Ein «Stilmix» mit Geschichte
Kunst & Baukultur
Die Maria-Hilf-Kapelle hinter der Oswaldkirche birgt ein Retabel, das Elemente aus Gotik, Barock und Neugotik vereint. In ihm «leben» Elemente eines seit langem vergessenen Altares weiter.
Man übersieht sie leicht, die Zuger Maria-Hilf-Kapelle, die wenige Meter von der Oswaldkirche entfernt an der südöstlichen Ecke des einstigen Friedhofes steht. Um 1480 – das Jahr der Schiffsweihe von St. Oswald – errichtet, hatte sie die Funktion der Friedhofskapelle respektive des Beinhauses zur Aufnahme der exhumierten Gebeine. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Kirchhof zu St. Oswald aufgelassen, wodurch die Kapelle ihre Funktion als Beinhaus verlor.
Bis dahin war ihre Nordseite zur Kirche hin offen, der Blick von aussen frei auf die gestapelten Gebeine, so wie man es heute noch beim ehemaligen Beinhaus in Steinhausen vorfindet. Ab 1851 wurden die Knochenbeigen mitsamt den Totenkratten entfernt, die offene Wand geschlossen und das ehemalige Beinhaus St. Oswald in eine Maria-Hilf-Kapelle umgewandelt. 1855 waren die Umbauarbeiten abgeschlossen.
Der Altar unter der «Sarch»
Seit 1762 war im ehemaligen Beinhaus der sogenannte «Sarchaltar» aufgestellt. Er war aus der Oswaldkirche hierher übertragen worden. Es handelte sich um einen von insgesamt elf Altären, die zur Barockzeit in der Kirche standen. Der Sarchaltar erhielt seinen Namen vermutlich aufgrund eines Reliquienschreines, den man auch «Sarch» nannte. Der im deutschsprachigen Raum wohl nicht verbreitet bekannte Begriff ist bald in Vergessenheit geraten und existierte einzig als Wortteil des «Sarchaltares» weiter. Er hatte eine niedrige, gedrungene Gestalt – seinem Standort unter einer kleineren, relativ tiefliegenden Orgelempore an der vorderen Schlusswand des rechten Seitenschiffes geschuldet, welche für die Installation einer Nebenorgel eingebracht worden war. Diese Empore war – anlehnend an den Altar darunter – schlichtweg als «Sarch» bekannt.
1872 erhielt die Maria-Hilf-Kapelle einen neuen Altar. In ihm sind die um 1665 geschnitzten Rosenkranzgeheimnisse vom alten Sarchaltar sowie das barocke Maria-Hilf-Bildnis von ebendort übernommen worden. Im Zuge einer Renovation der Kapelle anno 1905 entstand der heutige Altar mit etwas
ungewöhnlichen neugotischen Formen. Er füllt die Mittelchorwand fast vollständig aus.
Die hier neu gefassten 15 Rosenkranzfelder messen je rund 30 mal 30 Zentimeter. Der Einsiedler Kunsthistoriker Linus Birchler (1893-1976) notiert in seiner St.-Oswald-Forschung, dass die Rosenkranzplatten wohl nicht von Anfang an Teil des Sarchaltars gewesen sein können, sondern hinzugefügt worden sind, nachdem die Sarchempore entfernt worden war, da dies ansonsten aus Gründen der Dimension nicht möglich gewesen wäre. Einst sollen die Reliefs polychrom lasiert gewesen sein. Heute sind sie vergoldet und bilden mit dem Rest des Retabels eine farbliche Einheit.
Das Feld im Kielbogen über dem Altarblatt ist gefüllt mit reichem floralen Schnitzwerk und Schwalbenmotiven. Ungewöhnlich sind die Bekrönungen der flankierenden Altarfiguren: Sie tragen je ein kugelartiges Gebilde auf sechs Säulchen, was bereits Anleihen beim Jugendstil erahnen lässt. Bei den beiden rund 110 Zentimeter grossen Figuren handelt es sich um spätgotische Darstellungen der Heiligen Cosmas und Damian. Durch eine farbliche Neufassung ist ihre Authentizität verloren gegangen, wie Birchler anmerkt.
So ist der in seinen Formen bemerkenswerte Altar in der Maria-Hilf-Kapelle an sich ein Konglomerat mehrerer Stilepochen. Und in ihm haben Elemente eines ehemaligen Altars der Oswaldkirche – der schon vor langer Zeit in Vergessenheit geraten ist – eine neue Bestimmung gefunden. (Text: Andreas Faessler)
