Nietzsche und sein roter Schirm
Literatur & Gesellschaft
Thomas Hürlimann liest demnächst in Zug. Es geht um Nietzsche, einen vergessenen Regenschirm und um ein «schönes Vielleicht».
Zug – Vielleicht sind wir ja doch von höherer Seite beschirmt und behütet – der Gedanke ist jedenfalls tröstlich und leitet einen an den Klippen des Abgrunds sicher vorbei. Wieso der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann diesen hoffnungsfrohen Gedanken fasst, erklärt er einem ganz am Ende seines Texts «Nietzsches Regenschirm». Zuvor denkt er über den Philosophen Friedrich Nietzsche nach, erzählt von Nietzsches rotem Regenschirm und gibt diesem einen philosophischen Überbau: Der Schirm als «Vereinigung von Himmel und Erde». Der Leser taucht ein in die geistige Welt des berühmten Nihilisten, der Gott wie jeglicher Metaebene abschwor und sich an den Klippen des puren auf sich selbst Zurückgeworfenseins aufrieb – bis in den Wahnsinn.
«Gott Mensch Thier Kuss Aus»
Auf launigen und klugen 43 Seiten führt Thomas Hürlimann an Nietzsches Seite vom warmen Oberengadin des Sommers 1881 ins kalte Turin um den Jahreswechsel 1888/89. Im Engadin stürzt eine neue Geistesordnung auf den Philosophen ein – Nietzsche habe später von «tiefster Erschütterung» gesprochen. Was Nietzsche bewusst geworden sei: «Du bist ein Diesseits, das ein Jenseits ist, du bist ein Jenseits, das ein Diesseits ist. Gott ist tot ...»
Siebeneinhalb Jahre später: Friedrich Nietzsche bricht zusammen, mit seinem Schirm, auf der Piazza Carlo Alberto in Turin, wo der Philosoph sich letztlich an einem Pferd festhält. Thomas Hürlimann zitiert einen Zeugen: «Nietzsche warf sich dem Klepper weinend an den Hals, küsste ihn und nannte ihn ‹Bruder›!» Hürlimann schreibt: «Gott Mensch Thier Kuss Aus». Und stellt die Frage nach Nietzsches Schirm. Hat er ihn fallen lassen? «Ich habe meinen Regenschirm vergessen.» Diesen Satz habe man in den Fragmenten Nietzsches gefunden. Der Schriftsteller vermutet, dass es einer der letzten Sätze des Philosophen war: «Einem Gott in Anführungszeichen ist in der Umnachtung ein Satz aus seiner Rolle eingefallen.»
Oppositionsgeist und Atheistenclub
Gefragt, was ihn zur intensiven Beschäftigung mit Friedrich Nietzsche geführt habe, gewährt einem Thomas Hürlimann so persönliche wie humorvoll eingefärbte Einblicke in seine Jugend: «Mit Nietzsche beschäftige ich mich seit der Zeit als Zögling der Stiftsschule Einsiedeln. Damals trugen wir Schüler schwarze Kutten und mussten jeden Tag die Messe besuchen. Tagwache um zehn nach fünf, schlafen und essen in Sälen, da versteht es sich von selbst, dass die Oppositionsgeister geweckt wurden. Ich gehörte, mit fünfzehn Jahren, zu den Gründern eines Atheistenclubs. Wer Mitglied werden wollte, musste während des Pontifikalamtes in den Dachstock über der Kirche steigen und durch eine Luke einen Papierflieger herabsegeln lassen, beschriftet mit einem religionskritischen Satz. Auf meinem Flieger stand: ‹Die Religion ist der Wille zum Winterschlaf. Nietzsche.›»
Im Text der Lesung spiele Nietzsches Regenschirm die Hauptrolle. Aber es geht nicht nur um Nietzsche und seinen Schirm, sondern auch um einen Kater namens Mufti, der ihm einst gespannt wie ein Schirm gehorcht habe. Wie genau, das erfahre man bei der Lesung. (Susanne Holz)
HinweisDie Lesung von und mit Thomas Hürlimann findet statt am Dienstag, 8. September, um 19.30 Uhr im Buchhaus Balmer an der Rigistrasse 3 in Zug.