Kunst, die etwas bewegen will

Kunst & Baukultur

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Die Zuger Künstlerin Esther Löffel ist bekannt für ihre grossformatigen Bilder. Im März jedoch wird sie mit ihrer Skulptur «Free yourself – be yourself» Teil einer feministischen Ausstellung im Zürcher Hauptbahnhof sein.

  • «Ich schreibe meine Bilder», sagt Esther Löffel über ihre Kunst. (Bild: Thierry B. Burgherr)
    «Ich schreibe meine Bilder», sagt Esther Löffel über ihre Kunst. (Bild: Thierry B. Burgherr)
  • Esther Löffel und ihre Statue «Free yourself - be yourself». (Bild: Thierry B. Burgherr)
    Esther Löffel und ihre Statue «Free yourself - be yourself». (Bild: Thierry B. Burgherr)
Zug – Dieser Text ist in der März-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.

Die Sonne scheint, über dem See hängen noch ein paar Nebelschwaden. Wir steigen die paar Stufen runter ins Souterrain zu Esther Löffels Atelier am Zuger Stadtrand. Seit 1985 arbeitet sie hier.
An den Wänden hängen grossformatige Bilder mit der für die Künstlerin typischen Pinselhandschrift. Sie serviert uns Kafi und Basler Läckerli.
Mitten im Raum steht Esther Löffels aktuelle Arbeit. Eine «Advancine». Eine goldene Figur, die sie für eine Kunstausstellung im Zürcher Hauptbahnhof, mit Vernissage am internatio­nalen Frauentag, dem 8. März, bearbeitet hat. Organisiert wird die Ausstellung vom Unter­nehmensverband Advance, der sich für die Gleichstellung und die Erhöhung des Anteils von Frauen im Management einsetzt.

Unter einem Netz voller Erwartungen
Mit einem «Open Call» wurden Kunstschaffende eingeladen, sich mit dem Thema Gleichstellung auseinanderzusetzen. Ihre Botschaften sollen mittels einer zwei Meter grossen Skulptur, in einer vorgegebenen Form, transportiert werden. Eine unabhängige Jury entschied sich schliesslich für 30 der rund 100 eingegangenen Ideen. Die der Zuger Künstlerin Esther Löffel ist eine von ihnen.
Und ihre Arbeit ist bereits getan. Ganz in Gold steht die Figur da. Ein schwarzes Volierenetz liegt über ihr, scheint sie am Hinaufsteigen hindern zu wollen. Es ist hinter ihr zusammengezogen, über Kopf und Hand aber scheint es zu reissen. Die Hand der Figur ist erhoben, als würde sie sich aktiv aus dem Netz befreien. «Free yourself – be yourself» hat Esther Löffel sie genannt.
Am Netz sind 26 schwarze Plättchen befestigt. Eingraviert darauf sind Begriffe wie «always ­there», «perfect mother», «sexy», «flexible». Patriarchale Erwartungen – Forderungen und Vorstellungen, die von den Eltern, vom Partner, von den Kindern, von den Familien, von der Unternehmung, vom Team, von den Vorgesetzten, von der ganzen Gesellschaft an Frauen gestellt werden.

Geschlechterdiskriminierung
«Es gibt immer wieder Momente im Leben, in welchen einem die diskriminierenden Strukturen und die Ungleichheit der Geschlechter stärker ins Bewusstsein gerufen werden. Wenn man Kinder bekommt zum Beispiel», sagt Esther Löffel, selbst Mutter zweier mittlerweile erwachsener Kinder. Ein anderes Mal sei es eine engagierte Person, deren Aktivismus den eigenen Kampfgeist wieder aktiviere, oder Studienergebnisse und Zahlen, die einem die Ausmasse der noch immer anhaltenden Diskriminierung der Geschlechter vor Augen führen. Esther Löffel zückt die Dokumentation der Ausstellung: 
77 Prozent der gesamten unbezahlten Haus- und Familienarbeit wird von Frauen gestemmt. «Noch sehr viel Raum für Verbesserung!» So wie die 15 Prozent Künstlerinnen-Anteil in Schweizer Museen.
«Die Businesswelt und die Kunstwelt unterscheiden sich sehr, und doch wird im Austausch schnell klar: Wir Frauen fechten darin die oft gleichen Kämpfe aus.» Man sollte sich deshalb viel mehr verbinden. Mittel und Möglichkeiten seien in der Wirtschaft oft sehr viel stärker. Die Kunst hingegen finde andere Wege als den Kampf mit Statistiken, um Inhalte zu vermitteln, die Menschen zu berühren und zum Nachdenken anzuregen. Genau das sei das Ziel in der Zusammenarbeit von Advance und 30 Künstlerinnen.

Die Künstlerin im Fokus
Esther Löffel ist bildende Zuger Künstlerin, die im Raum Zentralschweiz und darüber hinaus – auch in Berlin und Venedig – diverse Ausstellungen hatte und auch im Bereich Kunst am Bau tätig ist. Im Jahr 2000 erhielt sie das Atelierstipendium des Kantons Zug in Berlin und im Jahr 1996 einen Werkbeitrag der Hürlimann-Wyss-Stiftung. Ihre Arbeiten sind jedoch in Zug auch im öffentlichen Raum zu sehen – als Deckenmalerei in der Musikschule Baar beispielsweise.
Doch Esther Löffel spricht lieber über Inhalte als über sich selbst. Stellt man ihr eine Frage zu ihrer Person, landet sie mit ihrer Antwort innert kürzester Zeit wieder bei der Gesellschaft, bei Hintergründen und Engagement.

Für unsichtbare Pionierinnen
Esther Löffel ist engagiert. 2021 erschuf sie eine goldene Frauenfigur für eine Ausstellung im Bundeshaus zur Gleichstellungsthematik. Sie spricht über Sichtbarkeit von Künstlerinnen, es geht um die Natur, um Gleichstellung in Wirtschaft und um Bildung. So setzte sie sich in den letzten Jahren gegen das Fällen alter Bäume ein oder entwickelte als Zeichenlehrerin gemeinsam mit ihrem Ehemann ein Lehrmittel über wichtige, aber wenig beachtete Künstlerinnen.
Bei der Recherche dazu habe sie unglaubliche Künstlerinnen entdeckt. Broncia Koller-Pinell beispielsweise. «Ich will nicht bloss meine eigene Kunst machen. Ich möchte auch Kunst entdecken, diesen Frauen eine Plattform bieten», sagt Löffel. Das tat sie beispielsweise oft auch in ihrer Kolumne in der «Neuen Zuger Zeitung» von 1992 bis 2002.
«Es ist äussert wichtig, dass junge Frauen Vorbilder in allen Bereichen haben. Solange jedoch in Schulmaterialien nur männliche Künstler, Autoren, Wissenschaftler Thema sind, ändert sich das nicht.»

Mit kleinsten Strichen in die Tiefe
Bekannt ist Esther Löffel für ihre grossformatigen, aber kleinteiligen Bilder, die durch unzählige kleine Linien in unterschiedlichen Farben immer dichter und dichter werden. So entstehen gewebeartige oder pflanzliche, dynamische Strukturen, die durch ihre unzähligen Überlagerungen von Schichten neue Farbnuancen erzeugen und in undurchdringbare Tiefen zu führen scheinen.
So wie sie gerade skulptural gerne mit Gold arbeitet, war und ist es in ihren Bildern oft Rot, das dominiert. «Ich liebe starke Farben, die man nicht übersehen kann.» Deshalb auch reise sie gerne nach Ägypten. «Dort leuchten die Farben nochmals anders.» Aufgewachsen ist Esther Löffel in Bern, in einem Haus mit grossem, wildem Garten. In einem Geflecht, wie ihre Bilder es oft zeigen.

Immer in Bewegung
Esther Löffel ist ein Mensch in Bewegung. Sie scheint selten still zu sitzen, steht auch jetzt im Atelier immer mal wieder auf, um etwas von Nahem zu betrachten, etwas zu zeigen, zu bringen. Sie ist Winterschwimmerin, Mitglied im Kanuclub, bis vor kurzem ritt sie regelmässig. Und auch bei ihrer Arbeit ist sie immer in Bewegung, braucht eine Lockerheit in den Bewegungen, eine gute Haltung, einen Rhythmus.
Im Jahr 2000 im Atelier in Berlin habe sie mit der Linienmalerei begonnen, arbeitete mit immer differenzierteren Pinselstrichen. Immer vielfältiger wurde sie in dieser Technik, die in ihren Anfängen ganz spartanisch eingesetzt war. Esther Löffel selbst sagt: «Ich schreibe meine Bilder.»
Bestimmt drei Monate arbeite sie an einem einzigen Bild. Jeweils eine paar Stunden hochkonzentrierte Arbeit, dann braucht sie eine Pause – einen Spaziergang am See zum Beispiel. Den wird sie sich auch heute noch gönnen.

(Text: Jana Avanzini)