Kunsthinterfragt sich und die Welt

Kunst & Baukultur

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Ein Rundgang durch die Zuger Kunstpause in der Chollerhalle mit erfrischenden Perspektiven von Kulturschaffenden.

  • In der Chollerhalle war auch «Verwertung» von Nathan Styner zu sehen. (Bild Jan Pegoraro)
    In der Chollerhalle war auch «Verwertung» von Nathan Styner zu sehen. (Bild Jan Pegoraro)
Zug – Weisse Buchstaben laufen gemächlich über die schwarze Ausstellungswand. «Tochter, Enkelin, Mobbingopfer …», steht auf einer Zeile zum Jahr 2012. Die endlosen Datenkolonnen erinnern an den Abspann eines Filmes – tatsächlich beschreiben sie aber das bisherige Leben der Künstlerin Vera Steinmann. Für ihre Installationsammelte die Zugerin akribisch Informationen aller Art aus der Vergangenheit: Neben intimen Details über ihr nächstes Umfeld bekommt derZuschauer unzählige Namen derjenigen Menschen zu sehen, deren Wege sich bisher mit jenem der 21-jährigen Künstlerin gekreuzt haben. «Als ‹ironisch› beschrieb mir Vera Steinmann den Umstand, dass es ihr wesentlich Mühe bereitete, an ihre eigenen Daten zu kommen,während sie im Internet eine lange Datenspur hinterlässt, die auch noch ohne ihr Einverständnis zu kommerziellen Zwecken genutzt wird», erzählt derAusstellungsführer Severin Hofer. Hofer führt an diesem Freitagabend eloquent durch die Zuger Kunstpause in der Chollerhalle. Die ehrliche Arbeit von Steinmann stösst bei der rund zehnköpfigen Gruppe auf Interesse, nicht nur aufgrund des Mutes der Künstlerin, sich freiwillig als «gläserne Bürgerin» zu präsentieren, sondern auch,weil einige sich in den Daten wiederfinden. Andere ausgestellte Werke sind im Vergleich dazu deutlich abstrakter, etwa die «Space Lines» der Luzernerin Michaela Schmid: weiss bemalte Rohre, mittels Harz während zwanzig Minuten zu dynamisch geschwungenen Spiralen geformt. «Wie wirkt das auf Sie?», fragt der Guide. Was bei den einen trotz ansprechender Ästhetik für Fragezeichen sorgt, interpretieren andere Besucher überraschend als marxistische Kapitalismuskritik.

Kunst macht sich selbst zum Thema

Als «eine Hommage an das Material in Zeiten der digitalen Fotografie» beschreibt der persönlich anwesende Künstler Marc Lauber seine Serie«A Rose is …». Dieses hängt in Form von technisch anmutenden Skizzen an derAusstellungswand neben den «Space Lines». Der Berner spielt darin mit dem Ausgangsbild einer Rose, indem er wie in der Musik das Thema in unterschiedlichsten Variationen interpretiert: Er verteilt die Farbanteile neu, beschreibt das Bild mittels Worte oder formt aus den Pixelnflugs eine neue Rose.«Im Hintergrund hören wir ein Gedicht von Goethe, dessen Wörter immer wieder neu zusammengesetzt werden», führt Severin Hofer aus. Auf den ersten Blick harmlos wirken die in Acryl-Farbe geschriebenen Slogans von Emanuel Eichler im nächsten Raum: «BALI? JUST ONCE A YEAR» oder «IT IS ALWAYS HOT IN SUMMER». Man erfährt vom Ausstellungsführer, dass es sich um Aussagen von führenden USRepublikanern handelt und denkt anähnliche Aussagen von Zuger Politikern. «Die Postkarten-Ästhetik erinnert an den Ersten Weltkrieg, in dem Postkarten als Propaganda-Material populär waren», sagt Severin Hofer. Wenig überraschend will Emanuel Eichler aufrütteln, denn hinter den im Raum aufgehängten Leinwänden kontert er die von den Politikern ignorierten Probleme mit Fakten. Gerade weil die vielen Interpretationsmöglichkeiten den Laien oft überfordern, sind die Ausführungen des geführten Rundgangs willkommen, da sie den Besucher über die erste Hürde auf dem Weg zu einem eigenen Zugang zum Werk tragen. Weitere Stärken der diesjährigen Ausgabe liegen in der gelungen nüchternen und nicht überfordernden Präsentation der Werke (Julian Wasem) und in der sorgfältigen Auswahl der 14 Arbeiten durch RafaelCasaulta: Bezüglich der verwendeten Materialien,Formen und Zugängen decken die Kunstschaffenden eine enorme Bandbreite ab. Diese Mélange macht den Besuch zu einem Erlebnis, bei dem vielen offenen Fragen für Diskussionsstoff sorgen. (Text von Fabian Gubser)