Hundert aufwühlende Minuten

Film & Multimedia

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Am 27. September 2001 erschoss ein Mann 14 Zuger Politiker und tötete sich selber. SRF zeigt dazu einen halbdokumentarischen Film.

  • Gespielte Szenen in spärlicher Einrichtung sorgen im Film für eine besondere Atmosphäre. (Bild SRF)
    Gespielte Szenen in spärlicher Einrichtung sorgen im Film für eine besondere Atmosphäre. (Bild SRF)
  • Grosseinsatz der Rettungskräfte: So präsentierte sich die Situation am Tag des Attentats beim Regierungsgebäude. (Bild Urs Flüeler/Keystone, 27. September 2001)
    Grosseinsatz der Rettungskräfte: So präsentierte sich die Situation am Tag des Attentats beim Regierungsgebäude. (Bild Urs Flüeler/Keystone, 27. September 2001)

Zug – Wir können uns oft nicht mal daran erinnern, wo wir vorgestern waren und was wir dort machten. An Daten festgezurrte Vorkommnisse verhelfen unserem Gedächtnis zu einer Leiter, die wiederum zur Ablage von «Vergangenem» führt. Ein solcher Fixpunkt ist das Zuger Attentat vom 27. September 2001. An diesem Tag erschoss ein 57-jähriger Mann im Regierungsgebäude 14 Politiker, bevor er sich selber tötete. Obwohl der Amoklauf mittlerweile 20 Jahre zurückliegt, bewegt dieser noch heute breite Schichten im Kanton Zug. Ein mit Spielszenen gespickter Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens aus der Reihe «Es geschah am ...» offenbart dies auf eindrückliche Art und Weise.

Nach der Vorpremiere für Angehörige und weitere Betroffene in der vergangenen Woche traten diese schweigend aus dem Zuger Kino Gotthard. Auch beim späteren Apéro unter freiem Himmel fiel kein lautes Wort. Lachen mochte auch niemand, zu aufwühlend war die 100 Minuten dauernde Dokumentation. Der Kanton Zug wächst zwar beständig, doch an seiner Kleinräumigkeit hat dies über die Jahre nichts verändert. Die Konsequenz daraus: Viele Zuger kennen über mehr oder weniger Ecken irgendeinen Politiker oder jemanden aus dessen Umfeld, der vom Attentat im Zuger Kantonsratssaal in irgendeiner Form betroffen war.

Ein Zuger hat die Attentat-Doku ruhig und sachlich bebildert

Rolf Elsener, der Produzent des SRF-Dokfilms, kennt seinen Tagesablauf am 27. September 2001 noch detailliert. Er arbeitete damals für die «Luzerner Zeitung» und sprang bei der Attentatsberichterstattung ein, weil drei Zuger Medienleute unter den Betroffenen waren. Elsener schildert, dass er und sein Team bei der Suche nach Zeitzeugen für den Film keinen Druck aufgesetzt hätten. Ein Nein habe er immer akzeptiert.

Die Nähe zum Schauplatz, Elsener wohnt immer noch im Kanton Zug, hat der SRF-Produktion in keiner Weise geschadet. Vielmehr hat sie Türen geöffnet. Elsener kennt auf die Lokalitäten in der Stadt Zug. Der mit Spielszenen ergänzten Dokumentation verleihen die Macher dadurch Demut, dass der aktuelle Kantonsratssaal im Zuger Regierungsgebäude im Studio trotz viel Symbolik – ein Kreuz durfte nicht fehlen – mit einer spärlichen Möblierung nachgebaut wurde. Zudem verzichtet das Schweizer Fernsehen bei dieser Produktion auf eine schneidende, oft tiefe Stimme aus dem Hintergrund, die solchen Dokudramen auf anderen Kanälen ein militärisches Gehabe verpasst. Nach der Produktionsphase sagte Rolf Elsener: «Ich habe Details zum Zuger Attentat erfahren, die ich nicht kannte.»

Die aktuelle Produktion von SRF zum 27. September 2001 hat rund 400000 Franken gekostet. Bei diesem Budget musste Rolf Elsener den Job des Location Managers gleich selber übernehmen. Dabei halfen ihm seine Ortskenntnisse. Im Gebäude, in dem sich einst das Baudepartement der Stadt Zug befand, spielen sich die am besten gespielten Szenen von «Es geschah am... Zuger Attentat» ab: Eine lokale Radiojournalistin kommt erst spät im Kantonsratssaal an. Weil sie bei den Presseplätzen keine freie Steckdose findet, weicht sie in ein Büro im Dach des Regierungsgebäudes aus. Von dort kriegt sie die Schiesserei akustisch mit. Es dauert aber sehr lange, bis sie den Ernst der Lage überhaupt erst begreift.

Die Zeitzeugen legen unaufgeregt und prägnant ihre Sicht dar

Der Produzent Rolf Elsener kann auch punkten, indem er mit Regisseur Daniel von Aarburg einen Mann an seiner Seite hat, der die Zeitzeugen und die Zeitzeugin unaufgeregt ins Bild rückt. Es gibt keine unnötigen Kamerafahrten, die bei solchen Produktionen oft für Hektik sorgen. Das SRF-Team verzichtet auch auf nervige Gesichtstotalen der Interviewten. Die beigezogenen Betroffenen dürfen zudem ausreden. All dies verleiht ihren Aussagen mehr Gewicht und sorgt beim Zuschauer für Ruhe. Der ehemalige Walchwiler Kantonsrat Moritz Schmid, der vom Attentäter an der linken Hand getroffen wurde, hält diese während des Interviews und sagt später: «Mein verletzter Arm tut mir heute noch manchmal weh.»

Für gewichtige Äusserungen sorgt auch der damalige Standesweibel Paul Langenegger. Er habe nach dem Attentat «funktioniert». In einer Einstellung spricht der Baarer über die 15. Kerze beim Gedenkgottesdienst in der St.-Michaels-Kirche in der Stadt Zug. Ursprünglich wollten kirchliche Würdenträger nicht nur für die 14 toten Politiker eine Kerze anzünden. Eine solche sollte es auch für den Attentäter geben. Die Argumentation der Kirchenleute: Im Tode seien alle vor Gott gleich.

Langenegger kann diese Haltung ganz und gar nicht teilen. Er quittiert sie im Film mit folgender Aussage: «Das hätte wohl einen Tumult gegeben.» Wie im Film zu erfahren ist, war die Sache mit der 15. Kerze ein Hochseilakt. Sie wäre physisch vorhanden gewesen. Den Machern der SRF-Dokumentation ist auch zugutezuhalten, dass sie sich bei der Zahl der Interviewten zurückgehalten haben. Das ergibt für die Ausgewählten mehr Tiefgang und Gewicht bei der Schilderung ihrer Attentatsgeschichte.

Sehenswerte Arbeit, welche die verfügbaren Mittel gut einsetzt

Der Film zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass er den roten Faden nie verliert. Es ist auch Bildmaterial im Attentatsumfeld vor 20 Jahren bewusst eingestreut. Unverständlich ist nur gerade eine Szene, in welcher der Attentäter in den Fokus gerückt wird. Das ist unnötig dramatisierend und wäre nicht notwendig gewesen. Der Rest ist, auch mit einer Distanz von 20 Jahren gesehen, immer noch bewegend. Fürs Popcorn-Kino ist die SRF-Dokumentation auf keinen Fall geeignet. Das Zuger Attentat lässt einen noch heute nicht kalt. (Marco Morosoli)

«Es geschah am... Zuger Attentat»
Der Film ist ab heute in Zuger Kinos zu sehen. Ab 9. September 2021 ist er auf Play Suisse verfügbar. Das Schweizer Fernsehen strahlt ihn am 12. September ab 20.10 Uhr aus.