Das Frauenthaler Blutwunder
Dies & Das
Wunderliches trug sich 1708 im und rund um das Kloster zu: Ein Krimi aus dem alten Zug.
Cham – Wir schreiben den 29. September 1708, zirka 23 Uhr. Ein hochkarätiges apostolisches Überfallkommando reisst die Zisterzienserinnen aus dem Schlaf, durchsucht zumal das Beichtigerhaus und findet neben dem Entwurf der «geheimen» Botschaft und anstelle des Hauptverdächtigen, des nach Wettingen zurückgerufenen Spirituals Pater Marian, in einem Wandschrank zitternd, Jungfer Euphemia Schweizer! Die dito einschlägig Geläufige trifft ihren Komplizen und Liebhaber wieder – im städtischen Turm zu Luzern, wohin der apostolische Notar Walter Kappeler und Kanzler Giovanni Castoreo den in der Vaterabtei soeben Verhafteten führen! Nach Kerker und angedrohter und teils ausgeübter Folter gestehen die beiden angeklagten Personen dem Nuntius Vincenzo Bichi ihre gemäss seinerzeitigen Kirchenvorschriften verübten Vergehen wie Aberglaube, Betrug, Exorzismus, Engels- und Hexengeschichten, Jenseitskontakte, Sex sowie ihr Verbrechen, das als eines der schwersten schlechthin galt, die «Schändung unseres Herrn Jesus Christus» mittels blutiger Verfärbung von Hostien!
Die Überstellung der Schuldigen vor das Inquisitionsgericht in Como brach einen Jurisdiktionskonflikt zwischen der Nuntiatur und den katholischen Orten vom Zaun, wobei sich erstere durchsetzte. Über die mutmasslich nach Bremgarten heimgekehrte Euphemia Schweizer schweigen die Akten, derweil der zu lebenslänglicher Haft verurteilte P. Marian Bucher 1720 verstarb.
Eine «heiligmässig» Besessene
Der aus dem reichen Fundus des vatikanischen Geheimarchivs schöpfende Historiker Marco Jorio rollte vor Mitgliedern des Historischen Vereins des Kantons Zug die filmreife Story wie ein Kommissar auf! Die vom Teufel besessene und hernach mit diesem paktierende, von einer scharfen Volksmission ergriffene Euphemia Schweizer galt als heiligmässige Frau, welche durch allerlei Geschichten und «Wunder» sowie Auskünfte über das Jenseits gestorbener Mitmenschen den Konvent dergestalt spaltete, dass deren Leitung sie mehrfach auswies – ohne zählbaren Erfolg! Sie diktierte Marian Bucher ihre «geheime Botschaft», die Jungfrau Maria bringe ihr einige Blutstropfen ihres gekreuzigten Sohnes – in Tat und Wahrheit handelte es sich um Menstruationsblut der Euphemia. Eines Morgens entdeckte der Pater ein Gefäss mit Blut und beträufelte hiermit zwei Hostien. Deren eine präsentierte er während einer Messe zu Frauenthal, konsekrierte sie und verschloss sie hernach auftragskonform im Tabernakel, welchen er in der Nacht mit einem Nagel öffnete, um nach einigen Tagen das nämliche Schauspiel in der Wallfahrtskapelle Jonenthal zu wiederholen, abermals verknüpft mit einem Schreiben in goldenen Lettern, worin es heisst: «Meine Arme sind stärker als die aller Menschen... Du sollst wieder meine treue Braut (= Euphemia) führen und ihr dienen.» Die zweite Hostie konsekrierte er im Kloster Wettingen.
Weil es um das «allerheiligste Altarsakrament» ging, setzten nunmehr geistliche und weltliche Gerichtsbarkeiten, allerdings voller Spannungen, Himmel und Hölle in Bewegung: dies eine der Folgerungen Marco Jorios. Aus den Verhören der Nonnen schliesst er auf ein beträchtliches Bildungs- und Machtgefälle in Leben und Denken der Klosterfrauen. Der Referent fand weiter heraus, dass seinerzeit die Menschen beiderlei Geschlechts Gott und die Heiligen, aber genauso den Leibhaftigen als unter ihnen weilend betrachteten und ebenfalls das Transzendentale als im Diesseits allgegenwärtig, die Seelen Dahingegangener als in Raum und Zeit anwesend empfanden.
Für den Historischen Verein des Kantons Zug: Jürg Johner