Noch einmal öffnen sie den Vorhang

Literatur & Gesellschaft

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Das Literaturquartett betritt ein letztes Mal die Bühne. Ein Jahrzehnt lang wurde kontrovers diskutiert und dezidiert kritisiert. Und manchmal war man sich auch einig.

  • Haben für das Literaturquartett viel positives Feedback erhalten: Christa Kaufmann (links) und Grazia Portmann. (Bild Stefan Kaiser)
    Haben für das Literaturquartett viel positives Feedback erhalten: Christa Kaufmann (links) und Grazia Portmann. (Bild Stefan Kaiser)

Baar – «Tauben fliegen auf», der autobiografisch gefärbte Roman der ungarisch-schweizerischen Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji, und «Die Tessinerin», der Erstling des gebürtigen Zugers Thomas Hürlimann. Diese zwei literarischen Werke sind Grazia Portmann und Christa Kaufmann in besonderer Erinnerung, weil: Hier waren sich die vier Protagonisten des Baarer Literaturquartetts jeweils einig beide Bücher stiessen auf die volle Zustimmung aller Beteiligten. Christa Kaufmann bezeichnet die Erzählungen in Hürlimanns Erstling sogar als «Rohdiamanten». Die Germanistin machte sich vor Jahren auch für Max Frischs «Montauk» stark – sie mag die «klare und präzise Sprache» des 1991 verstorbenen, legendären Schweizer Autors. Ganz anders Grazia Portmann, seit 1994 die Leiterin der Bibliothek Baar. Sie erinnert sich: «‹Montauk› haben wir sehr kontrovers diskutiert. Ich persönlich tue mich schwer mit Max Frisch und seinem Frauenbild. Für mich war er ein Macho.»

Premiere mit «Am Hang»

Hört man die beiden Literaturkennerinnen über ihre gemeinsamen Erinnerungen reden, über die prägnanten und kontroversen Momente in zehn Jahren Baarer Literaturquartett, dann wird man ein bisschen wehmütig angesichts der Tatsache, dass das Quartett am 30. Oktober zum letzten Mal seine Bühne in der Rathus-Schüür betreten wird. Im Januar 2005 diskutierte man erstmals über die Literatur dieser Welt, die Stammbesetzung aus Bibliotheksleiterin Grazia Portmann, Germanistin Christa Kaufmann und Germanist Thomas Heimgartner sollte ein Jahrzehnt lang die gleiche bleiben. In Anlehnung ans unvergessene «Literarische Quartett» des Zweiten Deutschen Fernsehens, das unter Leitung von Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki 2001 zum letzten Mal über die Fernsehbühne ging, empfing man auch in Baar jedes Mal einen Gast.

Und schon bei der Premiere durften sich die Gäste über eine kontroverse Diskussion freuen: Markus Werners viel gerühmter Roman «Am Hang» stand zur Debatte. Die Handlung sei zu konstruiert, fand Grazia Portmann, während Christa Kaufmann das Frauenbild bemängelte und Thomas Heimgartner sich an der schablonenhaften Zeichnung der Männer störte. Gast Jacqueline Dossenbach wiederum äusserte laut «Zuger Presse» vom 7. Januar 2005 den Wunsch, «dass mehr Männer so offen wie die im Buch dargestellten miteinander diskutierten». In der Presse fand man sofort lobende Worte für das neue Literaturgefäss. «Die engagiert geführte Literaturdebatte war ebenso erfrischend wie anregend und brauchte den Vergleich mit dem Literaturclub vom SF DRS nicht zu scheuen», hiess es im selben Artikel.

Öffentlicher Literaturzirkel

Grazia Portmann erzählt: «Wir haben über die Jahre viel positives Feedback bekommen. Und es war der Wunsch der Gemeinde, das Quartett in der Rathus-Schüür abzuhalten. Wir haben kontrovers diskutiert, sind aber nie zu persönlich geworden. Es braucht schon auch Mut, sich zu exponieren.» Christa Kaufmann ergänzt: «Die Kontroverse ist für die Zuhörer attraktiv, für die Teilnehmer auf der Bühne aber nicht ganz harmlos es gilt, das Gespräch zu steuern, jeden zu Wort kommen zu lassen, gerade auch den Gast.» Einen Schlusssatz wie das berühmte, von Reich-Ranicki im ZDF jeweils gesprochene Brecht-Zitat «Und so sehen wir betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen» hatte das Baarer Literaturquartett nie. Nun schliesst sich aber der Vorhang für das beliebte Gefäss, weil Grazia Portmann Ende Jahr in Ruhestand geht. Das macht betroffen, aber Land ist in Sicht: Zusammen veranstalten Grazia Portmann und Christa Kaufmann ab 2015 eine «Lesebaar» in der Bibliothek. Es soll ein öffentlicher Literaturzirkel mit Werkstattcharakter werden, je am letzten Freitag im Februar, Mai, August und November. Premiere ist am 27. Februar 2015. (Susanne Holz)

Hinweis:
Am Donnerstag, 30. Oktober, um 20.15 Uhr in der Baarer Rathus-Schüür findet letztmals das Literaturquartett statt. Gast ist Matthias Engel, Leiter der Buchhandlung Balmer Citypark in Zug. Besprochen werden Roland Buti, «Das Flirren am Horizont», Charles Jackson, «Das verlorene Wochenende», Simone Lappert, «Wurfschatten», und David Vann, «Goat Mountain». Der Eintritt kostet 10 Franken.