, Materialien und eine blaue Unterlage zieren ihre kreative Ecke.

Die Münchnerin hat seit Juli im Chamer Langhuus auf dem neuen Papieri-Areal ihren Arbeitsort. Aktuell malt die 46-Jährige 500 Minileinwandunikate und schenkt diese den Einwohnerinnen und Einwohnern des Chamer Wohnquartiers. Die je zehn Zentimeter hoch sowie breiten Kunstwerke verteilt sie in die Briefkästen. Sie sagt dazu: «Die bemalte Leinwand soll ein Freudenbote und Willkommensgruss für eine gute Nachbarschaft sein.»

Die gefrorene Schulter

Nun ist Nissimoff, die neben dem Malen als Nanny arbeitet, seit mehr als 20 Jahren im Kunstbereich tätig. Dass sie heute den Hauptteil ihrer Zeit der Kunst widmet, ist vor allem auf eine körperliche Beeinträchtigung zurückzuführen: «Ich hatte mit 30 eine ‹Frozen Shoulder›. Einen Arm konnte ich kaum mehr bewegen.»

Bei einer «Frozen Shoulder» wird die Schulter steif und das Schultergelenk friert ein. Die Ursache ist nicht bekannt, häufig tritt diese in Verbindung mit Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen oder Fettstoffwechselstörungen auf – dies sei bei ihr nicht der Fall gewesen. Um dies zu behandeln, sei sie zur Akupunktur und Osteopathie gegangen, so Nissimoff. Bei Letzterer habe die Künstlerin einen Job bekommen und durfte für die Praxis Bilder malen: «Das Malen hat wie ein Feuer in mir entfacht und mich auf eine Art und Weise von meinen Schmerzen geheilt.»

Zu ihren Lieblingsaufgaben gehört abstraktes Malen, vor allem Spachteln auf Leinwänden. Sie probiere gerne verschiedene Techniken aus. «Alles, was ich im Atelier finde, brauche ich zum Arbeiten.» Als Beispiel nennt die Kunstmalerin eine Zahnbürste.

Die Inspiration holt sie durch die Fotografie, Alltagssituationen und in der Natur. «Ich gebe das aufs Blatt, was ich gerade fühle oder ich Lust habe.» Anfangs hatte die Künstlerin Mühe, dass sie keinen roten Faden bei ihren Bildern habe – doch heute zeichne das ihre Kunst aus.

Ein dreijähriges Abenteuer in Indien

Viele Erfahrungen sammeln konnte Nissimoff während der dreijährigen Auszeit in Indien. «Ich habe 2015 in München meinen Job als Kinderbetreuerin gekündigt und bin dann vier Wochen durch den Norden Indiens gereist, um meinen Kopf zu lüften.» Als Beispiele erwähnt sie Himalaja und Udaipur. Letztere Grossstadt habe ihr so gefallen, dass sie drei Wochen später dorthin zurückgekehrt ist für eine unbestimmte Zeit. «Das zu wagen, fühlte sich an wie ein Sprung ins kalte Wasser.»

Vor Ort teilte sie sich ein Atelier mit einer anderen Künstlerin. Die Hauptaufgabe der gelernten Kindergärtnerin war es, Kinder zu unterrichten, und führte mit ihnen Workshops durch. Das Leben in Indien vergleicht sie mit einem Abenteuer: «In Indien kann man schwierig planen, das hat mich gelernt, sehr flexibel zu sein und jeden Moment zu geniessen.»

Nach diesen drei Jahren weilte sie für ein paar Wochen in Deutschland, ehe die Münchnerin in der Schweiz auf Stellensuche ging und ein Jobangebot im Kanton Zug bekam. Seit 2019 wohnt sie in Rotkreuz: «Am Anfang war es sehr schwierig für mich, heute kann ich es mir kaum mehr vorstellen, von hier wegzugehen.»

Ab Januar wird es ein offenes Atelier geben

Im Chamer Langhuus ist sie regelmässig anzutreffen. Ihre Minileinwandunikate finanziert sie selber und wird sie sicher noch bis Anfang 2023 beschäftigen. Die Münchnerin freut sich über jede Rückmeldung: «Eine Frau schrieb mir, dass sie gerne weitere Bilder von mir sehen würde.» Die Idee dazu entstand bei der letztjährigen Ausstellung in der Gewürzmühle in Zug. Dort hatte sie als Geschenk kleine Leinwände verteilt und viele positive Reaktionen erhalten.

Ab Januar werde es im Langhuus alle acht Wochen einen Showroom und ein offenes Atelier geben. «Kunstschaffende wie ich ziehen sich sonst gerne zurück, aber hier mit dem offenen Atelier offenbare ich mich. Es wird eine neue Herausforderung, aber es wird sicher Spass machen.» (Text von Nora Baumgartner)

Hinweis

Weitere Infos zu Julia Nissimoff: www.julia-nissimoff.com.