Geschichten aus dem Leben

Literatur & Gesellschaft

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Vom 11. bis zum 13. Juni fanden in der ganzen Schweiz Erzählcafés statt. Sie boten die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen zu treffen, auszutauschen und ins Gespräch zu kommen. In Zug gab es gleich drei davon.

Zug – «Schön, dass du da bist!» Dieser Satz prangt zuoberst auf dem Flipchart, den Silja Flury, Coach für Frauen, am Eingang der Frauenzentrale Zug aufgestellt hat. Dann steht sie selber da, gross, mit warmer Stimme und lächelnden Augen über der obligaten Maske, und heisst die Frauen willkommen, die sich nach und nach einfinden. Sie bietet an diesem Samstagvormittag eines der drei Erzählcafés an, die am Wochenende in Zug organisiert wurden. Schweizweit fanden deren über 70 statt, für alle Menschen jeden Geschlechts und Alter.

Das Netzwerk Erzählcafé wurde 2015 vom Migros-Kulturprozent und der Fachhochschule Nordwestschweiz ins Leben gerufen und fördert seitdem die Entstehung und Etablierung sorgsam moderierter Erzählcafés in der Schweiz. Es richtet sich an Menschen, welche die Kraft des Geschichtenerzählens schätzen und den Austausch auch über Kulturgrenzen hinweg suchen. Erzählt wird aus dem eigenen Leben. So soll biografisches Erzählen gleichsam «von unten her» den gesellschaftlichen Zusammenhang stärken.

Denn: «Zuhören ist Pflicht! Erzählen ist freiwillig.» Ein paar «Hausregeln» werden von Silja Flury gleich zu Beginn vorgestellt: Gegenseitige Wertschätzung, das Vermeiden von Diskussionen, respektvolle Gemeinschaft und das Zulassen von Gefühlen, seien sie heiter oder traurig, gehören wesentlich dazu. In diesem sicheren Rahmen beginnen die sechs Frauen zu berichten. Eine um die andere. Sie hören einander gut zu: Eine Geschichte wird mit der nächsten verknüpft, schnell ergibt sich ein Erzählfluss.

Erzählerinnen allen Alters

Das Motto lautet «Lebensgeschichten». Die jüngste Frau ist 25, die älteste über 70 Jahre alt. Zwei sind verwandt, Mutter und Tochter. Sonja* berichtet, auf welch verschlungenen Wegen es sie in die Stadt Zug verschlagen hat. Die ältere, sportliche Ruth*– sie liebt und besteigt leidenschaftlich die Berge – kommt gleich zu Beginn auf die Krankheit und den Tod ihres Mannes zu sprechen, erzählt, wie das Kümmern um Hunde ihrem Leben neuen Inhalt gab. Auch andere im Kreis haben Schweres erlebt; Humor als wichtiger Lebenshelfer taucht verschiedentlich auf. Myrta* bringt dies in Zusammenhang mit Corona, und stellt die Frage: «Was kommt noch?» Alle nicken, als sie sagt: «Das Leben im Jetzt ist wichtiger geworden. Die Zeit ist nicht endlos.»

Von der Natur, Konflikten und Sport

Corina*, ausgebildete Schauspielerin, arbeitet mit Arbeitslosen und berichtet, wie wichtig Reden und Mitteilen in schwierigen Zeiten seien. Die Einsamkeit als menschliche Grunderfahrung wird nicht verschwiegen. Immer wieder ist es offensichtlich die Natur, der Wald, Berge und Himmel, die den Blick in solchen Momenten weiten.

Die junge Maria* berichtet von sozialen Konflikten im Beruf, von der eigenen inneren Unruhe. Sie und Corina bringen alle zum Lachen, als sie ihren Netflix-Konsum vergleichen und zugeben, dass er, oft voller «Trash», nur da sei, um die leeren Pausen zu füllen. Clarissa aber ist früher geklettert, hat Karate und damit das Kämpfen gelernt und stellt fest, dass jede Frau die Wahl habe, Opfer zu sein oder nicht.

Und dann spricht Sonja vom Tauchen im Ozean – als «Gast im Meer». Von der Stille mit sich selbst, von der gestischen Kommunikation unter Wasser. Und Myrta bringt erneut die Natur ins Spiel, das Insektenhotel im Naturgarten, und erinnert daran, wie eminent wichtig es sei, die Artenvielfalt auch im Kleinen zu beschützen.

Und so ist es an diesem Samstagmorgen, als ob in den hellen und dunklen Geschichten zwischen Tod und Biodiversität die inneren Wege des Labyrinths, das sich Menschenleben nennt, sichtbar würden. (Dorotea Bitterli) 

Hinweis
*Die Vornamen der Teilnehmenden wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert. Weitere Infos über das neue Format Erzählcafé: www.netzwerk-erzaehlcafe.ch.