Ein wilder, musikalischer Cocktail

Musik

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Anlässlich des vierten Konzertes der Sommerklänge 2020 feierte eine neu zusammengestellte Akkordeon-Band um Patricia Draeger und Sergej Simbirev ihre glückliche Premiere.

  • Das vierte Sommerklänge-Konzert stiess auf reges Interesse. (Bild Heinz Morf)
    Das vierte Sommerklänge-Konzert stiess auf reges Interesse. (Bild Heinz Morf)

Zug – Sie malen Bilder aus Klängen. Bilder von Weltstädten und Taigasteppen, von spanischem Tanz und orientalischem Traum, von schlummernden Kindern und ausschweifenden Gelagen. Sie malen mit Klangflächen, Volksliedmelodien, Jazz-Dissonanzen und komplexesten Balkanrhythmen. Ihre Palette enthält höchste Virtuosität, tiefes Gefühl und eine überschäumende Spiellust.

«Akkordeoncocktail» nennt sich der vierte Konzertabend der Sommerklänge, welcher am Sonntagabend im Zephyr Hangar, dem neuen Fabrikations­gebäude der V-Zug, vor zahlreich herbeigeströmtem Publikum stattfindet. Patricia Draeger aus der bekannten Zuger Musikerfamilie und der in der Ukraine geborene Sergej Simbirev sind seit mehr als zwanzig Jahren ein eingespieltes Akkordeonduo, musikalisch und als Paar. Dieses Jahr bringen sie mit Faruk Muslijevic aus Serbien einen dritten Akkordeonisten mit auf die Bühne, dessen Spezialität Balkan-Jazz-Fusionen sind. Der Walliser Kontrabassist André Pousaz steuert «die schöne warme Tiefe» seines Kontrabasses bei, wie Draeger erklärt. Und Sämi Baur aus Bern sitzt an den Drums. Zum ersten Mal in dieser Formation, haben die fünf Musiker ihre unterschiedlichen Musikstile und Improvisationstalente zusammengeworfen und, nebst ein paar Eigenkompositionen, die meisten Stücke gemeinsam beim Proben entwickelt – quasi als «Instantcomposing und Instantarranging», so Draeger im Programmheft. Sie ist die quirlige Chefin der Band und macht humorvoll die Ansagen zum «wilden Cocktail».

Abwechslungsreiche Interpretationen

Ein fulminanter «New York Tango» von Richard Galliano bildet den Auftakt mit stossend-stampfendem Puls. Danach aber beginnt die Perkussion mit einem sanften, gleichsam aus Tropfen und Hall zusammengesetzten Mantra, in welches Simbirev ein wunderschön melancholisches «Gebet» einflicht – aus der «Suite Gothique» des im 19. Jahrhundert geborenen Léon Boëllmann. Im spanischen Tanz aus Manuel de Fallas «La vida breve» imitiert Baur das Kastagnettenspiel gleichzeitig verhalten und temperamentvoll. Dem russischen Sehnsuchtslied «Oh du, du weite Steppe» folgt ein lüpfiger russischer Tanz «Ach du breite Strasse» – und Patricia Draeger hüpft dabei auf ihrem Stuhl fast mit.

«Mir träumte eines Nachts, eine ägyptische Königin liege neben mir im Bett. Als ich erwachte, stand ich auf und schrieb die Basslinie zum folgenden Stück nieder», scherzt Muslijevic. Und so legt André Pousaz’ Kontrabass den rhythmischen Boden zu «Egyptian Queen», auf welchem die Akkordeonisten solieren können, als sässen sie gerade in Kairo am Nilufer. Auch im Klezmer-Stück «After The Three Meals» brummt der Bass vor sich hin und zieht die Töne wie Kaugummi auseinander, bevor die anderen einstimmen in das ironisch-laszive Spiel mit der Müdigkeit eines übervollen Magens. Der jiddische Tanz «Der Heyser Bulgar» weckt dann aber alle wieder auf und lässt so manchen Zuschauerfuss ins Wippen geraten.

Das zärtlichste aller Wiegenlieder

Nach der Pause geht die musikalische Weltreise weiter. Natürlich fehlt Astor Piazzolla nicht, und die fünf Musiker geben ihre eigene Version von «Oblivion» und «Libertango» zum Besten, sodass man die Stücke nochmals wie neu hört. Aus Finnland aber kommt das zärtlichste aller Wiegenlieder, und Simbirev holt dafür seine kleine Akkordina hervor, die er fast wie eine Flöte blasen muss. Draeger begleitet ihn, die beiden schauen sich an, während die Melodie Wellen in die Luft legt, Traumbilder evoziert. Am Ende kündigt Muslijevic seinen «Balkan-Groove» an: «Im Siebenachtel-, im Elfachtel-, im Zehnachteltakt – bitte, tanzen Sie nicht, sonst brechen Sie sich das Bein», warnt er, und los geht’s, rasant und virtuos. Nach zwei Zugaben lässt das Publikum die Musiker heimgehen. (Dorothea Bitterli)