Musikalische Vielfalt in einem langen Programm

Musik

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Die Baarer Orgelnacht in der Kirche St. Martin bringt ein Konzerterlebnis auf einem sehr hohen musikalischen Niveau.

  • Das Publikum lauscht der Baarer Organistin Heyon Ko. Bild: Maria Schmid (Baar, 5. 9. 2025)
    Das Publikum lauscht der Baarer Organistin Heyon Ko. Bild: Maria Schmid (Baar, 5. 9. 2025)

Baar – In der Kirche St. Martin Baar erfolgte die Eröffnung der Orgelnacht durch Kirchenrat Thomas Inglin und die Pfarreiseelsorgerin Barbara Wehrle Hanke pünktlich um 18.15 Uhr. Den Schluss-Segen sprach der Gemeindepfarrer Anthony Chukwu kurz nach 22.30 Uhr – also mehr als vier Stunden später.

Das Programm war aber in klar abgetrennte halbstündige Blöcke gegliedert, nach welchen jedes Mal ein Teil des Publikums wechselte. In unterschiedlicher Besetzung waren es jeweils um die 150 bis 250 Personen, sodass der grosse Kirchenraum nie voll besetzt wirkte. Insgesamt haben aber wohl an die 500 Personen mindestens einen Teil der Darbietungen miterlebt, was die Kirchgemeinde Baar doch als grossen Erfolg verbuchen konnte.

Fast immer im Zentrum stand die reich disponierte und für den Anlass spieltechnisch gut vorbereitete Orgel, erbaut und eingerichtet von der Firma Mathis/Näfels in den Jahren 1961 bis 1963. Darum fanden fünf der insgesamt sieben Teilkonzerte ausschliesslich auf der Empore statt. Für direkteren optischen Kontakt mit dem Publikum sorgte aber die zeitgleiche Direktübertragung auf einen grossen Bildschirm vor dem Altarbereich. Auch Begrüssung und Segenswunsch erfolgten im Direktkontakt. Dabei wurde ein liturgischer Rahmen angedeutet, der sogar ein Gemeindelied enthielt. Ob der als Wechsel-Lesung von der Gemeinde gesprochene 150. Psalm angemessen dazugehörte, war wohl Geschmackssache.

Die Vorbereitung war sorgfältig

Den Kontakt vom Altarbereich zu dem weit entfernt spielenden Organisten Wolfgang Sieber wagte die Luzerner Kantorei mit sehr gutem Erfolg. Die Darbietungen des aus lauter jungen Leuten bestehenden gemischten Chores mit etwas über 40 Mitwirkenden zeugten von sorgfältiger Vorbereitung, in der Intonation als auch in der deklamatorischen Gestaltung.

In vier Sprachen – Deutsch, Französisch, Latein und Englisch – bewegten sich alle Gesänge mit ihren Stimmungen und oft anspruchsvollen Harmonien im Bereich der Romantik. Die Chorleitung von Eberhard Rex betonte fast überdeutlich verschiedene markante Einsätze, vor allem im Sopran und im Bass, fand aber an den gegebenen Stellen auch ein stimmtechnisch gut getragenes Piano.

Schwieriger war der gleiche Direktkontakt bei der vorangegangenen Darbietung «Tanz und Orgel» von Yvonne und Wolfgang Sieber (Tochter und Vater). Da man auf ein erhöhtes Podium verzichtete, wurden die Bewegungen zwischen Jazzballett und Bauchtanz nur von einem kleinen Teil des Publikums voll gesehen. Ein Solotanz-Programm über eine volle halbe Stunde wäre physisch unmöglich gewesen. Darum füllte eine längere Zwischenphase ausschliesslich der Orgel mit verschiedenen Anklängen an bekannte Volkslieder das Programm – alles Eigenkompositionen des Organisten.

Baarer Organistin überzeugt

Den Schwerpunkt der ersten Hälfte bildete das Spiel der in Südkorea aufgewachsenen, aber seit einem Jahr in Baar aktiven Gemeinde-Organistin Heyon Ko. Zunächst erklang das wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrieges uraufgeführte Concerto für Orgel, Streicher und Pauken (Pascal Iten) von Francis Poulenc.

Unter der Leitung von Philipp Hutter wirkte das aus elf Mitwirkenden zusammengesetzte Ad-hoc-Streichorchester angemessen homogen. Der Komponist widmete die ineinander übergehenden Sätze von ungefähr 20 Minuten Gesamt-Spieldauer dem Barock-Komponisten Johann Sebastian Bach. Das war hauptsächlich in den Eingangsfigurationen der langsameren Teile hörbar.

Kontrastwirkung entfaltete das anschliessende Trio für Posaune (Jonas Inglin), Saxophon (Linus Amstad) und Orgel (Heyon Ko). Die Ausführenden spielten zwar mit Notenblättern, betonten aber gleichzeitig, dass sie je nach momentaner Stimmung bei ihren Auftritten als Duo einen Teil des Programms improvisieren. Der Eindruck bei einmaligem Anhören: Auch die Organistin vermochte sich dieser Situation voll anzupassen.

Und dann noch einmal Improvisation: Der Solothurner Organist Benjamin Guélat musizierte zum Stummfilm «Flitterwochen im Ferienhaus» von Buster Keaton. Die aus dem Jahre 1920 (!) stammende Schwarz-Weiss-Vorlage war optisch erstaunlich gut erhalten. Die Baarer Orgel verfügte natürlich nicht über die Register der damaligen Kino-Orgeln wie «Autolärm», «Gelächter», «Sturmwind» und so weiter. So begann der Interpret in meist herkömmlichen harmonischen Strukturen und steigerte sich dann gegen Schluss vor allem durch raschere Tempi und den extremen Gebrauch der Zungenregister.

Die Altistin Susanne Andres wurde zwar im Voraus als leicht indisponiert gemeldet. Bei den klar strukturierten und abgerundeten Liedvorträgen merkte man aber höchstens eine gewisse Vorsicht für den Abstieg in tiefere Lagen. Erfreulich gut gestaltete sie die tschechische Originalsprache der zehn «Biblischen Gesänge» von Antonín Dvořák. Viele Gestaltungsmöglichkeiten nach der Klangfarbe boten diese kurzen Sätze auch dem Begleiter Freddie James.

Zupfinstrumente können sich behaupten

Den Abschluss bildete das grosse Gitarren-Ensemble der Luzerner Hochschule für Musik mit lauter Musikstudierenden. Man begann mit einem Werk aus dem 16. Jahrhundert, bei welchem der Gitarrenchor den Klangcharakter der damals gezupften Tasteninstrumente recht genau nachvollziehen konnte. Weiter ging es über die spanische Tradition bis zur Gegenwart. Die zu Beginn geäusserte Befürchtung, die Orgel könnte den Klang der Zupfinstrumente übertönen, wurde rasch widerlegt: durch die grosse Zahl der Gitarren, durch einen meist sparsamen Orgelsatz und eine angemessene Registrierung.

Es ist nicht klar, welchen Stellenwert für die Zukunft der Baarer Orgelnacht die gleichzeitig durchgeführte Publikums-Umfrage einnehmen soll. Schade, dass sie mit einem «Gratis»-Wettbewerb verknüpft war – das verfälschte wohl die Zusammensetzung des Antwort-Publikums. (Text: Jürg Röthlisberger)