Röntgenstrahlen und Flugpioniere

Brauchtum & Geschichte

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Errungenschaften und Pionierleistungen sorgten an der Wende zum 20. Jahrhundert für Volksfeststimmung in Zug.

  • Eine Gruppe tanzender Skelette 1896 in der Grabenstrasse in Zug. (Bild Bibliothek Zug)
    Eine Gruppe tanzender Skelette 1896 in der Grabenstrasse in Zug. (Bild Bibliothek Zug)

Zug – 1896 herrschte in Zug bei der Grabenstrasse der Ausnahmezustand: Sieben gruselige Gerippe tanzten und turnten vor der Kamera von Josef Maria Weber-Strebel, dem damaligen Zuger Bürger- und Kirchenratsschreiber. Weber-Strebel war ein begeisterter Amateurfotograf und hielt immer wieder besondere Ereignisse fest. Vermutlich entstand die vorliegende Fotografie im Rahmen der Fasnacht. Am linken Bildrand sind Schaulustige zu erkennen. Sie versuchten offenbar, so diskret wie möglich die Szene zu beobachten, ohne ins Bild zu treten. Die Ganzkörperanzüge der Gerippe vermochten nicht nur anatomisch zu überzeugen, sondern erzeugten dank fortgeschrittener Maltechnik einen plastischen Eindruck.

Dass Zug ausgerechnet 1896 von einer Horde Skelette heimgesucht wurde, könnte mit einer epochalen technischen Errungenschaft zusammenhängen: Röntgenstrahlen. Ab Januar 1896 berichteten Zeitungen landesweit über die neuartigen X-Strahlen, mit denen erstmals das menschliche Skelett durch den Körper hindurch fotografisch festgehalten werden konnte. Ob sich die Personen auf dem Foto tatsächlich auf die Röntgenstrahlen anspielten, lässt sich nicht belegen, da keine weiteren Informationen zum Kontext der Aufnahme überliefert wurden. Zwei Zeitungsmeldungen beweisen aber, dass sich die Zugerinnen und Zuger sehr wohl intensiv mit Röntgenstrahlen auseinandersetzten und die neue Errungenschaft feierten. So lud der Kaufmännische Verband Zug am 23. September 1896 im Hotel Löwen zu einer «Grossen Familiensoirée». Diese exklusive Abendgesellschaft ermöglichte den geladenen Gästen, die Magie der neuen Röntgenstrahlen durch mobile Apparate selbst zu erleben.

Solche mobilen «X-Strahlen-Apparate» wurden rasch zu beliebten Attraktionen auf Festen sowie Veranstaltungen und dienten auch als Werbemittel für Geschäfte. So gab es einen Zigarrenladen im aargauischen Boswil, der jedem Kunden noch ein gratis Röntgenbild schenkte.

«Röntgen X-Strahlen-Tanz» als Höhepunkt

Ein begeisterter Leserbrief im Zuger Volksblatt von 1899 würdigte eine Abendunterhaltung in Cham, bei der die Männerriege mit einem «Röntgen X-Strahlen-Tanz» den Glanzpunkt bildete. Fairerweise lobte er auch die zweite Darbietung: «Aber auch die Pantomime hat gut befriedigt. Ihr Turner habt also Eure Sache brav gemacht und uns gezeigt, dass Ihr vergangenen Sommer und auch seither Eure Abendstunden gut verwendeten.» Zug war vollends am Puls der Zeit.

Der Damenwelt wurde die neue Röntgentechnologie besonders angepriesen. Sie konnten sich mithilfe hochdosierter X-Strahlen dauerhaft von «unbequemen Schnurrbärtchen» oder störenden «Badebartansätzen» befreien lassen. Obwohl es bereits 1896 zahlreiche Berichte über Strahlenschäden gab, hielten sich die kommerziellen Röntgenapparaturen hartnäckig. Vielleicht mag sich manch Leserin oder Leser daran erinnern, dass in vielen Schuhgeschäften ein Pedoskop zur Verfügung stand, mit dem die Passgrösse der Schuhe mit Blick auf die Fussknochen kontrolliert werden konnte. Diese Röntgenapparate blieben in der Schweiz – allen Warnungen zum Trotz – bis 1989 in Gebrauch.

Bruchlandung für den Zuger Verkehrsverein

Der Sog des Fortschritts hat im frühen 20. Jahrhundert auch vor der Geschichtsschreibung nicht Halt gemacht. Viele Errungenschaften wurden als eine einzige Erfolgsgeschichte erzählt, während weniger Rühmliches kaum Erwähnung fand. Ein Beispiel hierfür ist das erste grosse Schaufliegen auf Zugerboden am 4. August 1912. Organisiert wurde der Grossanlass vom Zuger Verkehrs- und Verschönerungsverein. Als Austragungsort diente der Exerzierplatz im Stierenmarktareal. Der Verein hatte es sogar fertiggebracht, die beiden Schweizer Flugpioniere René Grandjean und Emile Taddeoli vom gleichzeitig stattfindenden Schaufliegen in Zürich wegzulocken. Entsprechend stolz verbreitete der Verkehrsverein mit riesigen Inseraten fleissig Volksfeststimmung und schwärmte von einem «sportlichen Ereignis ersten Ranges» für die gesamte Zentralschweiz. Im sportlichen Wettkampf sollten die beiden Flieger um die Gunst des Zuger Publikums buhlen und ihre besten Kunststücke zeigen.

Die Bilanz der Flugshow war durchzogen: Die Maschine von Emile Taddeoli gab schon nach dem ersten Flugversuch wegen Motorenüberhitzung den Geist auf. Daher musste er abseits schaulustiger Blicke notlanden und konnte nicht mehr weiterfliegen. René Grandjean sorgte zwar für Begeisterung, als er seinen «Aeroplan» startete und dabei den Zuschauenden fast die Hüte wegpustete. Danach liess er seine Maschine «wie eine riesige Libelle» über den Zuger Häuptern kreisen. Doch zwischen den drei Starts kam es zu sehr langen Pausen, die das Publikum auf eine «harte Geduldsprobe» stellten.

Bruchlandung erlitt vor allem der Verkehrsverein, da sich viele Menschen ausserhalb des offiziellen Fest- und Flugplatzes versammelten hatten und folglich kostenlos zuschauten. So reisten aus dem Aegerital ganze Scharen von Menschen auf den Zugerberg und beobachteten das Spektakel von dort aus. Die Flugschau endete daher für den Verkehrsverein mit einem satten Defizit. Das Zuger Volksblatt schrieb im Nachgang säuerlich, dass sich der Verkehrsverein «von nun an zweimal überlegen wird, ob er fernerhin seine Arbeit und seine Bättel für diese wenig dankbaren Leute opfern wolle oder nicht.»

Erste Landung eines «Hydromonoplans»

Nur eine Woche nach dem Schaufliegen schrieb René Grandjean ein Stück Schweizer Aviatikgeschichte, als er mit seinem selbstgebauten «Hydromonoplan» die ersten erfolgreichen Landungen auf dem Zugersee durchführte – wieder unter den staunenden Blicken vieler Zugerinnen und Zuger, die dieses Mal auch kein schlechtes Gewissen wegen fehlender Bezahlung haben mussten. Das historische Ereignis gab es nämlich ganz umsonst zu sehen. René Grandjean beherrschte nun nicht nur die Lüfte, sondern konnte seine mit Kufen und Schwimmern umgerüsteten Flugzeuge wahlweise auch im Schnee oder auf dem Wasser landen.

Die Anwesenheit der Flugpioniere in Zug war zudem nicht unpolitisch. Immer wieder wurde die Zuger Allmend als potenzieller Militärflugplatz gehandelt, was aber nie umgesetzt wurde. Die Schweizer Armee hielt Flugzeuge 1912 zwar noch für «unbrauchbar», doch dies änderte sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges schnell und Grandjean trat als erster Chefpilot der neuen Militärflugstaffel in den Dienst der Armee ein. (Text von Nadia Pettannice)

Hinweis

Die Bibliothek Zug präsentiert in einer fünfteiligen Sommerserie ihre umfangreiche Glasplattensammlung. Diese wurde mit der Unterstützung von Memoriav erschlossen und ist auf «Zentralgut» (www.zentralgut.ch) frei zugänglich. Neugierig geworden? Testen Sie jetzt Ihr Wissen über Zug im 19. und frühen 20. Jahrhundert auf www.zugerspiel.ch.