Ein Glas voller Wiener Moderne
Kunst & Baukultur
Die britische Künstlerin Bethan Huws (42) nimmt im Kunsthaus Zug den Dialog auf mit Werken der Sammlung Kamm: eine Begegnung voller Poesie und Überraschungen.
Zug – «Neu und ganz anders», sagt Matthias Haldemann, Direktor des Kunsthauses Zug, habe er die vertrauten Werke aus der Sammlung durch die Auswahl und Sicht der britischen Künstlerin Bethan Huws sehen gelernt. Die 1961 in Wales geborene, in Berlin und Paris lebende Künstlerin wählte aus der Sammlung Kamm Werke aus der Wiener Moderne, Design-Objekte und Entwurfszeichnungen von Josef Hoffmann und Koloman Moser, Gemälde von Klimt und Schiele, die Skulptur «Weibliche Kathedrale» von Fritz Wotruba, Zeichnungen von Max Ernst, Paul Klee und Fernand Léger.
Die Begegnungen über hundert Jahre hin, die sich aus der Konstellation von klassischen Epochenzeugen der Wiener Moderne und den zeitgenössischen Arbeiten von Bethan Huws ergeben, sind voller Poesie und Überraschungen. Zu den Überraschungen zählt zuvorderst eine kleine, kaum gesehene, beidseitig 1911 und 1913 von Max Ernst bemalte Leinwand, die eine Landschaft mit Bäumen skizziert und, kopfüber auf der Rückseite, ein späteres Bildnis eines jungen Mannes, möglicherweise des Künstlers selbst sehen lässt.
Vorbild und Nachbild
Eine weitere Überraschung ist die Neon-Arbeit «Large Glass» (Grosses Glas), die Bethan Huws für die Ausstellung geschaffen hat und die in der Sammlung Kamm bleiben wird. Wandhoch zeichnet die Arbeit, in leuchtenden, aus bemaltem Glas geformten stilisierten Linien den Umriss und die Binnenform eines kleinen blauen Glases von Josef Hoffmann nach.
Vorbild und Nachbild verbinden den Süd- mit dem Nordtrakt des Kunsthauses: Im Süden steht auf einem Tisch, von anderen Glasobjekten aus den Designwerkstätten der Wiener Moderne umgeben, das kleine Hoffmann-Glas unter dem Zeichen von Frühjahr und Sommer. Im Norden und Winter liegt unter dem Dachlicht die überdimensionierte Nachbildung eines Olivenschöpflöffels, eine handwerklich perfekte hölzerne Schnitz- und Drechslerarbeit schräg im Raum, an der Stirnwand leuchtet die monumentale Nachbildung des Hoffmann’schen Kelchglases.
Solche Verbindungen und Anklänge begegnen wieder und wieder in der Ausstellung. Bethan Huws hat sie unaufdringlich gesetzt. Eher schalkhaft weist sie darauf hin, dass es diese Bezüge gibt - das Spiel, das man entdecken kann oder auch nicht, gefällt ihr.
«Die Ausstellung ist ein Gang durch die Jahreszeiten», sagt sie. «Man wird schon erkennen, in welcher Jahreszeit man sich gerade befindet.» Zu Frühjahr und Sommer gehören gemalte Farbkreise, zarte Zeichnungen eines Raums, einer angedeuteten Landschaft, eines von zaghaft keimenden Pflanzen bewachsenen Gestells, das annähernd die Form aufnimmt, die ein gläserner Flaschenständer auf dem Tisch nebenan zeigt. Er ist eine Referenz auf Duchamps Flaschentrockner, eines seiner Readymades: Auf Duchamp bezieht sich Bethan Huws oft und gerne.
So lässt sie die täuschend natürliche Nachahmung eines Arms aus einer Nischenwand wachsen, stellt davor eine Frauenskulptur von Fritz Wotruba und bezieht sich auf Duchamps berühmte «Etant donnés» von 1946-66 mit der liegenden Frauenleiche.
Zwei mit dichtgrünem Laub leuchtende Landschaften von Richard Gerstl begleiten die Zeichnungen von Bethan Huws, in oranger Schrift prangt an der Wand ein Dialog mit dem Wortwitz über «Mars» und «chocolate bar», was einen Schokoladeriegel meint oder eine Bar, wo Schokolade ausgeschenkt wird.
Bethan Huws liebt das Spiel mit dem Gleichlaut und den Bedeutungsunterschieden, so wie sie den hintersinnigen Dialog mit dem Werk von Marcel Duchamp liebt. In einer Videoarbeit lässt sie das Gedicht «Zone» von Guillaume Apollinaire aus den «Alcools» zu Filmaufnahmen avancierter Tierfilmer rezitieren: Wasservögel ziehen übers Wasser, tauchen und fliegen auf, Sumpf- und Strandvögel stochern im Schlick.
Poetische Verästelungen
Eine zweite Videoarbeit trägt einen Duchamp-Titel: «Fountain» zeigt fliessende Brunnen in Rom, eine Vitrine daneben wartet mit leeren Gläsern und Flaschen auf die Füllung mit dem überfliessenden Wasser.
In Schriftkästen sind es Informationen, die die Künstlerin aufgreift und unterläuft. Sie setzt die Bewegung von Duchamps Akt, der eine Treppe hinuntersteigt, mit den Buchstaben des Titels um. Oder sie erklärt in einem anderen Schriftkasten, dass Wörter Readymades sind, nicht aber die Sprache.
In dieser Ausstellung wird das vielseitige und konzise Werk von Bethan Huws sichtbar mit seinen poetischen Verästelungen, seinen anschaulich gemachten Reflexionen. Die Sammlung und dieses Werk beleuchten einander gegenseitig - eine lohnende Begegnung in jedem Sinne. (Urs Bugmann)
HinweisKunsthaus Zug, Dorfstrasse 27. Bis 9. März. Di-Fr 12-18 Uhr, Sa/So 10-17 Uhr. 24./25. Dezember und 1. Januar geschlossen, 8./26./31. Dezember und 2. Januar 10-17 Uhr.