Baar hat bald einen Elefanten

Kunst & Baukultur, Dies & Das, Literatur & Gesellschaft

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Die Pandemie killt die Kultur? Stimmt nur bedingt. Derzeit werden in Baar gleich zwei Angebote geschaffen. Sie wollen mit gewichtigen Fragen und elefantösen Ideen der Bevölkerung einen Dienst leisten.

  • Der Elefant in Rohform. (Bild: Nora Nussbaumer)
    Der Elefant in Rohform. (Bild: Nora Nussbaumer)
  • Die Kunstkabine und ihre Erschafferinnen: Die Baarer Kulturbeauftragte Fabienne Mathis (Mitte), Laura Hürlimann (links) und Sam Heller (rechts) von der Kunstpause. (Bild: Nora Nussbaumer)
    Die Kunstkabine und ihre Erschafferinnen: Die Baarer Kulturbeauftragte Fabienne Mathis (Mitte), Laura Hürlimann (links) und Sam Heller (rechts) von der Kunstpause. (Bild: Nora Nussbaumer)
Baar – Dieser Text ist in der Aprilausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Etwas Wuchtiges kommt auf Baar zu. Ein Grossprojekt, gewichtig, pompös, mit viel Tröröö. Das jedenfalls sagen die zehn Engagierten, die im vergangenen Dezember den «Elefanten» angekündigt haben. Das Team, das primär aus ehemaligen Pfadfindern besteht, plant mitten im Dorf einen gemütlichen, unkomplizierten Treffpunkt, wo zapplige Kinder genauso Platz finden sollen wie steppende Bären. Besonders daran: Geld verdienen will der Verein mit dem Betrieb des Treffpunkts nicht.
Wir treffen Patrizia Willi und ihren Partner «Ares», wie Philip Büttiker auch nach Beendigung seiner Pfadikarriere immer noch genannt wird, ein halbes Jahr, bevor das Lokal eröffnet werden soll.

Zeit, etwas anzupacken
«In Baar gibt es kein Angebot für unsere Generation», führt der 37-Jährige aus. «Es nützt jedoch nichts, nur zu motzen. Als wir erfahren hatten, dass das ehemalige Lokal der Confiserie Fürst leer steht, haben wir deshalb beschlossen, diese einmalige Chance zu packen.» Das markante Grosshaus, das direkt an der noch zünftig befahrenen Dorfstrasse steht, gehört den Gebrüdern Andreas und Michael Landis. «Wir haben uns im Sommer 2020 für das Lokal beworben, unser Konzept vorgestellt und uns letztlich damit durchgesetzt», so Büttiker, der beim Verein fürs Marketing und Corporate Design verantwortlich ist. Ein Vorteil des Teams: Es ist bei weitem nicht das erste Projekt, das die Ex-Pfader gemeinsam durchziehen. Sie kennen sich bestens und bringen zudem unterschiedliche berufliche Hintergründe mit, die ihnen nicht nur beim 
Umbau und bei der Finanzierung, sondern auch beim Planen von Gastroangebot und Kultur­anlässen zugutekommen.

10 Prozent mal zehn Leute
«Bei zehn Leuten ist es dennoch nicht immer ganz einfach, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Jeder bringt seine Ideen und Vorstellungen mit. Wenn wir alles umsetzen, haben wir 
irgendwann einen Riesenelefanten», sagt die Kommunikationsverantwortliche des Vereins.
Etwa 10 Prozent Arbeitszeit wendet jedes Mitglied für den Elefanten auf, dies notabene, ohne dafür entlöhnt zu werden. «Mit der 100-Prozent-Stelle, die daraus resultiert, kann man schon einiges erreichen», sagt Büttiker. «Abgesehen davon wendet jeder Einzelne wohl mehr Zeit auf.» Auch später, wenn der Elefant seine Tore geöffnet hat, sollen die 10 Prozent beibehalten werden. «Obwohl für uns klar ist, dass wir für den Betrieb eine Geschäftsführerin oder einen Geschäftsführer anstellen werden. Das Lokal soll professionell geführt werden», sagt Willi. Es ist ein äusserst aufwendiges Projekt, das sich die Truppe angelacht hat. Bewusst sei das allen. «Entsprechend wichtig ist es, dass unsere Power langfristig reicht. Für einige von uns war es daher ein Abwägen, ob sie mitmachen wollen», sagt Willi. Nicht zuletzt, da die meisten Beteiligten Kinder haben. «Letztlich waren jedoch alle überzeugt, dass es Zeit ist, wieder einmal etwas anzureissen.»

Im Bauch des Biests
Sprechen wir über die Eingeweide des Elefanten. Was soll auf den 80 Quadratmetern dereinst passieren? «Die Inneneinrichtung des Lokals wird nicht nur einzigartig und charmant, sie soll auch modular aufgebaut sein. Denn für uns ist klar, dass viel Verschiedenes Platz haben soll. Familien mit Kindern sollen hier tagsüber Zeit verbringen und Kaffee trinken können. Auch soll es möglich sein, im Elefanten zu arbeiten. Wir planen also unterschiedliche Ecken für 
verschiedene Stimmungen», sagt Willi. «Abends sind Lesungen oder Versammlungen denkbar oder aber ein Barbetrieb.
Und klar, zwischendurch soll eine Disco oder ein kleines Konzert stattfinden, gern auch mal eine generationenübergreifende Party. Da sind wir sehr offen.» Menschen jeder Altersgruppe sollen sich beim Dickhäuter aufgehoben fühlen.Neben Getränken soll der Elefant auch über 
ein gastronomisches Angebot verfügen. Was konkret auf dem Menüplan steht, ist noch nicht spruchreif. «Da wir nur über eine kleine Küche verfügen, werden wir auf Caterings angewiesen sein. Doch liegt es uns sehr am Herzen, lokale Anbieter zu wählen. Wir wollen wissen, woher die Lebensmittel kommen, und legen Wert auf Nachhaltigkeit. Ausserdem wollen wir erfrischend anders sein», sagt Büttiker. Auch beim Verkauf fleischhaltiger Lebensmittel will man eher zurückhaltend sein.

Ab August gehts mit dem Umbau los
Die Ausstattung des Lokals, welche das Team mithilfe von Freiwilligen vornimmt, hat noch nicht begonnen. Man müsse abwarten, bis der Rohbau erledigt sei.
Abgemacht sei, dass die Besitzer dem Verein die Räumlichkeiten in einem dem Zweck dienenden Ausbaustandard übergeben. Und weil es sich beim Grosshaus um ein schützenswertes Denkmal handelt, hat auch die Denkmalpflege ein Wörtchen mitzureden. Voraussichtlich im August kann das Team mit dem Umbau los­legen. Sechs Wochen soll dieser dauern. Zu tun gibt es nämlich noch viel. «Neben Mobiliar und Betriebseinrichtungen brauchen wir eine Lüftung, und der Raum muss in Bezug auf Schallschutz und Akustik den heutigen Anforderungen entsprechen. Wir rechnen damit, dass die gesamten Anpassungen um die 250 00 Franken kosten werden. Auch wenn gewisse Faktoren etwas unberechenbar sind», erklärt Büttiker.

Die Baarer*innen helfen mit
Wenn wir schon beim Geld sind: Im Winter 
hatte der Verein eine grosse Sponsoring-Aktion einberufen. Wie weit ist man bereits mit dem Fundraising? «Mittlerweile haben wir bereits 160 00 Franken zusammen, Geld, das sich aus den Startbeträgen der Vorstandsmitglieder sowie dem Geld privater Spender zusammensetzt. Das ist bereits eine schöne Summe», erklärt Willi. «Besonders freut uns, dass viele uns aus 
ideellen Gründen unterstützen und auch Geld von Menschen kommt, die wir selber gar nicht kennen.»
Trotz allem fehlt noch ein ordentlicher Batzen, um den Elefanten zum Fliegen zu bringen. «Nun hoffen wir auf die Unterstützung von Stiftungen und der öffentlichen Hand. Wenn wir die 250 00 Franken zusammenbringen, haben 
wir ein bisschen Polster für Unvorhergesehenes und den Betriebsstart», sagt Willi. Sowieso sei 
es schwierig, abzuwägen, wie viel Risiko die 
Bewirtschaftung des Elefanten mit sich bringen werde. Das dürfte nicht zuletzt auch vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängen. Nach wie vor jedoch plant das Team die Eröffnung im kommenden Spätsommer.
Denn eines ist für die Engagierten klar: «Wir merken immer mehr, wie es die Menschen vermissen, gemeinsam ein Bier zu trinken oder einen Jass zu klopfen, und wie sie sich auch darauf freuen, wieder mal zufällig Bekannten zu begegnen und mit diesen zu plaudern.»

Kunst in der alten Telefonzelle
Neben dem Elefanten geht kulturell auch andernorts im Baarer Dorf etwas. Wenn auch 
etwas Winziges, was nur für aufmerksame Pendler sichtbar wird. Doch lohnt sich dieser Blick aufs Detail. Denn mit ihm kommen bald gewichtige Fragen auf.
Ein hübsches blechernes Eselchen, dessen Hinterläufe im Laufe der Jahrzehnte durch klebrige Kinderhände arg in Mitleidenschaft gezogen wurden. Ein niedlicher Teddy, der ein handgearbeitetes Gäuggelgewand trägt. Ein Indianer, dessen Kopfschmuck aus altem Blech und Kaffeekapseln besteht.
In einer ehemaligen Telefonkabine am Bahnhof Baar sind derzeit mannigfaltige Objekte zu sehen. Es handelt sich um ein winziges Pop-up-Museum, welches von Baarer*innen mitgestaltet wurde und ganz unverfroren fragt: Ist das Kunst?
Die Frage ist mitnichten blasphemisch gemeint, sondern vielmehr ist es eine, die der Zuger Verein Kunstpause immer wieder gerne  zu stellen scheint. Der Verein ist nun, gemeinsam mit der Dienststelle Kultur Baar, während der nächsten zwei Jahre für das Bespielen dieser «Kunstkabine» zuständig.
«Eigentlich hätte die Telefonkabine abgerissen werden sollen. Das wäre jedoch ziemlich kostenintensiv geworden. Man hat mir daher ans Herz gelegt, etwas Kulturelles daraus zu machen», sagt Fabienne Mathis, die Baarer Kulturbeauftragte. «Einfach etwas aus der Kunstsammlung auszustellen, kam für mich nicht infrage. Darum fragte ich die Kunstpause für eine Zusammenarbeit an.»
Bevor der Zwerg von einem Museum am 15. März enthüllt wurde, forderten die Projektbeteiligten die lokale Bevölkerung zum Mitwirken auf. «Wir baten diese, sich zu überlegen, welche Objekte für sie Kunst sind. Entsprechende Gegenstände konnte man im Vorfeld beim Gemeindeschalter abgeben», sagt Mathis. Die Voraussetzung: Die Aussteller*innen müssen ihren Namen sowie auch die Geschichte hinter ihren Objekten preisgeben.

Kunst vom Gemeindepräsidenten
Zwölf ganz persönliche Kunstgegenstände wurden insgesamt zusammengetragen und sind nun während eines halben Jahres in der Glas­kabine sichtbar. Auch der Gemeindepräsident Walter Lipp höchstpersönlich hat seinen Teil zum Minimuseum beigetragen. Ein hübsches Blechschild der Zürcher Brasserie Lipp hat er beigesteuert, ein Geschenk, das er auf seine Wahl im Jahr 2018 erhalten hat. Auch die hiesige Goldschmiedin Brigitte Moser ist vertreten. Sie hat der Ausstellung einen Knochenring 
geliehen. Stellt man diesen auf, bildet er ein C, dieses wiederum stehe für Corona.

Ob Telefon oder Zahnbürste
«Uns ist wichtig, dass eine Vielfalt entsteht. Schliesslich entscheidet jeder selber, was für ihn Kunst ist», sagt Laura Hürlimann, die Projektleiterin der Kunstpause. «Ob das nun ein altes Telefon, ein Gemälde oder eine Zahnbürste ist.»
Was die Initianten besonders freut: «Wir haben von Kunstschaffenden Gegenstände erhalten, welche sie nicht selber gemacht haben, und umgekehrt von Nichtkunstschaffenden selbst gemachte Objekte bekommen.» Auch darum gehe es: «Schranken und Hemmungen abzubauen», sagt Hürlimann.
Worauf sich der Verein Kunstpause und die Dienststelle Kultur besonders freuen: «Wir haben mit verschiedenen Schulklassen Vermittlungsworkshops geplant. Klassen ab der dritten Primarschule bis zur dritten Oberstufe machen mit», sagt Sam Heller, welche die Workshops durchführt. «Ich bin sehr gespannt, wie Kinder auf die Ausstellung reagieren, welchen Zugang sie selber zur Kunst haben und was sie darunter verstehen.» Laura Hürlimann ergänzt: «Die Kunstkabine kann eine gute Diskussionsgrundlage bilden. Es geht für uns sehr stark darum, dass sich die Leute eine eigene Meinung bilden. Denn viele Menschen scheinen den Zugang zur Kunst verpasst zu haben, als sie jung waren.»

Und das Eselchen?
In den kommenden zwei Jahren wollen die Initiantinnen insgesamt vier Mikroausstellungen in der runden Telefonkabine umsetzen. Im September dürfen erneut Einwohner*innen ihre persönlichen Kunstgegenstände ausstellen lassen, was danach folgt, ist noch unklar.
Übrigens: Welche Geschichte steckt eigentlich hinter dem lädierten Eselchen? «Es handelt sich um eine Kindheitserinnerung der Baarer Künstlerin Brigitte Andermatt. Sie hatte es einst am Samichlaustag geschenkt bekommen.»


(Autorin: Valeria Wieser)