König am Zugersee: Himalaya–Cham retour

Brauchtum & Geschichte

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Er kam mehrmals in den Kanton Zug, weil er mit dem Schlossherrn von St. Andreas in Cham befreundet war: Der König von Bhutan. Die Beziehung zur Schweiz ging so weit, dass der König die Schweiz als seine zweite Heimat bezeichnete.

Zug – Im fernen Himalaja-Staat Bhutan war eine der ersten Limousinen des Landes ein Volvo 164E, der dem König gehörte. Interessanterweise führt die Geschichte dieses Autos nach Cham und Baar im Kanton Zug. Obwohl Bhutan als das verschlossenste Land der Welt gilt und mehr als 8000 Kilometer von der Schweiz entfernt liegt.

Der Besitzer des Volvos war nämlich Jigme Dorji Wangchuck (1929–1972), der König von Bhutan. Seine Frau Ashi Kesang Choden (*1930) hatte in jungen Jahren in London bei einem Sprachaufenthalt eine junge Schweizerin kennen gelernt, Lisina von Schulthess vom Schloss St.Andreas in Cham. Hier beginnen sich die Geschichten zwischen Bhutan und der Schweiz zu verzahnen. Lange, bevor der Volvo ins Spiel kam.

Jigme Dorij Wangchuck, der gerade mal 23 Jahre junge Maharadscha, wird 1952 zum König Bhutan gekrönt. Sein Beiname Druk Gyalpo bedeutet «der Furchtlose» und «der Machtvolle». So modernisiert der König in der Folge – furchtlos und machtvoll – das Land zwischen China und Indien, er kann im Alleingang alle seine Beamten und Berater ernennen. So führt der König das «Land des Donnerdrachen», wie der abgeschottete Staat damals auch heisst, behutsam und Schritt für Schritt vom Mittelalter in die Gegenwart.

Schweizer-Käse-Know-how für Bhutan

Dabei unterstützt ihn der Chamer Fritz von Schulthess (1902–1991), der Vater von Lisina, der Freundin der Königin Ashi Kesang Choden. Der Chamer Industrielle lässt seine Beziehungen spielen und gründet in der Schweiz die Stiftung «Pro Bhutan». Auch sorgt von Schulthess für die Durchführung von vielen karitativen und wirtschaftlichen Projekten in Bhutan. So schickt die Eidgenossenschaft Schweizer Landwirtschaftsexperten dorthin, um die Tierseuchen zu bekämpfen oder den Pflanzenanbau zu verbessern. Des Weiteren kommen ein Schweizer Radioexperte und ein Schweizer Käser in das einsame Bergland, um die Schweizer Art der Käseherstellung vorzuzeigen. Denn Bhutan weist trotz der grossen Distanz landschaftlich erstaunliche Ähnlichkeiten mit der Schweiz auf, sodass König Jigme Dorij Wangchuck die Schweiz auch als seine zweite Heimat bezeichnet. Bhutan ist etwas grösser als die Schweiz, reicht von 40 bis 7570 Meter ü. M., hat damals aber nur 750000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Als der König von Bhutan im November 1963 einen schweren Herzinfarkt erleidet, ist sogleich klar, dass er dringend eine ärztliche Behandlung benötigt, welche die Spitäler in seinem Land nicht bieten können. So fliegt er mit seiner Frau, den vier Kindern und der Dienerschaft in die Schweiz. Die immerhin 15-köpfige Gruppe kann freundlicherweise bei Monica und Fritz von Schulthess auf Schloss St.Andreas in Cham wohnen.

Der König unterzieht sich mehreren Operationen in Schweizer Spezialkliniken, während seine Familie auf dem Schloss in Cham am Zugersee weilt. Die Königsfamilie lebt während diesen vier Monaten sehr zurückgezogen, der König und die Königin sind kaum zu sehen. Das «Zuger Volksblatt» berichtet darüber: «Die wenigsten Einwohner des Zuger Dorfes wissen, dass in ihrer Gemeinde ein König lebt. Nur selten zeigen sich die Gäste des Schlosses in den langen Gewändern ihrer Heimat in den Strassen des Dorfes. Nicht einmal die Namen der Gäste sind der Einwohnerkontrolle von Cham bekannt.»

Doch der Aufenthalt findet ein abruptes Ende. Im April 1964 muss der König Hals über Kopf abreisen. Denn in seiner Heimat fiel der Premierminister einem politisch motivierten Mord zum Opfer, Offiziere und Beamte streben nach der Macht, auch weil sich Jigme in der fernen Schweiz erholt. Deshalb will der rekonvaleszente König möglichst schnell zurück nach Bhutan, um einem Staatsstreich zuvorzukommen. Kurz vor Abreise bedankt sich Jigme Dorij Wangchuck anlässlich einer eilig anberaumten Pressekonferenz bei der Schweiz für die freundliche Aufnahme und betont, «nur die besten und allerschönsten Erinnerungen mit nach Hause zu nehmen: Unser Aufenthalt in der Schweiz war sehr glücklich. Wir sind tief gerührt über die Gastfreundschaft und Herzlichkeit, die uns entgegengebracht wurde». Doch mit dem Volvo ist noch nichts.

Bhutanesische Geschenke für die Schweiz

Auch 1968 kommt der König von Bhutan wieder in der Schweiz, diesmal mit kostbaren Geschenken. Der Zürcher Zoo erhält einen Pandabären und einen Elefanten; das Rietberg-Museum bekommt ein Weihrauchgefäss, das mindestens 200 Jahre alt ist und aus einem abgebrannten Kloster in Bhutan stammt. Zürichs Stadtpräsident Sigmund Widmer nimmt die Geschenke mit grossem Dank entgegen. Beim Pressegespräch ist der König ein «äusserst sympathischer Staatsmann und Landesvater, der sich der beschränkten Möglichkeiten seines kleinen Landes in liebenswürdiger Bescheidenheit bewusst ist und mit beiden Füssen auf der kargen Erde seiner Heimat steht».

Trotz seiner bescheidenen Art hat Jigme Dorij Wangchuck ein Laster, das sich bei seinen verschiedenen Aufenthalten in der Schweiz zeigt: Er zockt liebend gerne in Spielcasinos, worüber es einige Anekdoten gibt. In Divonne bei Genf will ihn der Portier nicht eintreten lassen, weil er ein edles bhutanisches Gewand, aber keine Krawatte trägt. Erst nach Rücksprache mit dem Direktor darf der König an den Spieltisch und verliert ziemlich viel Geld.

Ein andermal fährt er mit der Eisenbahn von Cham nach Lugano und von dort per Motorboot nach Campione. Der König aus Bhutan spielt bis am Schluss, doch verliert er all sein Geld, das er mitgenommen hat. Zurück in Lugano sieht er nur noch die rote Laterne des letzten Wagens, für ein Hotel hat er kein Geld mehr. Also legt sich der König auf eine Sitzbank im Bahnhof Lu­gano, schläft dort, bis der erste Morgenzug Richtung Gotthard fährt. Ein weiteres Mal spielt Wangchuck in Evian am Genfersee. Dort erzielt er in kurzer Zeit grosse Gewinne, sodass ihn Mo­nica von Schulthess aus Cham auffordert, sofort aufzuhören und den Gewinn nach Hause zu nehmen. Doch der König will unbedingt weiterspielen; also packt Monica kurzerhand die Hälfte des gewonnenen Geldes und wartet auf den hohen Gast im Hotel. Dieser kommt erst, als er die zweite Hälfte verspielt hat – zum Glück hat Monica von Schulthess zuvor die erste Hälfte gesichert.

Beim nächsten Besuch, nämlich im Jahre 1971, geht es endlich um den erwähnten Volvo. Damals ist der König mit einem rund 20-köpfigen Gefolge aus freundschaftlichen Gründen auf Schloss St.Andreas zu Gast. Jigme Dorij Wangchuck sieht den dunkelgrünen Volvo 164E des Schlossherrn Fritz von Schulthess, er betrachtet die hellbeigen Lederpolster und lässt den 6-Zylinder-Einspritzmotor mit den 172 PS schnurren – er ist vom Auto begeistert! Keine Stunde später steht der König von Bhutan mit fünf Landsleuten in der Volvo-Garage von Franz Palkoska in Baar. Nach einer höflichen Begrüssungszeremonie geht es rasch um technische Details und um die Autowerkstatt, die den König sehr interessiert. Nach weiteren 60 Minuten beschliesst der König, dass er unbedingt das gleiche Auto wie Fritz von Schulthess haben will.

Die königliche Autobestellung geht von Baar zum Schweizer Generalimporteur und von dort ins Volvo-Werk nach Göteborg. Aus Prestigegründen ist die Volvo-Zentrale bereit, den Transport von Schweden nach Bhutan selber zu bezahlen, ohne zu ahnen, wie umständlich das werden könnte. Per Schiff geht der Volvo nach Kalkutta, dann nach Kathmandu und von dort mit einem russischen Helikopter nach Thimphu, der Hauptstadt Bhutans. So ist der Volvo ein schlechtes Geschäft, weil der Einzeltransport mehr kostet, als der Verkauf einbringt. Aber Cham und Baar sorgen für Autogeschichte in Bhutan. (Bild Michael van Orsouw)

Hinweis
Der Zuger Autor und Historiker Dr. phil. Michael van Orsouw hat das Buch «Blaues Blut. Royale Geschichten aus der Schweiz» verfasst. Für eine Serie der «Zuger Zeitung» hat er nun Geschichten mit Zuger Bezügen herausgearbeitet, die im Buch nicht oder nur am Rande vorkommen. Michael van Orsouw hat seine royale Serie der «Zuger Zeitung» als Buch herausgegeben: «Königliches Zug» ist für Fr. 25.– bei info@hellerdruck.ch erhältlich.