Zugs Orgeln: Modern und geschätzt

Musik

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Der «Königin der Instrumente» soll mehr Beachtung zuteilwerden. Das ist eines der Ziele des Orgeldokumentationszentrums in Luzern. Die fast 80 Orgeln des Kantons Zug sind dort sauber inventarisiert.

  • In der Pfarrkirche St.Jakob in Cham ist der Orgelprospekt historisch, das Instrument dahinter ist modern. Es stammt von 1994. (Bild Maria Schmid)
    In der Pfarrkirche St.Jakob in Cham ist der Orgelprospekt historisch, das Instrument dahinter ist modern. Es stammt von 1994. (Bild Maria Schmid)

Zug – Seit 2008 rückt die deutsche ­Initiative «Instrument des Jahres» Musikinstrumente ins Zentrum, welche nach Meinung der Gründer mehr Beachtung und Wertschätzung verdienen. Das aktuelle Jahr 2021 steht ganz im Zeichen der Orgel. Anlass genug, ausgehend von dieser Initiative das Orgelinventar im Kanton Zug für einmal etwas genauer zu betrachten. Es kann sich wahrlich sehen lassen: Es sind nach aktuellem Stand 78 Instrumente, welche hauptsächlich in Zuger Kirchen und Kapellen installiert sind – darunter sind auch vereinzelte in Privat- oder Museumsbesitz.

Dass sie alle bis ins Detail dokumentiert und sauber inventarisiert sind, ist zum einen dem Zuger Kunsthistoriker Josef Grünenfelder zu verdanken, welcher ab 1988 über vier Jahre hinweg die Zuger Orgeln erfasst und in einer Publikation ausführlich beschrieben hat. Zum anderen hat das seit 2007 existierende Orgeldokumentationszentrum (ODZ) der Hochschule Luzern diesen Wissensschatz weitergeführt und ausgebaut. Geleitet wird das ODZ vom Musiker Marco Brandazza (*1960). Der gebürtige Mailänder war 18 Jahre lang Organist der Zuger Pfarrei St.Michael und kennt die Orgeln im Kanton bestens. Seine Frau Eva ist ebenfalls Organistin und arbeitet an seiner Seite bei den Forschungsarbeiten für das ODZ mit.

«Die Orgel als Instrument ist lange Zeit insofern stiefmütterlich behandelt worden, als man sich eher ‹oberflächlich› mit ihr beschäftigt hat», weiss Marco Brandazza. Will heissen, tiefere Kenntnisse über die Eigenheiten der einzelnen Instrumente, von denen jedes in seiner Machart und Komplexität ganz unterschiedlich ist, waren bisher allgemein nicht so verbreitet. «Darum wollen wir jedes Instrument in seiner Ganzheit und so genau wie möglich erfassen.» Für ihre Orgelforschung im Kanton Zug kam somit die solide und wertvolle Grundlagenarbeit Josef Grünenfelders sehr gelegen.

Datenbank muss laufend aktualisiert werden

Allerdings ist so eine Dokumentierung nie fertig, sondern ein laufender Prozess», sagt Brandazza. «Instrumente werden schliesslich verwendet, werden daher irgendwann restauriert, repariert, vielleicht erweitert oder gar ersetzt. All dies muss in den Datenbanken nacherfasst werden.» Daher seien für seine Arbeit unter anderem die Angaben der zuständigen Orgelbaufirmen substanziell.

Und dann gibt es auch noch die besonderen Zufälle, welche Wichtiges zu Tage bringen, so wie im Falle der ersten Orgel in der Kirche St.Michael, welche anno 1595 installiert worden ist. Marco Brandazza: «Uns ist im Archiv der Solothurner Ursenkathedrale unverhofft ein Protokoll in die Hände gefallen, in dem zu lesen war, dass der Orgelbauer Hans Muderer aus Freiburg im Breisgau die Orgel von St.Michael gebaut hatte.» Solches ist ungemein wertvoll für die Forschungsarbeit des ODZ.

Ersetzen statt erhalten

Marco Brandazzas Antwort auf die Frage, wo sich im Kanton Zug besonders wertvolle, historisch bedeutende Instrumente befinden, klingt zunächst ernüchternd. Kunsthistorisch kostbare Exemplare aus alter Zeit existieren im Kanton Zug kaum, wie er sagt. Die meisten alten Instrumente seien spätestens im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs des Kantons verschwunden. «Wenn irgendwo viel Geld vorhanden ist, ist das keine gute Voraussetzung für Kirchenorgeln», sagt Brandazza. «Denn dann ersetzt man alte Instrumente lieber mit neuen, anstatt sie zu restaurieren.»

Das einzige und somit historisch kostbarste Orgelrelikt des Kantons aus alter Zeit findet sich im Bestand des Museums Burg Zug: Es handelt sich um eine Tragorgel von 1755 aus der kurz vor der Jahrhundertwende abgebrochenen Michaelskirche. Es ist ein Glücksfall, dass sie erhalten ist, «denn sie wurde 1894 an einen Sammler aus Luzern verkauft», weiss Marco Brandazza. Die Orgel konnte von der Stadt Zug in den 1980er-Jahren zurückerworben werden. Die älteste noch in Verwendung stehende Orgel im Kanton Zug – 1910 gebaut – befindet sich in der Kollegiumskapelle St.Michael. Die zweitälteste ist von 1926 und steht in der Pfarrkirche von Walchwil. Ein Blick auf die öffentliche Datenbank des ODZ zeigt, dass der Grossteil der Zuger Orgeln in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts neu erstellt worden ist. «In einzelnen Fällen wie etwa der Kirche St.Oswald in Zug oder in der Pfarrkirche St.Jakob in Cham hat sich der barocke Orgelprospekt im Original erhalten, womit von aussen nicht erkennbar ist, dass sich dahinter ein modernes Instrument verbirgt», sagt Marco Brandazza.

«Spitzenprodukte» der Bossarts

Auch wenn der Kanton Zug nicht mit einem aus historischer Sicht besonders wertvollen Instrumenteninventar glänzen kann, so ist er in der Geschichte des Orgelbaus ein für die Schweiz umso bedeutenderer Schauplatz gewesen. Dies mit der einstigen Orgelbaufirma Bossart, deren erster nachgewiesener Orgelbauer der 1665 in Baar geborene Joseph Bossart gewesen war. Die Instrumente der Baarer Firma galten seinerzeit als Spitzenprodukte und waren in den bedeutendsten Kirchengebäuden der Schweiz wie auch im benachbarten Ausland anzutreffen. Mit dem Ableben des letzten Bossart-Sprosses anno 1853 endete die Geschichte des Unternehmens. Dass im Kanton Zug vom physischen Erbe der Bossarts praktisch nichts mehr vorhanden ist, bedauert Marco Brandazza. «Dafür stehen hier einige moderne Instrumente, die wegen ihrer Ton- und Spielqualität über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt und bei namhaften Organistinnen und Organisten hochgeschätzt sind», sagt der Fachmann und nennt als Beispiele die Goll-Orgel in der reformierten Kirche von Zug oder die Metzler-Orgel in der Marienkirche von Unterägeri wie auch die Mathis-Orgel in der neuen Pfarrkirche ebenda.

«Es ist vom historischen Orgel-Erbe sehr viel verloren gegangen, nicht nur in Zug, sondern landesweit», zieht Marco Brandazza Fazit, der erst spät zur Orgelforschung gekommen ist. Als studierter Geologe und Paläontologe hatte er mit Musik zunächst nämlich wenig zu tun. Nach seinem Umzug in die Schweiz in den 1980er-Jahren studierte er Kirchenmusik in Luzern und schloss mit Schwerpunkt Chorleitung und Orgel ab. Seither widmet er sich mit grosser Passion der Orgelforschung und hat das ODZ gemeinsam mit seiner Frau zum Schweizer Kompetenzzentrum auf diesem Gebiet ausgebaut. «Wir arbeiten darauf hin, irgendwann einmal sämtliche Orgeln der Schweiz erfasst zu haben», nennt Brandazza das Ziel seines Projekts, dessen Datenbank bisher die Orgeln der Kantone Zug, Schwyz, Luzern und Uri umfasst. (Andreas Faessler)

Hinweis
Auf der Seite des Orgeldokumentationszentrums der Hochschule Luzern ist die gesamte Datenbank einsehbar: www.orgeldokumentationszentrum.ch.